Zweites Kapitel.
Geheimnisse.

[252] Abgesondert von den übrigen Wohnungen des Dorfes lag das Gemeindehaus der Heimath Sloboda's. Auf dem Lande vertritt ein solches auch die Stelle des Kranken- und Armenhauses und wird auf Kosten der Gemeinde, zuweilen mit Zuschüssen des Gutsherrn, in baulichem Stande erhalten. Unter »baulich« versteht man nämlich in diesem Falle, daß Wände, Gebälk und Dachstuhl nicht geradezu über den Köpfen der Bewohner zusammenbrechen. Mit allen übrigen zu einem wohnlichen Hause gehörenden Dingen nimmt man es nicht allzu genau. Daher gibt es nur äußerst selten Gemeindehäuser mit ganzen Fenstern, guten Öfen, unzerbrochenen Schemeln, Bänken und Tischen. Dergleichen hält man für[253] unnöthigen, überdies den Bewohnern solcher Gebäude nicht ziemenden Luxus.

Das Gemeindehaus, von dem wir sprechen, gehörte unter die schlechtesten. Es war einstöckig, Lehmwand und Strohdach waren, jene nach außen, dieses nach innen eingesunken, so daß der Firsten eine Schlangenlinie beschrieb und die kleinen mit Spänen, Papier und Scherben verklebten Fenster jeden Augenblick auf die Straße zu fallen drohten. Von der Feuerösse waren blos noch vier stumpfe Pflöcke übrig. Ein Gewittersturm hatte das runde Schutzdach entführt und seitdem fanden Regen und Schnee ungehindert Eingang in diese Höhle der Armuth, Krankheit und Noth.

Glücklicherweise war das Dorf nicht stark bevölkert, so daß die Zahl der Bewohner des Gemeindehauses sich nur auf vier Individuen belief. Zu diesen gehörte auch Sloboda's verwittweter Sohn, der »närrische Nathanael,« wie ihn seine Bekannten nannten. Seit er den Verstand verloren hatte, war er hier untergebracht worden, weil es Sloboda an Zeit fehlte, den Unglücklichen zu beaufsichtigen und zu pflegen. Denn im Gemeindehause mußte auf Kosten der Gemeinde[254] für Kranke eine Wärterin gehalten werden, die für ihren höchst kargen Lohn verpflichtet war, zu bestimmten Stunden für die Bedürfnisse derselben zu sorgen.

Eigentlich hätte Nathanael keine Wartung gebraucht. Er war der stillste, gemüthlichste, lenksamste Wahnsinnige, den es geben konnte. Wer an der baufälligen Hütte vorüberging, konnte sein blasses, immer lächelndes Gesicht entweder in der Öffnung einer fehlenden Fensterscheibe sehen, was ganz den Anstrich hatte, als habe man statt des Glases eine menschliche Larve mit beweglichen Augen hineingeklebt, oder ihn selbst vor der lochartigen Hausthüre betrachten, wo er, einen Knüttel im Arm, Wache stand und wie ein Posten gravitätisch auf- und niederging. Er that keinem Kinde etwas zu Leide, war mit Allem zufrieden, aß und trank, wenn man ihm etwas gab, und fastete ohne Murren, wurde dies vergessen. Gewöhnlich sprach er mit sich selbst, und so wenig man auch von seinen Reden verstehen konnte, so war doch aus vereinzelten Worten und aus stets wiederkehrenden Wendungen und Gedankenbruchstücken abzunehmen, daß er des festen Glaubens lebe, seine erschlagene Frau habe ihm einen Knaben hinterassen,[255] der beim Begräbniß der Mutter verloren gegangen sei und nun ohne Vater und Mutter elend umkommen müsse. Es wußte aber Jedermann, daß Nathanaels Frau nach kaum anderthalbjähriger Ehe ums Leben gekommen war, daß sie niemals ein lebendiges Kind geboren hatte, wohl aber etwa ein halbes Jahr vor ihrem plötzlichen Tode von einem todten Knaben entbunden worden war.

An alle dem hatte bei Lebzeiten der unglücklichen Frau Niemand gezweifelt, jetzt aber durch des Irrsinnigen Reden aufmerksam gemacht, erhoben sich ganz im geheim einzelne Stimmen, welche andeutungsweise behaupteten, es sei damals bei der Entbindung von Nathanaels Frau nicht ganz nach Recht und Gerechtigkeit zugegangen! Ihr Kind habe wohl gelebt, indeß – später sei es als todtgeboren begraben worden! – Solche Gerüchte liefen, wie gesagt, jetzt um, allein wer hätte Zeit, Lust und Bedürfniß gehabt, ihrem Ursprunge nachzuspüren und die Wahrheit zu ermitteln! Die arme Frau war todt, Nathanael verrückt und sein Vater hatte mit der einzigen Tochter Kummer genug, als daß irgend einer seiner Mitbrüder ihm eines hohlen Gerüchtes[256] wegen das Herz noch mehr hätte beschweren mögen. –

Fast alle Tage besuchte der bekümmerte Vater seinen unglücklichen Sohn, um ein paar Worte mit ihm zu reden und sich von seinem elenden Hinvegetiren zu überzeugen. Stand Nathanael Wache vor der Thür, so ließ er den Vater nich in's Haus, denn er behauptete dann, sein Knabe sei drinnen in der Pension, werde zum vornehmen Herrn erzogen und erhalte jetzt eben Unterricht in feiner Lebensart; wer nun da Einlaß begehre, der beabsichtige, ihn zu entführen und wieder unter die Bauern zu verstoßen. Lag dagegen das blasse Gesicht des Wahnsinnigen in der fehlenden Fensterscheibe, so durfte Sloboda eintreten und dann erzählte ihm Nathanael die Verirrung seines Kindes beim Begräbniß der Mutter. Um diese beiden fixen Ideen drehte sich nun schon seit langen Monaten der Gedankengang des Unglücklichen. –

Am Tage nach Heinrichs nächtlicher Zusammenkunft mit Lips machte Sloboda seinen gewöhnlichen Besuch im Gemeindehause. Es war nach der stürmischen Schneenacht, wie dies zu Anfang Herbst oft geschieht, am Morgen wieder[257] ganz still und warm geworden und die Sonne schien so erquickend mild, daß man hätte glauben können, der Lenz sei eben angebrochen.

Nathanael lag mit dem lächelnden Gesicht im Fensterloche und sah mit den blödsinnigen, ausdruckslos gläsernen Augen auf die Haide, über deren blauschwarzem Walle die äußersten Thurmspitzen des fernen Schlosses Boberstein deutlich zu erkennen waren.

»Guten Tag, Nathanael,« sagte Sloboda grüßend, »es will nochmals Sommer werden, scheint es.«

»Er kommt doch nicht wieder,« entgegnete mit traurigem Kopfschütteln der Wahnsinnige, indem er das Fenster verließ, um seinem Vater bis an die Stubenthür entgegen zu gehen.

Außer ihm war noch eine alte Frau in der dunstigen schmutzigen Stube, die auf der Ofenbank saß und die Spindel drehte. Ein paar Überreste von Dielen waren erst am Morgen aufgebrochen und in kleine Stückchen zerspalten worden, um Feuer damit anzumachen, denn das Reißig war ausgegangen und die Gemeinde hatte noch kein neues geliefert, weil der Vorstand vergessen hatte, anzuzeigen, daß alles Holz der Armen[258] verbrannt sei. Der Fußboden des Gemeindehauses bestand daher gegenwärtig aus nacktem schwarzgrauen Lehm. Die Bewohner hatten große Löcher darin ausgehöhlt, um Kartoffelschalen und Spülicht hineinzugießen oder sie auch gelegentlich als Waschbecken zu gebrauchen. Auf den Stangen um den Ofen hingen graue Lumpen, die Schürzen und Kleidungsstücke vorstellen sollten. Auf dem gemeinsamen Tische summten gefräßige Fliegen um einen Teich verschütteter saurer Milch und um einige Stücke eisenharter Rinde von Schwarzbrod. Bänke und Schemel, denen die Beine fehlten, und welche, wenn man sich setzen wollte, erst aus allen Winkeln zusammen gesucht werden mußten, waren unsauber und fettig, da Niemand sich die Mühe gab, sie zu reinigen.

In dieser ungesunden, ekelerregenden Wohnung lebte Nathanael und dieses Leben würde für ihn unerträglich gewesen sein, hätte ihn die Außenwelt überhaupt noch gekümmert. Die Nacht, welche seinen Geist umhüllte, verdeckte auch mit wohlthätigem Schleier das entsetzliche Elend seiner Umgebung.

»Er kommt noch immer nicht,« sagte er zu[259] Sloboda, seine abgemagerten, schweißig-kalten Finger in die Hand des Vaters legend. »Sie haben die Haiden durchsucht bis nach Schlesien, aber die Fußstapfen sind verweht von Laub und Nadeln.«

»Wenn die rechte Zeit kommt, werden sie ihn schon finden,« erwiederte Sloboda mit schwerem Seufzer. »Warten, Geduld haben ist leider unser aller trübes Loos auf dieser unvollkommenen Erde!«

»Geduld! – Ich hatte immer viel Geduld.«

»Weißt Du schon von dem Todesfalle?« fragte Sloboda.

Nathanael sah den Vater blöd lächelnd an, dann erwiederte er: »Es wird bald ein großes Sterben kommen – unter die Hochmüthigen. Alle Bäume trauern schon – das sieht so fürchterlich aus.«

»Sie trauern um ihren Herrn, den Grafen.«

»Graf? – Graf heißt Schurke. Marianne hat's hundertmal gesagt.«

»Nicht immer, Nathanael! Graf Erasmus, der nun zu seinen Vätern gegangen ist, war ein braver Mann.«[260]

Der Wahnsinnige lachte und schüttelte wiederholt den Kopf dazu. »Närrisches Volk, solche Grafen! – Kartoffeln dem Braten vorzuziehen! – Rechte Schurkenkost!«

Sloboda hatte seinen Sohn noch nie in solcher Stimmung gesehen und wußte nicht, wie er sich die unverständlichen Reden deuten sollte. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, fragte er, ob er Lust habe, den alten Grafen auf dem Paradebette zu sehen, so wenig er selbst daran dachte, das graue Schloß zu diesem Zwecke zu besuchen.

Mit dem wahrhaft entsetzlichen stereotypen Lächeln auf seinem blassen Gesicht trat Nathanael nach dieser Frage an sein Fenster, legte den Finger in die Öffnung und sagte:

»Schloß dort drüben! Abends die Sonne dahinter – immer ein gräfliches Paradebett!«

Dann legte er das Gesicht wieder in die zerbrochene Scheibe und ohne sich ferner noch um seinen unglücklichen Vater und dessen an ihn gerichtete Fragen zu bekümmern, sah er unverwandt hinüber auf die Haide und die vier Thürme von Boberstein, dessen hohe Schieferbedachung mit den vergoldeten Kreuzen, Knöpfen und Windfahnen jetzt im Goldschaum der Abendsonne zu[261] glühen begannen. Mit schwerem Herzen und der trostlosen Gewißheit, daß sein armer Sohn noch immer keine Spur des zurückkehrenden Verstandes zeige, mußte Sloboda das wacklige Gemeindehaus wieder verlassen, um in der eignen stillen Hütte immer noch den alten Kummer als treuen Hausgenossen zu finden.

Aus der Thür dieses Asyls der elendesten Armuth tretend, ließ er seine melancholischen Augen über die dunstige, jetzt mit einem breiten Gürtel purpurn flimmernden Duftes umwundene Haide gleiten und sie auf den blitzenden Spitzen der Schloßthürme ruhen. Eine Fluth der widersprechendsten Gedanken trieb mit Sturmeseile durch seinen Geist, ohne daß er in seiner tiefen Niedergeschlagenheit im Stande gewesen wäre, nur einen einzigen, ihm praktisch scheinenden, festzuhalten und in ruhiger Überlegung weiter zu verfolgen. Nach einiger Zeit, keines vollkommen klaren Gedankens sich mehr bewußt, schritt der Wende gebeugten Hauptes die kothige Gasse entlang, welche das Dorf in zwei gleiche Hälften theilte. Auf dieser Wanderung überholte ihn ein Anderer und grüßte ihn ermuthigend mit den Worten:[262]

»Nicht so verzagt, Freund Jan! Unsere Angelegenheiten schießen rasch in Blüthe.«

Es war der Maulwurffänger, der unermüdlich die halbe Nacht durchwandert war und jetzt schon wieder von einem anstrengenden Gange durch eine Menge zu Boberstein gehörender Dorfschaften kam. »Lips ist unser mit Herz und Hand und voll Feuer und Flamme! Ich sage Dir, Jan, der Mann hat einen Zweck bei seinem Thun, und wie hart immer Sitte und Gesetz dies tadeln mögen, auf wessen Seite das größere Recht zu finden sein dürfte, das ist noch eine schwer zu beantwortende Frage. Ein feiner, verschlagener und in vielem Betracht auch rechtlicher Mann ist unser Fürst der Haide und einen Giftzahn hat er jetzt auf den Blauhut, daß mir fast bange wird um das Leben des exquisiten Schurken.«

»Er will also unsere Partie ergreifen?«

»Mehr, mehr, Freund Jan! Er will uns blos zur Stütze haben und übrigens die ganze Angelegenheit zu seiner eignen machen! Laß Dir genügen, wenn ich Dir sage, daß Lips ein alter Bekannter von mir ist und daß er die Heimlichkeiten der gräflichen Familie besser kennt und Schlimmeres von ihr wissen muß, als wir ahnen![263] Vor zwanzig und mehr Jahren stand unser Todfeind Magnus unter seiner Zuchtruthe. Lips war der Hofmeister des wilden Jungen.«

»Sprächst Du nicht zu mir, dann würde ich die ganze Erzählung für ein Märchen erklären,« versetzte Sloboda, »und weil uns wirklich zu unnützen Fragen und Erörterungen keine Zeit übrig bleibt, unterlasse ich alles vergebliche Forschen. Du sprichst, er ist der Unsrige mit seinem ungeheuren Anhange, er will theilnehmen an der Rache, die unser Gewissen fordert, und somit erkläre ich ihn für meinen Freund, meinen Bruder. – Seid Ihr einig geworden über Zeit und Stunde?«

»Übermorgen Abend, während Familie und Dienerschaft am Sarge des Verstorbenen knieen und Thränen heucheln, soll der Angriff geschehen.«

»Auf welche Art?«

»Das wollte mir Lips nicht mittheilen. Wir sollen überhaupt keinen thätigen Antheil nehmen an dem, was er zu thun gesonnen ist, nur im Rücken sollen wir wachen, damit nicht fremde Eindringlinge ihn überrumpeln und den ganzen Plan zerstören. Dies hat für Euch Wenden das[264] Gute, daß Ihr nicht als Aufwiegler dasteht und Euch späterhin, kommt die Sache zur Sprache, vor Gericht in bester Manier herausreden könnt. Denn wer einem Feinde im Rücken steht, kann eben so gut diesen anzugreifen beabsichtigen, als ungebetene Gäste ihm fern halten. Das ist eine prächtige Zwickmühle, in der ich selbst die Kniffe und Kreuz- und Querfragen des allerschlauesten Inquisitionsrichters allemal fangen und erdrücken will.«

»Daß nur kein Schwächling uns verräth!«

»Sorge nicht, Jan! Deine gesammten Stammesgenossen beseelt nur ein Gedanke: Bestrafung des Verbrechers und Losreißung von seiner Herrschaft. Seine letzten Schandthaten, die ihn aus dem Verbande der Menschheit ausstoßen, machen jeden Fürsprecher verstummen. Er ist reif zur Ärndte und so soll denn auch die Sichel, welche ihn mähet, mit aller Kraft an ihn gelegt werden. – Heute Nacht beginnt der persönliche Aufruf auf allen Haidedörfern. Ich selbst habe den Richtern beim Aufsetzen der Verordnung redlich geholfen. Es bedarf nun blos noch des von Haus zu Haus wandernden Krummholzes. Es wird diesmal auch an die Thür der niedrigsten[265] und ärmsten Hütte nicht vergebens pochen.«

Während dieses Gesprächs hatte Sloboda sein Haus erreicht und nöthigte den für ihn so unermüdlich thätigen Freund einzutreten und ein frugales Abendbrod mit ihm zu genießen. Wir wissen, daß Heinrich ein solches Anerbieten nie von der Hand wies, wenn es ihm irgend die Zeit erlaubte, und so nahm er auch diesmal die Einladung des Wenden an. – –

Um dieselbe Zeit saß Haideröschen in der geräumigen Wohnstube Ehrholds auf der Bank am Fenster, ließ flink das Rädchen schnurren und zupfte mit ihren schlanken Fingern, die ungeachtet der harten Arbeit, der sie sich in der Wirthschaft unterziehen mußte, immer weiß und zart blieben, den silbernen Flachs vom Rocken, um das feinste Garn daraus zu spinnen. Es war dasselbe Rädchen, derselbe Rockenhalter, den sie am lustigen Abend der letzten Spinnte gebraucht hatte. Seitdem war blos ein halbes Jahr vergangen und ach, welche Tage des Kummers, welche schlaflos durchwachten, thränenreichen Nächte lagen dazwischen! – Sie war Frau, die geliebte Frau ihres Erwählten geworden, sie[266] fühlte ein zum Leben erwachendes Leben unter ihrem Herzen sich regen, und sie schauderte vor diesem erwachenden Leben, und Gedanken trüben Wahnsinns ließen ihre Brandmale in der gepeinigten Seele zurück; denn sie konnte und durfte ja den geliebten Gatten nicht Vater nennen! Selbst der Name Mutter machte sie erbeben und häufig in Krämpfe und ohnmächtige Erstarrung fallen.

Seit der unseligen Hochzeitsnacht, die für sie die letzte Nacht irdischer Freuden gewesen war, trug sie die halbe Trauer. Ein schwarzer lündischer1 Faltenrock umhüllte ihre zarten Glieder. Das bunte Tuch von lebhaften Farben mußte einem schlichten weißen Linnentuch weichen, das sie um Hals und Busen legte. Eben so verhüllte sie sich den Kopf und die schönen seidenweichen goldblonden Haare, die in ein dickes Nestchen gewunden unter der Frauenhaube um verlorenes Glück und geraubte Unschuld trauerten. Die aufknospenden Lockenröschen, die ihrem Gesicht einen so eigenthümlichen Ausdruck schalkhaften Reizes[267] gegeben hatten, waren verschwunden. Ging sie aus, so warf sie noch ein weißes Tuch über Kopf und Schulter, so daß nur das jetzt bleicher gewordene trauernde Gesicht und die schönen melancholisch tiefen Augen sichtbar blieben.

Mit immer gleicher Beharrlichkeit zupfte Haideröschen die zartesten Fäden aus dem schimmernden Flachse und drehte taktmäßig ihr schnurrendes Rädchen, ohne des Pochens und Schütterns an den Holzwänden zu achten, welche Clemens und sein Vater mit Laub und Stroh gegen die Winterkälte verwahrten. Der schnelle Tod des Grafen Erasmus beschäftigte auch sie und über dem Unglücke Herta's, das in wenigen Tagen zum lauten Geheimniß geworden war, vergaß sie ihr eigenes, der verehrten Herrin so ähnliches Leid. Nun begriff sie auf einmal das tiefe Verstummen, das entsetzliche Hinstarren des Fräuleins nach jener räthselhaften Nacht, ja sie wunderte sich fast, daß ein so zartes, schönes und gebildetes Wesen, wie Herta es in ihren und Aller Augen war, das Gräßliche hatte überleben können, ohne den Verstand zu verlieren.

Es war bereits so dunkel im Zimmer, daß Haideröschen nicht mehr den Faden deutlich erkennen[268] konnte, den sie zwischen den Fingern drehte, als die draußen schaffenden Männer von ihrem Thun abließen und in's Haus zurückkehrten. Jetzt hielt auch die Spinnerin ihr Rädchen an, schob es zurück und ging nach dem Kamin, um Holz aufzuschichten und das weithin leuchtende Abendfeuer anzuzünden. Während dieser Beschäftigung sagte sie zu Clemens:

»Hast Du Dich nun entschieden, ob wir zusammen auf's Schloß gehen werden, damit ich dem guten todten Herrn meine Hand zum ewigen Lebewohl reichen kann?«

»Es wird sich nicht thun lassen, liebes Röschen,« versetzte der Gefragte. »Sichern Nachrichten zufolge ist der böse Herr auf Boberstein und Du kannst wohl denken –«

»Ich verstehe, guter Clemens,« unterbrach ihn Haideröschen. »Wir bleiben daheim, ich bete für den geschiedenen Greis, für das arme Fräulein und singe an seinem Begräbnißtage ein Lied zu seinem Andenken. Er wird mir das im Himmel eben so hoch anrechnen, als hätte ich an seinem Sarge geweint. – Wenn soll er denn bestattet werden?«[269]

»Übermorgen.«

»Ist es wahr, daß er kein Testament hinterlassen hat?«

»Es geht allgemein die Rede davon.«

»Dann bedaure ich blos das gütige Fräulein! – Nicht wahr, Clemens, Du stehst ihr gern bei, wenn sie es je bedürfen sollte?«

»Ihr und Dir soll mein letzter Blutstropfen fließen! – Aber sie wird unserer Hilfe nicht bedürfen, glaube mir! Der Himmel läßt es gewiß nicht zu, daß ein böser Mensch in allen Genüssen irdischer Glücksgüter schwelgen darf, während eine Gerechte dem Mangel erliegen muß.«

Indem pochte es an die Hausthür und Ehrhold, der hinausging, um zu fragen, wer Einlaß begehre, begann ein kurzes Zwiegespräch mit demselben Nachbar, welcher am Abend, wo die Spinnte erstochen ward, das Gemeindeholz gebracht hatte. Auch kehrte Ehrhold erst nach einigen Minuten wieder zurück.

»Warst Du beim Nachbar, Vater?« fragte Haideröschen schüchtern, denn ihr Herz sagte ihr, daß eine Zusammenberufung der Wenden eingeleitet werde. Ehrhold läugnete es nicht, ja er fügte sogar offenherzig hinzu: »Es handelt sich[270] um den bösen Grafen und ob man verpflichtet sein soll, einem so offenkundig schlechten Menschen fernerhin noch zu gehorchen. – Uns geht das im Grunde freilich nichts mehr an, denn wir sind ihm nicht mehr erbunterthänig, aber der Sache selbst wegen dürfen wir uns nicht ausschließen.«

»Sie wollen ihm doch nicht ans Leben?« fragte Haideröschen besorgt.

»Damit geschähe dem Schufte zu viel Ehre. Nein, blos das Vermögen soll ihm verschnitten werden, und dazu, scheint mir, haben Viele triftige Gründe, wenn alle rechtmäßige Erben von ihm, sowohl lebende wie solche, die noch auf den Eintritt ins Leben warten, zu gleichen Theilen befriedigt werden sollen.«

Bei der letzten Bemerkung seufzte Haideröschen und Clemens ging, um seine kochende Unruhe möglichst zu verbergen, summend in der Wohnstube auf und ab. Es trat eine Pause ein, die Niemand von den Dreien zu unterbrechen wagte, bis Ehrholds Gattin aus der Kammer kam und mit Schüsseln und Tassen im Topfbret zu klappern begann. Dabei redete sie mit allen Dreien zu gleicher Zeit nach Art alter[271] Leute, ohne von irgend Jemand eine directe Antwort zu erwarten.

Zum zweiten Male klopfte es draußen, diesmal jedoch an einem der Fensterladen.

»Gott sei uns gnädig!« rief Haideröschen, ihr Rädchen anhaltend, an das sie sich wieder gesetzt hatte, und die Hände im Schooße faltend. »Das bedeutet sicher ein recht großes Unglück, denn grade so klopfte es am Abend der letzten Spinnte, seitdem das Elend unter uns anhob.«

Clemens hatte inzwischen das Schiebfenster aufgestoßen und gefragt, was man begehre?

Eine Stimme, die er nicht kannte, verlangte die »Jungefrau« zu sprechen. Haideröschen hörte dies und stand neugierig auf.

»Wer seid Ihr?« fragte Clemens ziemlich barsch.

»Ich darf's nicht sagen; es ist mir verboten,« antwortete die Stimme. »Ich soll 'was abgeben an die Jungefrau.«

»Von wem?« fragte Clemens schon ungeduldiger.

»Wenn mich die Jungefrau selbst anhören will, werd' ich's ihr nicht verschweigen.«

Clemens fühlte eine Hand auf seiner Schulter.[272] Haideröschen stand neben ihm. »Laß mich mit dem Manne reden, guter Clemens,« sagte sie sanft und bittend. »Vielleicht kenne ich ihn und er hat mir etwas zu sagen, das uns zum Guten gereicht. Du kannst ja dableiben und mit anhören, was wir reden.«

Ungern und mit verdrießlichem Gesicht trat Clemens vom Fenster zurück. Haideröschen erblickte einen Mann in bäurischer Alltagskleidung.

»Was habt Ihr an mich zu bestellen?« fragte sie freundlich.

»Der Voigt vom Zeiselhofe schickt mich zu Euch, liebe Jungefrau,« erwiederte der draußen Stehende. »Ich bin der Großknecht vom Hofe und eigentlich nicht der beste Freund von unserm Voigt. Weil aber der Mann krank ist und mich schon seit ein paar Tagen anfleht, ich möchte ihm doch den Gefallen thun und zu Euch gehen, bin ich heut in der Dämmerung fortgelaufen. Er hat mir eine Rolle gegeben, vermuthlich mit Schriften oder Verschreibungen – von dem gnädigen Herrn, sagt er –«

»Hört auf, ich will nichts mehr hören!« rief Haideröschen. »Nicht eine Stecknadel rühre[273] ich an, wenn ich weiß, daß der Graf sie zuvor in den Händen gehabt hat!«

»So ist's recht!« sagte Clemens. »Immer packe den Rackern auf, daß sie erfahren, wie hoch man ihren Herrn in Ehren hält!«

»Aber liebe Jungefrau, so nehmt doch Vernunft an!« fuhr der Großknecht fort. »Ich bin, weiß Gott, nicht für den gnädigen Herrn und wünschte lieber, der Teufel zerriß ihn heut als morgen und zerfetzte ihn dermaßen, daß nichts von ihm übrig bliebe, als eine Prise Schnupftabak für alle Herren, die just eben so denken wie er, aber den Auftrag des Voigtes muß ich vollziehen, sonst bringt er mich um. Werfts in's alte Gerülle das Ding, wenn Ihr's nicht ansehen wollt, nur nehmt's mir ab, daß ich als ehrlicher Kerl sagen kann: ich hab's richtig abgeliefert.«

»Du nimmst nichts!« befahl Clemens. »Hat der Herr Dir etwas zu übergeben, so kann er selber kommen. Dann will ich ihn schon empfangen.«

»Es ist sehr wichtig,« sagte der Voigt.

»Und wenn Tod und Leben daran hängt, Du nimmst es nicht!« rief Clemens wie besessen.[274]

»Guter Freund,« fiel Ehrhold ein, »Ihr macht hier, wie Ihr seht, schlechte Geschäfte. Darum geht nur in Gottes Namen wieder auf den Zeiselhof, sagt dem Voigte einen guten Abend und für seine Geschenke im Namen des Herrn Grafen müsse die Jungefrau gar sehr danken.«

»Nun so erbarme sich Gott meiner und des Voigtes!« murmelte der Großknecht. »Seine Gnaden haben mit Galgen und Rad gedroht, wenn das Röllchen nicht vor Beerdigung des verstorbenen Herrn Grafen in der Jungefrau Hände gekommen sei, und wer ihn kennt, der weiß, daß er Wort zu halten pflegt. Wenn Ihr aber durchaus nicht wollt, nun gut, so weiß ich, was ich thun muß. Ich gebe das Ding zurück und flüchte mich noch in dieser Nacht in die Haide, um morgen nicht zu fehlen. Dann wär's möglich, daß weder Voigt noch Graf jemals ein Wort wieder von mir hörten.«

»Was soll das heißen?« fragte Haideröschen ihren Gatten. »Wäre wirklich etwas im Werke? Ein Angriff auf den Zeiselhof? – Vater, wie ist das?«

»Gedulde Dich bis morgen!« sagte Ehrhold[275] bedeutungsvoll. »Von einer Sache, welche gelingen soll, darf man nicht sprechen.«

Haideröschen sah noch einmal zum Fenster hinaus, um durch neue Fragen dem Großknechte Näheres zu entlocken, der so schnöde Abgewiesene war aber inzwischen, ohne gute Nacht zu wünschen, seiner Wege gegangen.

Nun fühlte sich die junge Frau so beunruhigt, daß sie den Rest des Abends für nichts mehr Sinn hatte und die ganze Nacht theils schlaflos, theils von fürchterlichen Träumen geängstigt, zubrachte.

1

So genannt, weil das Zeuch früher aus Lund bezogen wurde.

Quelle:
Ernst Willkomm: Weisse Sclaven oder die Leiden des Volkes. Theile 1–5, Leipzig 1845, S. 252-276.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Feldblumen

Feldblumen

Der junge Wiener Maler Albrecht schreibt im Sommer 1834 neunzehn Briefe an seinen Freund Titus, die er mit den Namen von Feldblumen überschreibt und darin überschwänglich von seiner Liebe zu Angela schwärmt. Bis er diese in den Armen eines anderen findet.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon