Fünfter Auftritt

[68] Die Vorigen. George ungesehen zurückstehend.


GEORGE für sich.

Potz Blitz! was muß ich schauen!

Die sind ja sehr vertraut!

Darf ich meinen Augen trauen,

Ist denn das nicht meine Braut?[68]

RUTHWEN.

Welche Wonne sondergleichen,

Sanft die Wange dir zu streichen,

Dir die weiche Hand zu drücken,

Liebend dir ins Aug' zu blicken,

So den Arm um dich zu schlingen,

Dich zu drücken an die Brust!

Ach, welch ein Opfer wollt' ich bringen,

Gönntest du mir diese Lust!


Er umfaßt sie.


EMMY ihn sanft abwehrend.

Ihr wollt mich nur beschämen,

So eitel bin ich nicht,

Um für Ernst es anzunehmen,

Was Euer Mund nur spricht.

GEORGE für sich.

Ei, ei, was muß ich sehen,

Jetzt drückt er ihr die Hand,

Und sie läßt es auch geschehen,

Das ist ja ganz scharmant.

RUTHWEN.

Ich sollte dich fast schelten,

Ich that so viel für dich,

Und du willst mir nicht vergelten,

Ist das nicht grausam, sprich?

GEORGE für sich.

Jetzt drückt er ihr die Hand,

Und sie läßt es auch geschehen!

Das ist ja ganz scharmant!

EMMY.

Ihr sucht mein Glück zu gründen,

Das sehe ich wohl ein!

Ach, ich kann nicht Worte finden,

Euch meinen Dank zu weihn!

Ach, ich kann nicht Worte finden,

Euch meinen Dank zu weihn!

RUTHWEN.

Du kannst für mein Bestreben

Den schönsten Lohn mir geben!

Ein einz'ger Kuß von dir

Gilt mehr als Kronen mir!

GEORGE erstaunt und empört.

Ein Kuß!

EMMY verschämt.

Wie?[69]

GEORGE wie oben.

Was muß ich hören?

EMMY wie oben.

Ein Kuß?

GEORGE wie oben.

Er will sie küssen?

EMMY.

Wie?

GEORGE.

Was?

EMMY.

Ein Kuß? Ein Kuß? Ein Kuß? Ein Kuß?

Ruthwen will sie küssen.


EMMY entwindet sich ihm.

Ihr wollt mich nur beschämen,

So eitel bin ich nicht,

Um für Ernst es anzunehmen,

Was Euer Mund nur spricht.

RUTHWEN.

Nein, liebe süße Kleine,

Glaub' mir, ich scherze nicht,

Deine Schönheit ist's alleine,

Die so mein Herz besticht. –


Er küßt Emmy.


Emmy entwindet sich ihm und läuft an ihm vorüber nach links.


RUTHWEN für sich.

So, jetzt ist sie mir verfallen,

Und das Ziel ist nicht mehr weit,


Er lacht.


Haha!

EMMY für sich.

Solchem Herrn zu gefallen,

Ist doch keine Kleinigkeit!

Soll mich das nicht eitel machen?

RUTHWEN für sich.

Jetzt ist sie mir verfallen!

Ha, die Hölle hör' ich lachen!

Ha, jetzt ist sie mir verfallen,

Und das Ziel ist nicht mehr weit!

Ha, die Hölle hör' ich lachen!

GEORGE für sich.

Wie, sie läßt sich das gefallen?

Ha, bei Gott, das geht zu weit!

Soll mich das nicht rasend machen?

Ha, bei Gott, das geht zu weit!

Ha, das geht zu weit!

Ruthwen und Emmy sprechen zusammen.
[70]

GEORGE für sich.

Soll mich das nicht rasend machen?


Er tritt im vierten Takte vor, Emmy zur Linken.


Guten Abend –

RUTHWEN beiseite.

Ei, sieh da, der Bräutigam!

GEORGE.

Meine Beste!

EMMY verlegen.

Kommst du endlich auch zum Feste?

GEORGE.

Ja, Zeit war es, daß ich kam.

EMMY blickt fortwährend nach Ruthwen.

Unser neuer Herr will dich

Hier zum Gutsverwalter machen.

GEORGE.

Ja, das merk' ich, schöne Sachen,

Und zum Eigentümer sich.

RUTHWEN beiseite.

Eifersucht? Das ist zum Lachen!

Guter Tropf, du dauerst mich!

EMMY beiseite.

Eifersucht am ersten Tage! –

Nun fürwahr, nun fürwahr,

Das kommt zu früh!

GEORGE beiseite.

Ja, sie hat recht, die alte Sage:

Weibern trau' und Katzen nie!

Ja, ja, sie hat recht, die alte Sage:

Weibern trau' und Katzen nie!

EMMY beiseite.

Eifersucht am ersten Tage,

Nun fürwahr, das kommt zu früh!

GEORGE beiseite.

Ja, sie hat recht, die alte Sage:

Weibern trau' und Katzen nie!

RUTHWEN zu Emmy.

Nun, ich gehe, Liebesleute

Sind am liebsten doch allein!

Nur vergiß nicht, daß du heute

Meine Tänzerin willst sein. –

George geht grollend nach hinten.

Emmy folgt dem Eifersüchtigen und sucht ihn mit leisen Worten zu beruhigen.


RUTHWEN beiseite, mit einigen Schritten nach rechts.

Ha, wie mein Herz vor Freude bebet,

Nun ist das zweite Opfer mein![71]

Die ihr mich unsichtbar umschwebet,

Jubelt! jubelt! Bald wird sie euer sein!


Er blickt Emmy finster an, sich ihr mit einigen

Schritten nähernd.


George tritt Ruthwen zur Rechten vor.


EMMY ebenso Ruthwen zur Linken, für sich.

Mein Herz schwankt zwischen Furcht und Liebe,

Und mir wird wohl und weh zu Sinn;

Mit süß geheimnisvollem Triebe

Zieht es mich zu dem Fremdling hin!

GEORGE für sich.

Wie bei böser Geister Hausen,

So unheimlich wird mir zu Mut!

Mich überläuft's mit kaltem Grausen,

Weh mir! das endet nimmer gut!

RUTHWEN für sich.

Ha! wie mein Herz vor Freude bebet!

Nun ist das dritte Opfer mein!

Die ihr mich unsichtbar umschwebet,

Jubelt, bald wird sie euer sein!


Er geht ab nach rechts vor der Terrasse.


George geht ihm drohend einige Schritte nach.

Emmy wendet sich nachdenklich nach links.


Quelle:
Heinrich Marschner: Der Vampyr. Dichtung von Wilhelm August Wohlbrück, Leipzig [o. J.], S. 68-72.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Agrippina. Trauerspiel

Agrippina. Trauerspiel

Im Kampf um die Macht in Rom ist jedes Mittel recht: Intrige, Betrug und Inzest. Schließlich läßt Nero seine Mutter Agrippina erschlagen und ihren zuckenden Körper mit Messern durchbohren. Neben Epicharis ist Agrippina das zweite Nero-Drama Daniel Casper von Lohensteins.

142 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon