Neunter Auftritt

[74] Ruthwen, Aubry zu seiner Linken.


RUTHWEN. Wie, Sir Aubry, Ihr hier?

AUBRY sehr energisch. Ja, überall hin werde ich dir folgen, alle deine Schritte bewachen, überall dich bitten und beschwören, den entsetzlichen Gedanken aufzugeben: überall dir drohend entgegentreten, dir mit Gewalt dein Opfer entreißen. Ruthwen, ich liebe Malwina, ich werde von ihr wieder geliebt! Wenn noch ein Gefühl von Menschlichkeit in deinem Herzen zurückblieb, so laß ab von ihr, morde nicht das Glück zweier Menschen. Er kniet. Hier auf meinen Knieen beschwöre ich dich, weiche von ihr zurück, ich will zu dem[74] Ewigen um Erbarmen für dich flehen – und das Bewußtsein dieser einzigen guten That wird wie ein rettender Engel für dich sprechen in der Stunde des ewigen Gerichts! Er steht auf.

RUTHWEN. Verschwende nicht unnötige Worte, thörichter Knabe! Mich treibt mein fürchterliches Schicksal. Zürne, tobe, rase gegen den ewigen Kreislauf der Natur! Kannst du ihn stillstehen heißen? Kannst du das Dasein der ganzen Schöpfung in ein leeres Nichts zurückwerfen? Thu's! Ha, auf meinen Knieen will ich dir danken! Ohnmächtiger, geh! Laß ab von mir.

Nr. 14. Große Scene.


AUBRY.

Wohl, du zwingst mich zum Verbrechen,

Meinen Schwur geh ich zu brechen,

Gott im Himmel wird verzeihn!

Kann ich es dadurch erreichen,

Daß du von ihr mußt entweichen,

Ist die Sünde ja nur klein.

RUTHWEN.

Strauchle auf der Bahn des Rechten,

Du verfällst den finstern Mächten,

Scheint der Fehltritt auch nicht groß;

Bist du einmal erst gewonnen,

Enger stets wirst du umsponnen,

Und die Hölle läßt nicht los.

AUBRY.

Gern will ich für mein Verschulden

Martervolle Strafe dulden;

Was kann Ärgeres geschehn!

Giebt es größeres Verderben,

Als die Heißgeliebte sterben

Und so gräßlich sterben sehn!

RUTHWEN.

Meinst du? Ha! versuch' es nur!

Und mit Schaudern wirst du sehen,

Was noch Ärgres kann geschehen.

Glaubst du, daß mich die Natur

Zu dem schrecklichen Beruf[75]

Schon bei der Geburt erschuf?

Geh denn hin, verrate mich!

Schuld des Meineids lad' auf dich,

Um mit süßem Triumphieren

Die Geliebte heimzuführen;

Werde Gatte, Vater dann,

Und ein hochbeglückter Mann!

Doch es naht die Zeit heran,

Wo bei tausend Schlangenbissen

Dir die Seele wird entrissen;

Vor den Richter bang und schwer

Tritt sie, und der Strenge spricht:

»Reue sühnet Meineid nicht;

Kehre dann zurück mit Graus

In das kaum verlassne Haus.«

Nun gehst du, ein grausiger Leichnam, einher,

Bestimmt, dich vom Blute Derer zu nähren,

Die dich am meisten lieben und ehren;

Im Innern trägst du verzehrende Glut.

Bei deinem Leben hatt'st du geschworen:

Was durch dich lebt, ist durch dich verloren;

Der Gattin, der Söhne, der Töchter Blut,

Es stillet zuerst deine scheußliche Wut,

Und vor ihrem Ende erkennen sie dich

Und fluchen dir – und verdammen sich!

Doch was dir auf Erden das Teuerste war,

Ein liebliches Mädchen mit lockigem Haar

Schmiegt bittend die kleinen Händchen um dich.

Die Thränen ins helle Äuglein ihr treten.

Sie lallet: Vater, verschone mich,

Ich will auf Erden für dich beten!

Du siehst ihr ins unschuldig fromme Gesicht,

Du möchtest gern schonen und kannst es doch nicht!


Wild.


Es reizt dich der Teufel, es treibt dich die Wut.

Du mußt es saugen, das teure Blut![76]

So lebst du, bis du zur Hölle fährst,

Der du auf ewig nun angehörst;

Selbst dort noch weichet vor deinem Blick

Die Schar der Verworfnen mit Schrecken zurück:

Denn gegen dich sind sie engelrein,

Und der Verdammte bist du allein! –


Er streckt seine linke Hand gegen Aubry aus.


Aubry starrt ihn entsetzt an und tritt einen Schritt zurück.


RUTHWEN.

Du starrst? Du stehst entsetzt vor mir?


Lachend.


Haha! ich zeichnete nach der Natur,

Meine eigne Geschichte erzählte ich dir.

Jetzt geh hin! – Geh hin! – Geh hin!

Und brich deinen Schwur!


Er eilt ab nach rechts hinten vor der Terrasse.


Quelle:
Heinrich Marschner: Der Vampyr. Dichtung von Wilhelm August Wohlbrück, Leipzig [o. J.], S. 74-77.
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