Zehnter Auftritt

[77] Aubry allein.


AUBRY starrt Ruthwen entsetzt nach.

Ha! wie das grausenvolle Bild

Mich mit Entsetzen ganz erfüllt;

Kein Trost, kein Ausweg zeigt sich hier,

Sie ist verloren! Wehe mir!


Er sinkt auf einen Stuhl am Tisch rechts.


Nr. 15. Arie.


AUBRY.

Wie ein schöner Frühlingsmorgen

Lag das Leben sonst vor mir,

All mein Wünschen, all mein Sorgen

War ein heitrer Blick von ihr.


Er steht auf.


Flur und Wald schien nur zu leben,

Um ihr Bild zurückzugeben,

Und mit süßem Zauberklingen

Nur von ihr, von ihr zu singen.

Denn ihr Antlitz wunderhold

Lacht aus jeder Blume mir,

Aus der Abendröte Gold,[77]

Aus der Sterne Glanzrevier.

Ach, ihr Antlitz wunderhold,

Lacht aus jeder Blume mir!

Zephir schien mit ihr zu kosen,

Nur von ihr sang Quell und Baum,

Und entschlummert unter Rosen

Träumte noch von ihr der Traum. –

Doch jetzt umgiebt mich dunkle Nacht,

Ich verzweifl' an Gottes Macht;

Unheilbringende Dämonen

Scheinen die Schöpfung nur zu bewohnen.

Grinsend hör' ich sie triumphieren,

Zum Verderben muß es führen,

Was ich auch beginnen wollte. –

Und von allem, was mir droht,

Ist das minder Schreckensvolle:

Wahnsinn! Wahnsinn, oder Tod!

George Dibdin kommt von rechts hinten vor der Terrasse.


Quelle:
Heinrich Marschner: Der Vampyr. Dichtung von Wilhelm August Wohlbrück, Leipzig [o. J.], S. 77-78.
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