[78] FAUST am Meeresstrand erwachend.
Wo bin ich? Welches fremde Dasein grüßt mich hier?
Schiffbrüchig, einsam, ausgeschleudert von dem Ocean
Auf nackte Klippe. Die Gefährten, ach, wo sind sie hin?
Versunken, all' versunken, ich allein gerettet nur.
Armsel'ge Freude! War nicht tief genug das Meer
Mein Wehe zu ertränken, meines Lebes Qual?[78]
HERAKLEITOS.
Laß ab vom Jammer, Fremdling, sei gegrüßt auf fremdem Strand!
Schiffbrüchig, einsam, athmest dennoch sel'ge Wonne Du:
Des Lichtes Zauber. Herrlich ist's, zu schau'n das Licht!
Zeus' Wohlthat strömt herab von des Olympos Höh'n
Im Strahl des Lichtes.
FAUST.
Hoher Greis, wie nenn' ich Dich?
HERAKLEITOS.
Du kennst mich, Jüngling; Herakleitos ward ich einst genannt,
Da noch des Lichtes Segnung mich Hochaltrigen umfloß.
FAUST.
So wär'st ein Schatten Du auch? Soll denn ewiglich
Mein qualenreicher Geist nur von der Unterwelt umgarnt sich sehn,
Nur Schatten, Geister, Larven meinem Pfad sich nahn?
O würd'ger Schatten, Herakleitos, fliehe weit hinweg!
Dein Grabesodem haucht mich mit Verwesung an,
Den Vielbethörten mit des Wahnsinns kaltem Hauch.
HERAKLEITOS.
Jüngling, das Schicksal schlug Dich schwer, so scheint es mir;
Aus Meeres grausen Wunden taucht Dein Wesen auf;[79]
Noch spukt um Dich der trüben Tiefe grauses Bild;
Jedoch am seligheitren Licht erhole Dich!
Dir nahe wogt und wallt hier des Olympos Liebesgluth,
Dein ewig Irrsal endet hier vielleicht in sanfter Ruh.
Doch muß ich Deinen müden Leib erquicken erst
Durch Speis' und Schlummer; und so folge mir in jenen Fesengrund!
In einer Wundergrotte lieblich Innres führ' ich Dich.
Sie treten in die Grotte.
FAUST.
Mein Leib ist rüstig, Herakleitos, doch mein armer Geist
Wird von des Lebens Bürde todtgedrückt.
HERAKLEITOS.
Des Lebens, Jüngling? Wenig von dem Leben, scheint es, sahst Du noch;
Doch glaub' ich, böse Geister rissen früh Dein Dasein hin.
Vertraue mir, Du kennst mich. Bin ich ein Gestorbner gleich,
Doch weilt mein Geist, der freie, liebend stündlich auf der Oberwelt;
Denn rastlos forschend stieg ich einstens in das Reich der Nacht,
Die Menschen zu beglücken mit des Wissens Licht.
So gnädig und so liebend aber zeigte sich die Gottheit mir,[80]
Daß des Gedankens Leuchte nimmer mir erlosch
Im Graun der Nächte; darum kann ich Dir, mein Sohn,
In Deines Zweifels Irrsal wohl ein sichrer Führer sein.
FAUST.
O Greis, es tröstet kräftig mich Dein Liebeswort,
So wie des Strahles Heitre selber, den Du rühmst.
Dich, den Geweihten, zeige Du mir auch als Gütigen;
Ein Mittler werde zwischen mir, dem Irrenden,
Dem auf dem Nachtmeer wüsten Denkens Rudernden
Und zwischen ihr, der heil'gen Gottheit, die sich mir in Graun verhüllt.
Ein Fluch des Daseins, ein uralter, Vater, ruht auf mir:
In Nacht ward ich erzeuget, ward geboren einst
Bei Blitz und Donner, bei des Sturmes Wuthgeheul,
Beim Aufruhr aller Elemente, in dem Gipfelgraun Der Wetternacht.
Ein lieblich jungfräuliches Wesen war's, die mich gebar,
Die mir (o herbes Leid!) der grimme Tod sogleich entriß.
Wie ich gelebt, o Vater, bis zum Jüngling ich gereift,
Ich kann's nicht offenbaren; ew'ge Dunkelheit
Hüllt meines Daseins erste Jugend ein;
Nur daß, wie ferner Leuchtung Seligkeit,[81]
Zuweilen aus des Vormals nächt'gem Schooße mir
Ein seliges Erinnern in die Seele dringt,
Ein Paradies mir zeigend, das sogleich in Nichts versinkt,
Den Himmel zeigend, den sogleich die Mitternacht verschlingt.
Auf einem wüsten Kirchhof findet sich zuerst mein Geist:
Mir scheint, auf eines süßen Weibes Hügel jammr' ich hier,
Auf einer Jungfrau Grabmal, die vom glüh'ndem Herzen einst
Des Todes Faust mir riß mit grimmem Hohn.
Larven und Geister, gräulichekel anzuschaun,
Umkreisen mich und necken und verspotten mich.
Die Schatten längst entschlafner Helden steigen auf,
Die grausam, wie mich selber, einst des Denkens Grimm zerfleischt,
Und zeigen mir in ungeheurer Todtengruft
Ein modrig fäulnißvolles Kaisergrab,
Worinnen der Gedanke selber – gräßlich anzuschaun! –
In stündlich wachsender Verwesung liegt.
Hier fordr' ich Aufschluß, Wahrheit, Offenbarung fordr' ich laut,
Dieweil der Schauder mir am bangen Herzen nagt
Da fliehn die Schatten, höhnen und verlachen mich,
Und laden mich zu Thee und Abendbrod
Zur Zeit des Uhus grinsend auf ein andermal.[82]
Der Grüfte Kiefern hör ich krachend schließen sich;
Mondlicht verlöschet, jeder Schein erblaßt und stirbt;
Auf graus'gem Golgatha der Menschlichkeit
Steh' ich allein, von Nächten ganz verschlungen, wie der Dichter singt.
Ein andres Mal auf einer schnöden Haide find' ich mich,
Wo rings nur Tabakspflanzen und Kartoffeln blüh'n,
In eines Teufelskerls Gesellschaft, der im Bilde mir
Der fernen Riesenwildniß hohe Wunder zeigt.
Da sink' ich staunend, betend, wonniglich zerfließend hin,
Umblüht von Wunderblumen, von Gewässern, die im Purpur glüh'n, umrauscht,
Von süßen Stimmen, ewig fernen, zauberisch begrüßt.
Nacht wird's, die Flammen lodern urgroß, höllenhaft
Vom Schooß der Fluthen zu des Himmels Wölbung auf;
Ein ungeheures Beben, Bersten, Donnern wüthet durch die Schöpfung hin;
Der Urbaum berstet, heulend wühlt das Krokodil
Den Schlamm des Ufers auf zur Bergeshöh;
Ein ungeheures Aengsten geht als wie ein dunkler Feuergeist
Durch alle Schöpfung; fürchterlich ergreift er mich
Und streckt zu Boden mit der Krallenfaust mich ärmsten Wurm.
Da aber bricht auf einmal über mich den Schlummernden[83]
Der Hohn der Schöpfung tausendstimmig, gräßlich aus.
Zerschmettert werd' ich durch ein ungeheures Strafgericht;
Der Himmel, er verstößt mich, weil an Gott ich zweifelte,
Die Hölle selber, weil ich vor dem Demiurg erbebt.
Jammer umfängt mich, Firmament verliert den Schein,
Nacht, ew'gen Wissens Nacht umfluthet mich –
Da packt mich selber, mich, das arme Bettelkind,
Ein unbeschreiblich Zürnen und Verzweiflungsgrimm.
Dem Himmel fluch' ich gänzlich, Todesgöttern weih' ich mich;
Satan und Hölle ruf' ich, sinke dann von Neuem hin,
Zerbrechend in des eignen Schmerzes Vollgewalt. –
Was ferner nun mit mir geschah, ich weiß es nicht;
Nur steigt mir's wie ein wüster Traum empor
Aus grausen Nächten der Vergangenheit,
Daß ich auf einem stolzen reichbemannten Schiff
Auf Weltmeers Brust gesegelt viele Monden lang,
Hier nun erwach' ich wieder, ein Gescheiterter. –
Das ist das Meer! O hättest Du verschlungen mich!
Denn Satan, der Naturgott, geißelt mich von Pol zu Pol,
Bis in des Wahnsinns Abgrund doch zuletzt mein Geist versinkt.[84]
HERAKLEITOS.
Jüngling, so klar als riesenhaft steht Deine Qual
Mir vor der Seele, Der Gedanke ist's, der Dich zerfleischt!
Ich kenn' ihn wohl, den furchtbar'n Quäler, den gewaltigen.
Natur, ein ungeheures Grabmal, gähnt auf Dich,
Belebt (gespenstig nur) von der Lemuren millionenfält'ger Zahl.
Die Seele rette, ärmster, schwergeprüfter Sohn!
Denn von dem Geiste, dem verklärten, red' ich nicht mit Dir;
Ihn zu erlösen von der Seele Fesseln – dies nur gilt's.
Wage zu leben, Jüngling! Doch zuvor erquicke Dich.
FAUST.
Du sprichst in Räthseln. Ja, ich fühl' es deutlich nun,
Das finstrer Wahnsinn zu zerfleischen mich beginnt;
Denn des Gedankens Weihesprache fass' ich selbst nicht mehr.
HERAKLEITOS.
Mein Wort ist deutlich: Offenbarung spricht es aus.
Aufmerke, Träumer! Graunvoll tückisch ist Natur,
Der Bosheit und der listigen Verlockung Inbegriff.
Auf grünen Rasens Bette wohlig, kühlig schläfst Du ein[85]
Und träumst von süßen Zeiten, von dem Himmelsparadies –
Da kommt und nahet leise schleichend sich Natur,
Wie eine unvergleichlich schöne Jungfrau anzuschaun,
Und schüttelt mit dem Zauberstab aus schwarzem Eibenholz
Vom Zauberbaume Blüthen auf den Schlummernden herab;
Und mit des Stabes Ende, der von Erz gebaut,
Gibt Dir die unvergleichlich schöne Zauberin
Den kalten, grimmen, schaudervollen Schlag auf's Herz.
Von ihm, der tieferkältend in des Herzens Wurzeln dringt,
Erwachst Du sonder Ahnung, harmlos; doch Dein ganzer Himmel ist zerstört,
Versunken süßer Kindheit, süßen Glaubens Paradies,
Und aufgethan der Tiefe Nachtschooß. Deinen Träumen nun,
Nicht Deinem Wissen, öffnet, spaltet sich der dunkle Schein,
Und speit Gestalten, fabelhafte, nächtliche,
Wie ein Vulkan den heißen Strom der Lava speit.
Nie ihrem fürchterlichen Feuerkreis, der eng und enger sich
Um Deine Seele schließet, nie entrinnst zu ihm;
Denn dies bedenke, daß Du nur ein Träumer bist,[86]
Im Netz des wirren Traums beschlossen ganz und gar.
Dem matten Schimmer – der aus Nebelfernen Dir entgegenglänzt –
Dem bleichen Kleinod des Gedankens läufst Du nach,
Ihn ahnend, suchend; doch der Teufel tritt Dir in den Weg
Und legt dem Fluge Deines schwachen Denkens Fesseln an,
Des Traumes ungeheures bleiernes Gewicht.
Aus tiefen Nöthen stöhnst Du: Hebe, Satan, Dich hinweg!
Umsonst, umsonst! – Denn Armer, wenn das Firmament zerbirst,
Wenn Atlas' Schulter vom Gewicht der Welt zerbricht,
Dann löschen alle Sterne. Mann, unsel'ger Mann,
Du jammerst meiner Seele. Wie erlös' ich Dich?
Wie, in des Denkens tiefverschloss'nem Kämmerlein,
Berath' ich Deine Rettung? Laß versuchen es!
Der alte Nereus gönnt mir heute noch die Oberwelt;
So laß mich wirken im Gedanken für den armen Sohn!
Ich, Herakleitos, der schon vor Jahrtausenden die Nacht durchschritt
Mit Denkens Fackel, will versuchen zu erlösen Dich.
Nur auf das Eine, Jüngling, gib noch Antwort mir:
Glaubst Du, das wahrhaft Gottes Wesen durch das Weltall geht?
Glaubst Du, daß droben hinter Wolken nicht[87]
Herr Vater, uralt, schläfrig, immer unerrufbar sitzt,
Vielmehr sein Geist in jeglichem Erschaffnen zeugend, siegreich wohnt,
Im All das Eine, Schöpfer und Geschöpf zugleich,
Substanz und Wesen, aber auch Begriff zugleich,
Der als die ew'ge Causa aus dem Weltall springt,
Und, als Gedanke, Deines eignen Denkens Wesen wird?
Glaubst Du an dieser Offenbarung tiefe Einigkeit,
Und daß allein dies Werden und Verendlichen
Des höchsten Gottes sein geisthaftig Offenbaren ist
Vom ew'gen Vater durch den eingebornen Sohn
Zum heil'gen Geiste? Jüngling, sage: Glaubst Du dies?
Wie nun? Du sprichst nicht, scheinst verstummet ganz,
In wüste Träum' auf's Neu versunken? Rede, Freund!
Im Namen des allgegenwärtigen Gottes ruf' ich Dich!
Du schweigst noch immer? Starr erkaltet seh' ich nun auf einmal Dich.
Bist Du gestorben? Götter, jetzt errath' ich es!
O Grausen! Ich, der Lehrer und der Retter selbst,
Bin Schuld an dieses Freundes höchst entsetzlichem Geschick.
In diese Grotte führ' ich ihn, die jeglichen versteint,
Der noch die Fesseln trägt der seelischen Naturgewalt.
Götter, so ist er Stein geworden, den erlösen ich gewollt![88]
Schwachsinn'ger Alter, und ein Weihevoller willst Du sein?
Stein ist er! Richte nun, o Zeus, die Frevelthat,
Die hier unwissend Vater Herakleit beging!
Wie das? Wer naht sich hier mit rohem Schritt,
Mich störend in des höchsten Leides Einsamkeit?
Es tritt ein etwas langer Cavalier mit rothem Wamms in die Grotte.
CAVALIER.
Mein Alterchen, Uralterchen, von Pelops Zeiten her,
Ich bitt' Euch, nehmt nicht übel mir den kleinen Spaß.
Ihr seid ein Weiser; doch ich habe – glaubt mir – Weisere gesehn.
In Eurer Riesenweisheit ist entgangen Euch
Der Stalaktitenhöhle Fluch und Zauberkraft.
Wir, unsrerseits, wir sahen wohl Euch wandeln mit dem Faust,
Doch fühlten wir zur Warnung diesmal uns nicht aufgelegt.
Was thut's, Papachen? Seht, ein steinern Bild ist auch ein Bild.
Beschaut nur, wie in aller Eile so die Steinnatur
Bei diesem träumerischen Burschen übergreift!
Wie so im Kurzen süßes Fleisch zum Porphyr wird,
Die Nase, die vertraunerweckende, zum Schieferstück,
Worauf Mephisto, dieser kleine Schalk, die Zeche schreibt!
Seht, wie die jünglinghaften Beine jetzo Säulen sind,
[89] Basaltne Pfeiler, klingend wie Herr Memnon einst!
Der Bursch steht fest; dies, Alterchen, versichr' ich Euch;
Und wenn Ihr diesen werthen Freund so lieb gehabt,
So kann ich freundlich nur das Eine rathen Euch:
Brecht Euch ein Stückchen von den Feldspathohren ab,
Und setzt das Feldspathstückchen Euren eignen an –
Denn diese Ehre hat sich Eure Weisheit heut verdient.
HERAKLEITOS.
Verruchter, mit der Hölle recht' und streit' ich nicht.
Wahr ist's, das neue Bubenstück ist trefflich ausgeführt;
Doch wird – ich weiß es – aufgehn über diesem Stein
Ein Morgenroth, vor dem der Hölle Fackellicht erbleichen muß.
Ab.
CAVALIER.
Da geht er hin der Alte, etwas stutzig, wie mir's scheint.
So lauf' er! Nun, Herr Faust, gehabt Euch wohl!
Lebt wohl, mein stiller Herr und Gast von Stein!
Lebt wohl, »mein Herr modernes Marmorbild!«
Es wird so glaub' ich, manch ein Jahr vergehn,
Bevor ein Sönnchen sich in dies Boudoir verläuft.
Cavalier entfernt sich.
ECHOSTIMMEN in der Felsgrotte.
Und so hat's Natur vollendet,
Grausens Gipfel ist erreicht;[90]
Lichtgeist ist mit Nacht geblendet,
Und des Gottes Hilfe schweigt.
Felsgestein die Gliederfülle!
Zum Granit der Geist versteint!
Wehe, wenn die starre Hülle
Nun krystallne Tropfen weint!
Unglückssohn, wie soll das werden?
Welch ein Ende naht sich Dir?
Keines Retters Macht auf Erden
Findet den Entseelten hier.
Wo der Sündfluth Reste thronen –
Mammuths urthierhaft Gebein –
Ragt er gräßlich durch Aeonen,
Ein entmenschter Marmelstein!
Gräßlichst, wenn vielleicht Gedanken
Leis verwitternd, marmorhaft
Noch sich regen, rucken, ranken
In dem düstern Porphyrschaft;
Wenn vielleicht Aeonenlängen
Steinhaft Sterben Dich durchschleicht – –
Höchster Dulder, mach ein Gott Dir
Dein unendlich Drangsal leicht!
Echostimmen verhallen.
[91]
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