Veränderte Scene.

[197] Das Innre einer Hütte, altherthümlich-ländlich.


JUNGES MÄDCHEN. Legt ihn nur auf jenes weiche Lager, guter Herr; das wird ihn stärken, und ich will ihn treulich pflegen bis daß er genesen ist. Wie leid thut es mir doch, daß Großmutter nicht daheim! Die kommt erst mit morgen aus der Stadt, hat frische Kräuter eingekauft. So, guter Herr, jetzt liegt er bequem. Nun hol' ich die Tropfen.

CASPAR. Liebes Mädchen, Du bist sehr jung, zart schön und behilflich, und das Alles lohne Dir unser Herrgott. Aber wenn Du einmal die Tropfen holst für meinen armen Herrn, bitte Dich, bring' etwas Speise[197] mit für den Caspar, der, eben so arm, aber weit hungriger ist.

JUNGES MÄDCHEN. Soll geschehen, Herr; es fehlt uns nicht an Speise.

FAUST aus der Betäubung erwachend.

Wo bin ich? Weilt an meinem Schmerzenslager schon der Tod?

Ja, ja, ich fühl's, kalt steht er dort, ein grauses Bild,

Und reicht mir aus dem Leichentuch die Knochenhand!

Fahr wohl, mein Leben! Leben? O es war ein Sterben ja,

Ein ewig qualvoll Sterben! Wie so ruhig naht die letzte Stunde nun,

So unerklärlich-friedlich, so still, selig räthselhaft!


Das Mädchen tritt ein.


Wer bist Du, treues, holdes, reines Mädchenbild?

Bist Fiordiligi? Bist die Lilienblum' Cäcilia?

So reizend, lieb und traulich, ach, so gastlich die Gestalt!

Mir scheint, Dein lieblich Wesen hat Natur geformt

Aus den Atomen all der süßen Frauen, die ich einst geliebt.

Tritt her, Du Reine, hier zu Fausti Sterbelager tritt,

Des Zweiflers, Grüblers, des unsel'gen Menschenkinds,

Den früh der grause Blitzstrahl mächtger Weihe traf.

O wie so still und traut in diesem kleinen Kämmerlein![198]

Die Wanduhr tickert, deutlich hört mein leises Ohr

Das Unrueih läuten. Sanft erglimmt am Fensterlein

Des Spätroths Schimmer durch den grünen Winterzweig

Von Tann' und Vogelbeere, wo, vertieft in winterlich Betrachten, still

Rothkehlchen sitzt, wo kleiner Zwerg Zaunkönig munter hüpft. –

Welch unverhofftes Ende! Also selig, friedvoll schließt

Des Zweiflers Laufbahn? Steht kein dunkler Nachtgeist hier am Lager mir?

Blickt nicht aus düsterm Vorhang Erbfeinds Flammenaug?

Schweben nicht Teufelsfratzen vor des Sterbenden gebrochnem Blick?

Nein, Alles still und ruhig, Alles andacht-gotterfüllt. –

Ist das der Unschuld Lichtmacht? Liebes theures Kind,

Du volle frische Rose, die den Sterbenden an ewiglich Verlornes mahnt –

Tritt her zu Fausto, reiche mir die warme Jugendhand!

JUNGES MÄDCHEN. Theurer Herr, da sind meine zwei Hände. Aber sie werden Euch wenig helfen von Eurem Uebel. Wollt Ihr aber dieses Elixir nehmen, das Großmütterlein bereitet – das ist das Lebenselixir – davon wird Euer Leib gewiß genesen.[199]

FAUST.

Er soll nicht, süßes Mädchen. Dich anschauend nur

Will ich verscheiden; denn die Unschuld ist ein starker Hort,

Ein' feste Burg und Waffen für den Sterbenden.

Für Schuld muß Unschuld flehn vor Gottes Thron. –

Wie wohl und kühlig trifft mich Deines Auges Strahl!

Nun, nimm die Bibel, dieses heil'ge Gottesbuch,

Setz' Dich zu meinen Häupten, lies daraus mir vor

Mit heller Stimme, was der Fels der Kirche schreibt,

Nicht Petrus, sondern Paulus, der bekehrte Saul.

Denn aus dem Zweifel geht Erkenntnis glorienhaft hervor;

Das seh' und fass' ich sterbend. Saulus also soll es sein. –

Du aber, Mädchen, schling' um meinen Hals den Lilienarm;

Mit Deines reinen Odems Lebenshauch durchwürze mich,

Damit ich noch ein Weilchen athme auf der dunklen Erdenwelt

Damit ich schauend, trinkend Deiner Züge Lieblichkeit,

Erinnrungsselig schwebe zu dem Himmelreich empor

Auf Fiordiligi's Engelschwingen, auf Cäciliens.

So lies, holdselig Kind, ich lausche Dir. –

JUNGES MÄDCHEN liest. »Ich habe es von dem Herrn empfangen, das ich[200] Euch gegeben habe. Denn der Herr Jesus in der Nacht, da er verrathen ward, nahm er das Brot, dankete und brach's und gab's seinen Jüngern und sprach: Nehmet hin und esset; das ist mein Leib, der für Euch gebrochen wird. Solches thut zu meinem Gedächtniß. Desselbigen Gleichen nahm er auch den Kelch nach dem Abendmahl und sprach: Nehmet hin und trinket Alle daraus; dieser Kelch ist das neue Testament in meinem Blut, das für Euch vergossen ist zur Vergebung der Sünden. Solches thut, so oft Ihr's trinket, zu meinem Gedächtniß. Denn so oft ihr von diesem Brot esset und von diesem Kelch trinket, sollt Ihr des Herrn Tod verkündigen, bis daß er kommt. Nun aber ist Christus auferstanden von den Todten, und muß herrschen, bis daß er alle seine Feinde unter seine Füße lege. Der letzte Feind, der aufgehoben wird, ist der Tod.« –

FAUST.

Genug, mein holdes Kind! O selig Evangelium!

Der letzte Feind von allen ist der Tod.

Nun sterb' ich selig, von des Heilands Blute mit erkauft –

Der letzte Feind von allen ist der Tod!

EIN ROTHER CAVALIER tritt stürmisch herein. Um Vergebung, Herr Faust, Herr Zweifler, Herr Apostat, Herr Renegat, Herr eingeteufelter Naturgeweihter, oder wie Ihr Euch sonst zu nennen beliebt:[201] Der letzte Feind von Allen ist nicht der Tod, sondern das bin ich, ich, Satanas. Erdenwurm, erkennst Du das?


Hält ihm die Schrift vor.


FAUST im Krampf.

Verruchtes Scheusal, flieh' aus diesem Heiligthum!

(Verlaß nicht meine Häupten, holdes Frauenbild!)

In Deiner Unschuld Lilienkleid hülle mich selbst,

Mich Sterbenden, in Gottes Unschuld, daß nicht jenes Scheusal mich

Ergreif' und fasse; denn nicht ihm gehör' ich an,

Bin Gottes, bin erkauft, wie Du, durch Christi Blut!

Christe, Dich ruf' ich; jetzt in Kreuzes Glanz verkläre Dich!

JUNGES MÄDCHEN.

Ich lass' nicht diesen Mann! In Jesu Namen, Feind,

Beschwör' ich Dich, entweich' aus diesem Heiligthum

STIMME draußen.

Beschwören? Nimmer! Doch bezwingen werd'ich ihn!

STRAHLENRITTER mit dem Kreuzesschwert.

Erkennt Ihr mich? Jetzt, Hölle, ficht mit mir!

FAUST die Arme ausbreitend.

Heiland, wer bist Du?

STRAHLENRITTER.

Du hast das Leben nicht ertragen Faust;[202]

So muß Dein Schicksal immer Dein Verhängniß sein.

Doch aus des Satans Klauen lös' ich siegreich Dich!

Der Leib dem Teufel; der Natur sei, was natürlich war!

Nimm auch die Seel', Herr Teufel; doch den Geist nehm' ich für mich!

Breit' aus Dein Banner jetzt, das meine flammt

In diesem goldnen Schwerte; jetzo ficht mit mir!

SATAN.

Fluch Dir, Du Arger! Leib und Seele nehm' ich denn,

Und fluchend, knirschend fahr' mit ihnen ich in's Höllenreich.

JUNGES MÄDCHEN.

Er ist verschieden!

STRAHLENRITTER.

Den Geist ergreif' ich, schweb' empor mit ihm

Zum lichten Himmel. Holdes Mädchen, lebe wohl!

JUNGES MÄDCHEN betend auf den Knieen.

Auferstehn, ja auferstehn wirst Du,

Mein Geist nach kurzer Ruh!

Unsterblich's Leben

Wird, der Dich schuf, Dir geben –

Halleluja![203]


Quelle:
Marlow, F. [d.i. Ludwig Hermann Wolfram]: Faust. Ein dramatisches Gedicht in drei Abschnitten, Neu herausgegeben und mit einer biographischen Einleitung versehen von Otto Neurath, II. Teil: Text des Faust, Berlin [1906].
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