Veränderte Scene.

[132] Freie Gegend. Sonnenaufgang.


FAUST auf der Wanderung.

Verlassen hab' ich nun das alte Rom,

Sehnsücht'ger Wünsche fernes Wunderziel,

Das Riesengrabmal der Vergangenheit,

Die Trümmerstadt versunkner Herrlichkeit;

Ja wohl ein Kirchhof, wüst und grauenvoll,

Erfüllt von Träumen, unheilvollen Larven,

Phantomen und Gespenstern, mitternächt'ger Schauplatz

Von jedem Spuk, den, Geister zu bethören,[132]

Nie Höll' entsendet. Altergraues Rom,

Verwitterter, bemooster Steincoloß,

Nicht sehn' ich mich zurück in Deine Enge,

Dicht ruht auf Dir mein rückgewandtes Auge;

Du triebst ein böses Spiel mit meiner Ruh,

Du wolltest listig, tückisch mich bethören

Mit schnödem Schein des Lebens. Fort von Dir!

Mich dürstet's, frei die Flügel zu entfalten,

Den dumpf'gen Kerkerbrodem abzuschütteln,

Den schwerbefangnen Geist auf lichter Lebenhöh'

Sanft zu erquicken. Freie frische Lust

Des Wanderns, wie belebst Du mein Gemüth!

Wie Ganymed, der hohe Götterjüngling,

So öffn' ich meine Brust dem Morgenwind,

Zu baden mich in reinem Aetherstrom.

Wie sprach zu mir im Scheiden jener Fremdling,

Der strahlenreiche? »Rüste Dich zum Leben;

Die Larven scheuche weit; nicht rechts und links,

Nur immer nach dem Kleinod sollst Du blicken!«

Wohlan, ich rüste mich und fühl in mir

Des Lebens lichte Wogen mächt'ger brausen.

Nur jene seltsam-dunkle Weissagung,

Aus seinem Mund vernommen, fass' ich nicht:

»Wenn Du,« so sprach er, »eines Tempels Zinnen

Im Morgensonnengolde leuchten siehst,

Der seine Pforten mächt'gen Klanges öffnet –

Dort tritt hinein, andächtig, gottverlangend;[133]

Dort werden Blumen Deine Lehrer sein.

Wenn diese Dir in nie gehörten Lauten

Ihr tiefgeheimes Blüthenwesen öffnen,

Ihr Sein und Unterschiedensein entfalten,

So merk' und lausch' und denke still bei Dir:

Das ist der Geist der Wahrheit, der hier zeugt,

Der Geist des Lebens, der, zur Blume worden,

Dem Schüler kündet wie man leben soll. –

So mein Prophet. Wie aber deut' ich das?

Als neue List? als endliche Befreiung?

Da steh' ich wieder zweifelnd, grübelnd still!

Dies Eine aber scheint mir sonnenklar:

Wär ich Unsel'ger erst die Wunder los,

So würde mit dem Leben sich's wohl finden.

Was für ein herrlich Thal erschließt sich hier

Friedselig, duftig, zwischen grünen Höhen

So einsam still und traulich? Hier von Grün und Duft

Umrauscht, umwogt, von Farben reich umblüht,

Den eklen Staub der Weltstadt abzuschütteln,

Wie frommte dies! Ja, hier ist heitres Leben

Und süßen Daseins würd'ge Vorbereitung.

Hier laß uns Hütten bauen! Welch ein Glanz

Steigt über jenen Wipfeln leuchtend auf,

So goldhaft, sonnenhell, so mährchenhaft!

Das ist nicht Sonnenglanz; nein, schau ich recht,

Der Tempel ist's mit seinen goldenen Zinnen,

Und hier wo eng der Pfad durch Laub sich windet,[134]

Hier nah' ich mich der seligen Verheißung.

Auf denn, mein lebensrüst'ger frischer Geist,

Der ehrnen Pforte nahe Dich getrost!

Klopf an, Du Lebensdurst'ger, Dir wird aufgethan!


Es zeigt sich ein prächtiger Tempelbau. Faust klopft. Die Pforten öffnen sich und lassen den Wanderer ein.


STIMME.

Schüler, bevor Dein Fuß betritt dies Heiligthum,

Leg' ab den Eidschwur, daß geweiht Du werden magst!

FAUST.

Was für ein Eid es sei, ich leist' ihn willig Euch;

Nur in der Offenbarung heil'ge Hallen laßt mich ein.

STIMME.

Vor jener schwarzen Marmortafel stehe still,

Wo leuchtend Dir die Flammenschrift entgegenbrennt.

Die Züg' enträths'le, ihre Worte sprich vernehmlich aus!

FAUST.

Nie las ich solche wunderlich geformte Runenschrift;

Doch ist's, als käm ein Geist der Offenbarung über mich,

Und schnell erfass' ich ihren wundersam verschlungnen Sinn;

Der Weisheit Ausdruck bietet mir von selbst sich dar.

So steht's geschrieben: »Ich, ein Schüler, Faust genannt,

Gelobe mich dem Leben innig, unabwendig an,[135]

Den Mächten huld'gend, die des Lebens Leiter sind;

Vertrauend ihnen, biet' ich Trotz dem dunklen Feind,

Der, in der Erde Nächten hausend, argen Frevel spinnt.

Erlösung suchend, weih' ich dem Genusse mich,

Entsagend jedem Wissen, welches nicht ein Leben ist.

So von dem Grübeldämon finstrer Forschung wend' ich mich,

Des Lebens heitren Göttern bleib' ich einzig unterthan.« –

STIMME.

Beschworen ist es; nun entrolle sich der Vorhang Dir,

Und als ein keuscher Zögling tritt in's Heiligthum.


Das Innere des Tempels öffnet sich. Faust betritt den Blumensaal.


FAUST.

O Himmel, welches Meer von Düften wallet hier!

Blumengestalten so unsaglich-herrlich hab' ich nie erblickt.

Wie Götterbilder steh'n sie rings und schau'n mich an;

Doch warm und innig fleußt von ihnen Lebensodem aus.

Erhabene, Leuchtende, Ihr seid mir alle lieb und traut;

Nicht kalt und fremd, nein, heimlich traulich grüßt Ihr mich.

Ich kenn Euch alle, längst befreundet seid Ihr mir;

Derselben Heimath, wie ich selbst, gehört Ihr an.

In meiner Kindheit lichten Tagen schon umgabt Ihr mich

Mit Blüth' und Düften, Euer Wesen ist dem meinen gleich.[136]

Nichts Fernes, Fremdes, Unbegreifliches ist unter Euch,

Nur Nahes, Längstgewohntes;

Kein fabelhaftes Spukgewächs aus fernem Tropenland,

Nur liebliche Vertraute seh' ich meiner blumenheitren Jugendzeit:

Dich, Rose, Nelke, Dich Du würzig glühende,

Dich, Sonnenblume, hehres, lichtes, klares Götterbild!

Jasmin, Du bleicher, Nachtviol, Du duftig- innigster!

Osel'ge Freunde, wie in Eurer Blumennähe wohl ist mir!

Wie glänzend diese Räume, aber frei und licht!

Wie prächtig diese Kuppel, doch der Himmel schaut herab!

Wie magisch dieser Fenster buntes Zauberlicht,

Doch ist's ein Gnadenschein, der aus des farb'gen Glases Tiefen dringt!

Von Himmelshöhen eine ew'ge Lampe niederschwebt;

Ein Sessel ist bereitet, blau und hell gestickt,

Den Pilger zu empfangen, den ermüdeten.

Wohlan, in seine weichen Kissen sink' ich hin,

Aufhorchend, lauschend, was hier für Verheißung werden soll.


Faust sinkt in den Sessel; die Blumen treten einzeln aus ihren Nischen, nahen sich Fausto und verneigen sich vor ihm.


BALSAMINE.

Balsamine bin ich genannt;

Mit Balsam hab ich nichts verwandt.[137]

Weil ich mich Duft's entschlagen muß,

So dien' ich hier als Prologus,

Katalogus und Famulus,

Als Castellan und Rapsodus.

Von Poesie steckt nichts in mir

Bin auch kein philosophisch Thier,

Des Stammes und der Zweige Fett

Macht mich der Metaphysik wett.

Die Logik fördert nicht beim Schwitzen;

Wer speculirt, will trocken sitzen.

Mein Wesen ist die Feuchtigkeit

Und absolute Durstigkeit;

Letzten Grundes Thatsächlichkeit

Ist mir die nasse Flüssigkeit;

Hiernächstens kommt der Branntewein

Als Synthesis von vorn herein;

Von diesem postulir' ich weiter,

Und finde so – den Magenkräuter.

Jetzunder aber läugn' ich frei,

Daß der Fusel perfectibel sei;

Vielmehr bestimm' ich diesen Plunder

Logisch als erstes Glaubenswunder.

Hinwiederum bestimmt der Fusel

Mein Denken zum completten Dusel,

Als welcher, methodisch exercirt,

stricte zu den Antinomien führt.

Das sind von allen die größten Schrecken,[138]

Da ließ schon Kantchen die Stiefel stecken.

Das Krüglein aber fürcht't sich nicht,

Das geht zu Wasser, bis es bricht.

Der Antinomien hab' ich vier:

Schnaps, Rum, Liqueur und Lagerbier.

Wovon Du willst, da schenk' Dir ein,

Die Hauptsach ist: betrunken sein.

Und hast Du's erst so weit gebracht,

Nimm nur das rechte Wort in Acht:

Δος μοι που ςῷ! ruf' dreimal aus,

Da guckt der liebe Gott heraus

Als »Ding an sich« im Negligé,

Dem thut der arme Lampe weh

Und spricht: »Wiewohl Du dich besoffen,

Sollst Du doch auf Erlösung hoffen,

Komm hier herauf, Du altes Haus,

Und schlafe Deinen Dusel aus.«


Balsamine verneigt sich und trippelt fort.


FAUST.

Ei Du verwünschtes altes Weib,

Den Teufel wünsch' ich Dir im Leib!

Meinst Du, Du aufgedunsene Vettel,

Mich kümm're solcher Geistesbettel?

Ich sage Dir, Du Blumentropf,

Dein Thun schmeckt nach Perrück' und Zopf,

Nach urdeutsch-eklem Semmelbrei,

Nach schnödester Philisterei,[139]

Nach Anno sechzig und da herum,

Nach Witwencassenchristentum,

Nach Merkelscher Drehköpfigkeit,

Nach Roquelaure und Tressenkleid.

Ist das Dein ganz Philosophiren?

Willst in Hans Plumper's Dorfmanieren

Die guten Alterchen blamiren,

So noch in Züchten und Gebühren

Nach Kiesewetter sich barbiren,

Nach Tieftrunk ihre Stiefel schmieren?

Willst gar 'nen schlechten Witz riskiren,

Wenn Cajus und Sempronius,

Der deutschen Logik Dioskuren,

Bei des Tonpfeifchens Hochgenuß

Beredtsam wie Chrysosthomus

Sich von Kroaten und Panduren

Oder von den guten Bannerzeiten,

Von Schlachtendrang und Landsturmläuten,

Von alten Blücher's Knebelbart

So nach lieb Vetter Michel's Art

Ein wenig discuriren und streiten –

Dies und dergleichen Herrlichkeiten

Willst, Maritorne, Du nicht leiden?

Ei da troll' Dich sogleich hinaus,

Du jungdeutschland'scher Blumenstrauß!

Sonst treib' ich Dir den Schäker aus,

Vivat das Invalidenhaus![140]

Sieh' da, hier kommt ein andres Pflänzchen,

Mit Schleppkleid, Troddelchen und Fränzchen!

Madam', Ihr Teint spielt sehr in's Gelbe,

Mir scheint, Sie kommen von der Elbe.

KÖNIGSKERZE.

Ich bin die Königskerze

Mit schwefelgelbem Kleid,

Entschuldigen Sie gütigst

Meine Verlegenheit.


Die dicke Balsamine

Ist mir im Grund fatal,

Nie ist mir vorgekommen

Ein Weibsbild so brutal.


Von Bildung nicht die Probe,

Von Logik keine Spur,

Kein Titelchen Romantik,

Kein Fünkchen Hofdressur.


Doch dies, mein Herr, bei Seite!

Ich bin erst dreißig Jahr

Und habe, wie Sie merken,

Mich conservirt fürwahr.


Mein Vaterland ist Loschwitz.

Dort von den stillen Höh'n

Konnt' ich bei heitrem Himmel

Den schönen Kuhstall sehn.
[141]

Ein sittig sinnig Blümchen –

Nicht jedes Wüstlings Kauf –

So wuchs ich zwischen Tromlitz

Und Gustav Schilling auf;


Am Rahmen und am Theetisch,

Den Strickstrumpf in der Hand,

Untadelhaft-ästhetisch,

Bis sich der Freund mir fand.


Wie nahte mir der Schlummer,

Bevor ich ihn gesehn!

Herr Hofrath, ach Herr Hofrath,

Wie soll ich das verstehn?


O Hochland und o Blachland,

Dir klag' ich meinen Schmerz!

O Dampfschiff und o Marktschiff,

Es blutet mir das Herz!


O Neustadt und o Altstadt,

Erbarm' Dich meiner Noth,

Sonst schlag ich mich mit »Floskeln«

Und »bunten Steinen« todt.


Und auf der großen Brucken,

Da steh' ich manche Nacht;

Dort hab' ich manche Stunde

Geweinet und gelacht.
[142]

Da droben und da drüben

Da ragt ein mächt'ger Dom,

Da drunten, ach da drunten,

Da rauscht ein tiefer Strom.


Der Strom der fließet weiter,

Zuletztens in die See,

Ich aber kann nicht sterben

Wenn ich den Hofrath seh'.


Nicht leben und nicht sterben –

Wer hat dies Weh erdacht?

Ein Hofrath, ach ein Hofrath

Hat mich so weit gebracht.

FAUST.

Mylady, ich bekenn' es,

Ihr Leiden rührt mich sehr;

Doch wüßt ich in der That nicht,

Wie hier zu helfen wär'.


Belieben Sie nur ferner

Fein in Geduld zu stehn!

Bedenken Sie: noch heute

Kann man den Kuhstall sehn.


Königskerze nimmt Lehre an und beurlaubt sich.


Ha Wunder, welches hohe schlanke Blumenweib,

In tiefer Trauer strahlend, schwarz gekleidet, naht sich hier![143]

Ja, nun wird Lebens ernster Ruf an mich ergehn,

Nun höchster Offenbarung Reiz entfalten sich.

Du schwarze Riesenblume mit dem schön geschwungnen Blatt,

Mein Sehnen trieb schon in der Kindheit mich zu Dir;

Nun aber, ekle Flachheit bannend, scheinst Du ein Erlöser mir.

MALVE.

Ich bin die Malve; still und ernst streb' ich empor.

Mein ganzes Dasein ist der Poesie geweiht;

Was ich Dir sing' und sage, Faust, Dein eigen ist's,

Dein eigenst Wesen und Erinnern ist's. So höre denn!

Zum ew'gen Angedenken, so benenn' ich Dir's

Und stell' es Dir als weihevolle Gattung dar:

Sonnett genannt.

DAS SONNETT.

Ich hab ein Lied, mein Lieb, auf Dich gesungen,

Das sang ich Dir in traurigem Ermatten,

Im heiligen Dunkel mitternächt'ger Schatten,

Von Lieb' und tiefem Leide ganz durchdrungen.


Treu hat es kurze Wonne nachgeklungen,

Selig Gedenken an die grünen Matten,

Die wir vereinet einst gepriesen hatten,

Innig vereint, ach innig auch umschlungen! –
[144]

Darf nicht Getrenntes sich im Liede gatten?

Ewig Versunknes leuchtend wieder glänzen?

Blühendes Einst ein traurig Jetzt bekränzen?


Lebewohl nur den alten Frühlingstänzen,

Ewig Erinnern dem nur, was verloren,

Hab' ich gesagt und weinend zugeschworen.


Wenn Frühlings tausend frische Quellen fließen,

Zum Licht sich wunderbare Blumen ringen,

Hinauf mit Sang sich alle Vögel schwingen,

Soll da nicht Liebeskeim im Herzen sprießen?


Wenn süße Bilder aus der Ferne grüßen,

Vertraute Stimmen sanft herüberklingen,

Wenn neue Blüthen alte Liebe bringen,

Soll da nicht Liedstrom unaufhaltsam fließen?


Frühling erblüht, o seliges Genießen!

Liebe kommt wieder mit den leisen Klagen!

Beides vereint muß sich als Lied ergießen;


Das sing' ich frei auf den beblümten Wiesen,

Ob es zu Dir die Morgenwinde tragen,

Ich weiß es nicht und werd' es nimmer fragen.


Das waren heitre segenvolle Stunden,

Die Dich und mich in trauter Nähe fanden;

Von Blumen war's, aus Paradieseslanden,

Ein lichter Kranz, von Engelshand gewunden.
[145]

Wie strahlten hell, vom ew'gen Licht entbunden,

Die ihren Purpurblick zur Sonne wandten,

Die rothen Rosen all' und Amaranthen,

Vom sanften Schein des Blättergrüns durchwunden!


Wie durfte nur erbleichen solcher Schimmer!

Du grausam Kind, wie konntest Du versagen

Den Himmelsthau, der diese Pracht getränket!


Das ist es, was mich still zu Tode kränket,

Daß nur im Winde noch als falbe Trümmer

Des Wunderkranzes welke Blätter jagen!


Wie Käthchen lag ich unterm Fliederbaume,

Da sah ich mich auf hochempörten Wogen

Mit schwankem Kahn, von Finsternis umzogen,

Hilflos, umrauscht vom wilden Fluthenschaume.


Ich aber bebte nicht – so war's im Traume –

Da losgelass'ne Winde heulend flogen;

Ein Lichtlein war dem Schiffer aufgezogen,

Schimmernd von des Gestades fernem Saume.


Dein süßes Zeichen, Hero, das den Treuen

Mit sel'ger Leuchtung labt und liebend winket,

Himmlischen Trost nach wilder Fahrt verheißend.


O Traumbild, halb nur sich als Trug erweisend!

Mein Schiff treibt Nächtens auf empörten Wogen,

Doch ach, kein Licht vom fernen Ufer winket![146]

FAUST.

O Malve, ahnungsvoller Blumenbaum,

Welch mächtig Angedenken regst Du auf!

Versunken tief in Wellengrund das alte Lieb,

Pfadlos die Wasser, wo ich Armer schiffen soll,

Von schwarzer Nacht umfangen! O Natur,

Warum nur mich beängstigst Du so sehr?

Naht sich das Leben, naht sich auch der Tod.

Tief unter, nur in Herzens dunklem Schrein,

Da blüht ein trüber Stern, ich nenn' ihn Dichtung,

Traurig und einsam wie Armsünderblume –

Das ist der Stern, der meinem Leben strahlt

Und meinem Tode! Sieh, wer naht sich hier,

Lebendig, heiter, farbenreich, beweglich?

Päonie ist's, Botin der Lebenslust,

Der Schwermuth und der Trauer bittre Feindin.

Madam, so prunkhaft angethan, was bringen Sie?

PÄONIE.

Höre mich, Faust! Auf's Leben ist mein Wort gestellt

Und meines Wortes nicht verblümter Sinn.

Du bist ein weiser Mann, doch oft sehr thöricht,

Kannst guten Rath wohl brauchen. Wenn nicht Du,

So mag einmal Dein Söhnchen sich d'ran spiegeln.

Wie ich vernahm, legst Du Dich nun auf's Wandern;

So nimm denn mein Viatikum. Es lautet so:


Süßes Bild im treuen Herzen,

Frischen Sinn in starker Brust[147]

Und so laß die Abschiedsschmerzen,

Und so wandre Du mit Lust!


Freundlich blicken Mond und Sterne

Und erhellen Deinen Pfad,

Und Du scheue nicht die Ferne,

Denn gar bald ist sie genaht.


Fernem Ziele frisch entgegen,

Nicht zu oft zurückgesehn!

An dem Vorwärts ist's gelegen,

In die Weite muß es gehn!


Nicht auf Seitenwegen schleichen!

Bleib auf der betretnen Bahn!

Und wenn sich Gefährten zeigen,

Schließ Dich munter ihnen an!


Wirst manch freundlich Plätzchen sehen,

Manches gastlich offne Haus;

Bleibe dort ein wenig stehen,

Und in diesem ruh' Dich aus!


Doch vom liebgewordnen Bunde

Scheide nur zur guten Zeit,

Und gedenk der rechten Stunde

Freu Dich der Gelegenheit!


Mußt nicht wollen Hütten bauen

Ueberall, wo's Dir gefällt,[148]

Denn noch Vieles ist zu schauen,

Und es ist so groß die Welt.


Lerne nur den Wechsel tragen,

Und was bleibet, find' heraus;

Lern' erwarten, lerne wagen,

Denke nach und sprich Dich aus.


Wie sie's treiben, wie sie schalten,

Laß Dir's nicht verloren sein,

Und die edleren Gestalten

Präg' Dir unauslöschlich ein!


Ob Du wandelst, ob Du stehest,

Bleib nur in der Gegenwart!

Wenn das Heute Du umgehest,

Wird das Morgen nicht erspart.


Was begrenzt und was geschlossen,

Was entschieden ist und klar,

Was gethan und was genossen,

Werde nun Dir offenbar.


Träume nicht von Nachtgewalten,

Noch von tiefverhülltem Sein

Ueberall, wo Geister walten,

Scheint der helle Tag darein.


Doch im Spiele der Erscheinung

Sieh Dich nach dem Wesen um,[149]

Und die übernächt'ge Meinung

Hör' mit an und bleibe stumm!


Was da lebt und webt auf Erden,

Nimm es Alles, wie es ist!

Willst Du Selber anders werden,

Sieh erst, was Du warst und bist!


Merke, wie nach langer Spaltung

Alles froh zusammenschlägt,

Wie's zu herrlichster Entfaltung

Sich in Keim und Wurzel regt!


Bleibe klar und bleibe nüchtern,

Wenn sich die Verwirung naht,

Und Dein Wort sei immer schüchtern,

Aber muthig Deine Tat!


Und so sei Du nur verständig,

Offnen Sinnes, ohne Scheu,

Immer heiter und lebendig,

Immer fest und immer treu!

DIE BLAUE BLUME tritt vor.

Ich bin die blaue Blume, tiefen Geistern nur

Oeffn' ich den tiefgeheimnißvollen Kelch.

Du kannst an mir nicht irre werden, Faust,

Du kennst mich ja aus Heinrich Ofterdingen.

FAUST.

O süße blaue Blume, holder Gast,

Wie traulich dämmernd ist Dein süßer Schein![150]

Wie brünstiglich erlabt mich Dein Gedüft!

Dein ganzes Wesen lebt im Abbild treu

In meiner wunden gramerfüllten Seele.

O sprich zu mir, Du holder Blumenengel!

BLAUE BLUME.

Aus tiefem Grunde steigt des Liedes Blume,

Mit dunkel-purpurblauer Blüthe prangend,

Strebend empor und doch zurückverlangend

In Mutterlandes dunkle Heiligthume.


Heimath des Liedes sind der Liebe Wunden,

Darum erblüht's so purpurroth und blutig,

So träumend, sehnsuchtsvoll, so todesmuthig,

Als wär' es krank und wollte nie gesunden.


So ist das Lied ein armes krankes Kind,

Ein traurig bleiches Kind im Dornenkranze,

Ein heilig Kind in seinem blut'gen Glanze!

FAUST ergänzend.

O pflege, süßes Lieb, die kranke Blume!

Wein' um die abgrundtiefe Liebeswunde!

Denk' an dies Herz, das im Gesang verblutet!


Blaue Blume verschwindet.


FAUST.

Verschwunden schon? Wohin, Du herrlich Bild?

SONNENBLUME erscheint.

Das frage nicht, Du fragenreicher Thor![151]

Wohin das Tiefe, Göttliche sich wendet,

Wenn es sein himmlisch Wirken hat erfüllt –

Nur ahnen kannst Du's in der trüben Seele;

Begreifen es soll Dich das Leben lehren.

Emporwärts schau! Dem Lichte zugewandt,

Dem Sonnenball sei stets Dein rüstig Auge,

So wie ich hochgestreckte Sonnenblume

Stets nach dem Himmel wende Blatt und Blüthe,

Die Sonnengleiche, helle, strahlende. –

Was in dem Kelch der Blume Du erschaust,

Was in der Blumen Glocke Du ergründest,

Dies zeigte Dir wohl schon der eigne Sinn,

Der stets im Zauber und im Wunder athmet;

Der Stern der Blume aber lehre Dich,

Daß über dieser schwülen Erdennacht

Ein ew'ges Firmament ist ausgegossen,

Deß Millionen Strahlen, immer lodernd,

Nie löschend, ewiglich herniederstrahlen.

Der Lehre Gipfel sei die Sonnenblume;

Denn durch der Welten Ewigkeit hindurch

Wird aus dem Sonnenreich das Leben quellen,

Und ewiglich ihr zugewendet sein.

Sei Dir das Träumen eine tiefe Glocke,

Sei Ahnung Dir ein dunkler Blumenkelch,

Sei Dir die Dichtung eine Sternenwelt,

Aus Nacht und Licht und Dämmerung gewoben –

Doch der Gedanke, Faust, er sei die Sonne,[152]

Die leuchtende, allmächtige und größte,

Die allbelebend-unvergängliche!

FAUST.

So wär' in heil'ger Dichtung der Gedanke

Kein helles Leuchten, nur ein Dämmerschein?

SONNENBLUME.

Der Dichtung Zauber macht das Licht zum Stern,

Zur Sonne macht die Dichtung – der Gedanke;

So wandle Du, ein heiliger Poet,

Den fernen Stern zum nahen Sonnenbilde!

CARTUS tritt vor.

Und was des Wunders wahrhaft Wesen sei,

Des Wunders, das so qualvoll Dich getäuscht,

Das will ich fremd Gewächs Dir offenbaren,

Ich fabelhaft-geschlungne Blumensäule:

Das Wunder ist der Nachtgeist des Gedichts

Der Sonnenaufgang wird durch den Gedanken.

So laß im Leben wie im Dichterwerk

Ihn, diesen Tag, durch Deine Nächte schreiten!

NACHTVIOLE.

O schmähe nicht die Nacht! Schön ist die Nacht;

In Nacht allein wird ja der Traum geboren,

Und alles Erdenleben ist ein Traum,

Des Traumes Gipfel, daß – vom Tag Du träumest.

FLIEDER.

Im Tage selbst birgt sich ein schwerer Traum –[153]

Im Mittagsscheine der unschuld'gen Blüthe –

O schlummere nie im Schatten meiner Zweige!

LOTUS.

Mattherz'ges Zweiglein, schau mich an, den Lotus!

Ich bin der Blumen allerheiligste,

Die Fabel und die Dichtung ruht in mir.

In der gewalt'gen Lotusblumenschale

Ruht das Geheimniß alles Erdenlebens.

In mir verklärt sich jeglich Sein zum Licht,

In mir versöhnt sich jeglich Thun zur Gnade,

In mir versinkt die ganze Weltenschöpfung

In mir vollendet Alles sich zum Geiste. –

So bin ich selbst das große Weltsymbol,

Und grade durch mein Herz geht alles Leben.

TODTENBLUME.

Und hinter allem Leben – wisse, Mensch –

Entfaltet sich im gelben Abendschein

Der allgewalt'ge Stern der Todtenblume.

Er saugt die ganze Weltenschöpfung ein,

Und selbst der Lotus wird von ihm verschlungen.

IMMORTELLE.

Doch wenn er selbst in Nächte wird verschlungen

Nach ewig wandellosem Weltgesetz,

Dann steigt in Osten auf der letzte Stern,

Der Morgenstern des ewig heitern Jenseits,

Der ewig lichte sanfte Blumenstern,

Der Sirius der heil'gen Immortelle.[154]

Wenn Dir, o Mensch, die ganze Welt ein Grab,

Ein ungeheures Blumengrab geworden,

Ein Riesenhügel, unter dessen Decke

Alles, was Farbe, Schein und Duft, verweset;

Wenn dieses Weltbau's morsche Achse bricht,

Dann führt mein Blüthenschein die Sel'gen ein

Von Stern zu Stern in eine schönre Welt.

ROSE.

Darum, weil selig so Dein Sein begrenzt ist,

Sei Leben Deines Lebens höchstes Ziel!

In Tages schönstem reinsten Farbenglanz,

Im frischsten Zauber holder Gegenwart,

Im frohsten Reiz des heitersten Genusses

Erfassest Du es als die rothe Rose,

Die man die Königin der Blumen nennt,

Weil sie des Lebens licht'sten, hellsten Sinn

In lichter Blüth', in lichtem Duft entfaltet.

Der frohen Menschen heitrer Lebensdrang,

Er flüchtet immer nach der rothen Rose.

Das reine Kind, es spielt auf grüner Au

Mit meinem Blatt, und mit ihm spielen Engel;

Die reine, stille, träumerische Braut,

Durchdrungen ganz von heil'ger Liebesahnung –

Auf ihrer Mädchenbrust entknospt die Rose

Und deutet an, wie bald der Mädchenknospe

Holdseligst Weibthum blumenhaft entblüht.

Mit Rosen schmückt der Mensch in Lieb und Lust[155]

Des Jugendlebens schönste Augenblicke;

Hochaltrig selbst, gemahnt sie ihn wie Rückkehr

Der unrückrufbarn goldnen Jugendzeit.

Und wenn im schwarzen Schrein er liegt gestreckt,

Wie drängen sich da, Blüth' an Blüth' gereiht,

Die weißen und die morgenrothen Rosen!

Ruht endlich unter'm Hügel das Gebein,

Hoch thront auf Hügelsthron die Rosenblume,

Verkündend mit der hellen Blumenstimme:

Daß in den Tod das Leben selbst verschlungen.

Darum, o Mensch, der zwischen Traum und Wachen,

Der zwischen Licht und Dämmrung ist gestellt,

Der zwischen Untergang und Aufgang schmachtet,

Darum ergreif Dein Leben selbst in mir;

Es grün' und blüh' und dufte Dir als Rose.

LILIE.

Doch mit des Glaubens heil'gem Ernst vermählt,

Mit des Gedankens Licht göttlich erfüllt,

Erschein' es Dir als hohe Lilienblume.

So magst Du, Faust, mein Wesen ganz erfassen:

Als Geist gewordnen, als verklärten Lotus.

Leben auch bin ich, Lebens Sinn und Aufschluß,

Bin Wahrheit, bin Geheimniß und bin Lösung;

Allein dies Alles in dem reinsten Licht

Dem gnäd'gen, das als Offenbarungschein

Aus Gott dem Vater, Gott dem Sohne quillt,

Und das in unermeßlich lichten Schwingen[156]

Als heil'ger Geist die Menschengeister füllt.

Das reine Irdische, es ist als Rose;

Im Irdischen bin ich das Heilige.

Darum bin ich die Dichtergottesblume,

Und meine Andacht ist ihr Weihelied.

Hier ist mein Sein, im holden Irdischen;

Doch ist's ein heil'ges, das gen Himmel weist.

So fasse denn in mir das Erdenleben,

Doch das zugleich, wodurch es ewig ist.

NELKE.

Und wenn Dir, zwischen Erd' und Himmel schwankend,

Zur Qual sich Lebens, Geistes Lust gestaltet,

Dann, Fauste, drücke meine Blum' an's Herz,

Die so in Millionen Farben leuchtet,

Ganz irdisch, kräftig, stärkend und begreiflich.

An meinem Dufte sollst Du dann erstarken

Und inne werden, daß Du lebend bist,

Und merken: daß nur kräftig-heitre That

Dich vor des nächt'gen Lebens Wundern rettet.


Faust drückt die Nelke an seine Brust. Die Blumen verschwinden; der Tempel verwandelt sich in eine offne Straße der Stadt Venedig.


Venedig, offner Platz.

Zwei Edelleute treten auf.


ERSTER EDELMANN. Signor Formica, ich grüße Euch.[157]

ZWEITER EDELMANN. Signore Scarabeo, ich danke Euch.

ERSTER EDELMANN. Ich finde, Signor, daß dieser Morgen unvergleichlich ist.

ZWEITER EDELMANN. Sagt lieber, Signor, daß dieser Abend unvergleichlich ist.

ERSTER EDELMANN. Geht, geht, Signor! Ihr spielt immer auf politische Dinge an. Ich denke, Ihr erzählt mir, bis zum Morgenläuten in der Signoria, einige Neuigkeiten.

ZWEITER EDELMANN. Ihr werdet die schlimmsten zeitig genug selbst erfahren. Hörtet Ihr schon von dem jungen deutschen Wunderdoctor, der jüngst aus Rom hier anlangte?

ERSTER EDELMANN. Ei wohl hörte ich das, Signor; allein ich war der Meinung, der Umstand sei nicht erheblich genug für eine Neuigkeit.

ZWEITER EDELMANN. Signor, ich rathe Euch, Euch die Mühe zu geben, diesen Umstand nur aufzuheben, so werdet Ihr ihn erheblich genug finden.

ERSTER EDELMANN. Wie das, werther Signor? Habt die Güte, mich zu berichten.[158]

ZWEITER EDELMANN. Nun denn, Signor, ganz Venedig weiß es, daß Ihr so gütig gewesen, Euch in die Nichte Seiner Eccellenza, unsers gnädigsten Dogen, in die wunderschöne Fiordiligi zu verlieben. Läugnet Ihr das, mein Adonis?

ERSTER EDELMANN. Ich gestehe, Signor, es nicht in Abrede stellen zu können.

ZWEITER EDELMANN. Nun – so viel zugegeben – wird es Euch unter so bewandten Umständen erfreuen, Signor, daß ein junger deutscher Medicus hierher berufen ist, Euer süßes und hohes Lieb, welches, wie uns bekannt, in neuesten Zeiten etwas kränkelt, durch seine Medicamente und (was das Schlimmste ist) durch seinen Magnetismus zu curiren? Bedenkt nur, werthester Signor: durch Macgnetismus – und dazu die amatissima eines Scarabeo!

ERSTER EDELMANN. In der That, Signor, Ihr macht mich erschrecken. Es ist dies eine Maßregel, die ich der Weisheit Seiner Eccellenza nimmer zugetraut hätte, Corpo di Bacco! es ist, so zu sagen, eine Gewaltmaßregel. Man hat sie mir absichtlich verheimlicht; aber per Dio, man hat nicht gewußt, welch eine Wuth der Eifersucht in dem Signore Scarabeo schlummert. Und der Signore Scarabeo ist der reichste Edelmann in Venedig; er wird dies zu verhindern wissen.[159]

ZWEITER EDELMANN. Und einer der ältesten, Signor (ich meine nemlich in der Signoria), dazu etwas schwerhörig und dergleichen, was mit der Jugend nicht eben im besten Vernehmen steht.

ERSTER EDELMANN. Wie spracht Ihr da, Signor?

ZWEITER EDELMANN. Ich meine, Herr, Ihr müßt eher Euer holdselig Lieb an Bleichsucht oder scrofola, oder gar an Hysterie und Schwindsüchtigkeit des blassen Todes verscheiden lassen, als zugeben, daß diese deutsche magnetische Curmethode vor sich gehe. Versteht Ihr den Sinn dieser Rede, Signor? Nun gut, so bedenkt sie, aber geschwind; denn man sagt, die Heilung werde diese Nacht ihren Anfang nehmen.

ERSTER EDELMANN. Was beim heiligen Marcus sagt Ihr, Signor? In der Nacht?

ZWEITER EDELMANN. Magnetische Kranke vertragen das Sonnenlicht nicht, Herr; es ist so eine natürliche Eigenschaft.

ERSTER EDELMANN. Cospetto di Bacco! Und der Signore Scarabeo verträgt das Nachtlicht nicht. Er ist ein Teufel, wenn er Verabredungen und Bestellungen, und Beschließungen[160] und Anstiftungen merkt. Wollt Ihr mir folgen, Herr, so will ich diesen ehrenrührigen Plan sogleich entlarven.

ZWEITER EDELMANN. Ich folge Euch, Herr, mit Widerstreben; denn mir bangt vor den Ausbrüchen Eurer Leidenschaft. –

CASPAR kommt gelaufen. Verzeihung, edle Herren! Ich möchte berichtet sein, wo man des Weges geht nach dem Palaste des Dogen. Ich habe daselbst ein so eilig Geschäft, das keinen Aufschub leidet.

ERSTER EDELMANN. Welch ein Geschäft, Mensch? Auf der Stelle bekennt es, welch ein Geschäft Euch in dieser frühen Stunde in den Palast des Dogen führt. Bekennt, Freund, ich ersuche Euch um Eurer selbst willen.

ZWEITER EDELMANN. Ihr werdet wohl thun, Alles zu berichten, wenn ich Euch bemerke, daß Signore Scarabeo der grausamste Mann in ganz Venedig ist.

CASPAR. Ist er grausam, der Herr Scarabeo, ei so sehe ich kein Titelchen eines Grundes, warum ich ihm nicht die Wahrheit gestehen sollte. In Wahrheit also, Signore Scarabeo, ich bin der Diener eines gewissen Doctor Faustus, eines deutschen, zur Zeit aber in der schönen Italia reisenden Medici, welchen seine Hoheit, unser allergnädigster Doge, jüngstens zur Heilung seiner auf[161] magnetische Weise tödtlich erkrankten nipote berufen hat. Da nun auf sothanen an uns ergangenen Ruf sothane Heilung mit heutigem Abend ihren Anfang nehmen soll, so bin ich von meinem Herrn, dem Doctor, beauftragt, stehenden oder laufenden Fußes die in diesem Kästchen befindlichen Heilungsapparate meines Herrn, des Doctors, nach den Gemächern der Signora Dogaressa zu tragen. Nun, Signori, ist es Eurer Weisheit wohl bekannt, daß hora ruit, die Zeit Flügel hat; demnach ich Eure Weisheit höflichst ersuche, mir zu sagen, auf welchem Wege ich am kürzesten nach besagten Gemächern gelange.

SIGNORE SRARABEO. Cospetto di Bacco! Verwünschter Diener, durch meinen Degen geht der Weg nach dem Palast der Dogaressa.


Er dringt mit dem Degen auf Caspar ein.


SIGNOR FARMIRA. Signor, keine Uebereilung! Ihr seid ein weiser Mann und Aeltester der Signoria. Seht, wie die Leute schon stehen und gaffen! Laßt den deutschen Diener gehen und seine Schuldigkeit thun.

SIGNORE SRARABEO. Nimmermehr soll der Bösewicht seine Schuldigkeit thun! Ich will seinen Medicinkasten zertrümmern, ich will sein Leben selbst zertrümmern!


Dringt abermals auf Caspar ein.
[162]

FAUST tritt auf.

CASPAR. Herr, um Gottes Gnaden, zu Hilfe! Man will mich meuchlings in Eurem Dienst und Beruf ermorden!

FAUST. Laßt meinen Diener los, Ihr alter Narr! Spießt Ungeziefer mit Eurem Krötenspieß! Hier sind drei Spannen Stahl für Euren Schmalbauch!

SIGNORE SRARABEO. Alter Narr? Signor, ich kann Euch versichern, daß ich bereits mit bessern Titeln geehrt wurde. Seid Ihr aber der Herr dieses Hans Affen, seid Ihr der deutsche Wunderdoctor aus Rom, ei, so will ich Euch gleichfalls mit meinem Vorrath dienen. Ihr Schelm, Ihr Bösewicht, Ihr Jungfrauenschänder, ich fordre Euch zum ehrlichen Zweikampf!


Legt sich aus.


FAUST. Ihr unvergleichlichster aller Narren unter dem Schatten des heiligen Löwen, an einem Bischen Zweikampf soll's Euch nicht fehlen, wenn Euch so sehr darnach gelüstet. Wohlan, spinnbeiniger Signor, das ist meine Parade!


Legt sich aus.


SIGNOR FARMIRA. Seid Ihr von Sinnen, Ihr Herren? Einen Zweikampf[163] am hellen Tage, hundert Schritte von des Dogen Palast? Steckt Euren Spieß ein, Gevatter Scarabeo! Ihr werdet damit keine Lorbeeren erndten. Und Ihr, Signor Dottore, oder magico prodigioso tedesco, nehmt Euch in Acht vor dieser Schaarwache! Es möchte einem deutschen Wundermann schwerer werden, sich aus ihren Klauen zu befreien, als einem venetianischen Nobile.

FAUST. Wo Recht ist, ist der Muth, Herr Nobile! Ihr scheint mir etwas robuster und vernünftiger zu sein, als Euer blödsinniger Gefährte. Zieht also, mein Verehrter, und nehmt meine Medicamente zum Dank für Eure Beleidigung; denn wißt Ihr, was der alte Hippokrates sagt? Quae medicamenta non sanant, ferrum sanat.


Sie fechten, Volk läuft zusammen, Signor Formica fällt. Die Schaarwache bemächtigt sich Fausts.


FAUST im Abgehen.

Ein deutscher Kernfluch diesem italien'schen Pflaster!

Ich fürcht, ich hab ein Tränkchen mir bereitet,

Zu herb, um für 'nen Liebestrank zu gelten.

Wär' nur mein feiger Diener so gescheit

Und flüchtete sich stracks zum Dogen selbst!

Denn seine Gunst kann hier allein mich retten.

Wohin, Ihr Herren, wollt Ihr jetzt mich führen?[164]

SCHAARMÄCHTER. Belieben Eu'r Gnaden nur jenes schwarze Bogenwerk zu betrachten, welches trübselig genug über der Lagune hängt. Das ist die ponte dei sospiri, unsre weltberühmte Seufzerbrücke; ein sehr weites Thor für den Eintritt, sehr eng in der That für den Ausgang. Dorthin bedaur' ich, Euer Liebden führen zu müssen.


Schaarwache ab mit Faust.


Quelle:
Marlow, F. [d.i. Ludwig Hermann Wolfram]: Faust. Ein dramatisches Gedicht in drei Abschnitten, Neu herausgegeben und mit einer biographischen Einleitung versehen von Otto Neurath, II. Teil: Text des Faust, Berlin [1906], S. 132-165.
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