Veränderte Scene.

[173] Ein Fahrzeug auf nächtlicher Lagune.


FIORDILIGI. Faust, mein Geliebter, in meinem Busen wogt die Angst. Horch, wie die Wellen brausen und steigen! Sie verderben uns. Das ist des mächtigen Dogen Ingrimm. Adria's Fluth ist seine Braut; er hat sie beschworen, uns zu verderben.

FAUST. Mein süßes Leben, über dieses Sturmes Rabenschwingen[173] thront die schirmende Gottheit. Gottheit? ja, Du bleiches, unschuldiges Kind, die Gottheit; aber mir bebt das Herz vor diesem Namen! Wohlan, so kämpf' ich auch, wenn Alles uns verläßt, für Dich, mein höchstes Gut, gegen den Himmel selbst. Ruhig, Fiordiligi, ich rette Dich aus Sturm und Wassersnoth!

Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo!


Der Sturm tobt stärker, der Kahn schwankt furchtbar.


FAUST. Ich kann nicht mehr! Meine Hand erlahmt; das Ruder ist meiner Faust entsunken. Soll ich Dich verlieren, theuerste Perle, unersetzlicher Edelstein? Nimmermehr! Nun, so will ich den Acheron bewegen, den Styx und Phlegethon, die ganze Hölle. Satan, herauf! Rette mich und dies Weib! Da für verschreib' ich Dir auf ewig meine Seele!

FIORDILIGI. O Jammer! Faust, was thust Du! Laß ab davon; laß uns viel lieber untergehen! Engel des Himmels, beschützet uns! Breitet Eure Schwingen um uns Verlorene!

SATAN erscheint über dem Gewässer. Du rufst mich Faust? Was willst Du?[174]

FAUST. Rette Dies Weib!

FIORDILIGI. Wehe, Wehe!

SATAN. So trag' ich Euch Beide über die schwarzen Fluthen hin, durch Nacht und Sturm. Hei, Du süße Doppelbeute, ist das nicht lustige Meerfahrt? Ruht es sich nicht sicher in Satan's schwefliger Umarmung? –


Quelle:
Marlow, F. [d.i. Ludwig Hermann Wolfram]: Faust. Ein dramatisches Gedicht in drei Abschnitten, Neu herausgegeben und mit einer biographischen Einleitung versehen von Otto Neurath, II. Teil: Text des Faust, Berlin [1906], S. 173-175.
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