Veränderte Scene.

[105] Das Innre eines Frauengemachs.


AMANDA.

O heißgeliebter Freund, so nahst Du mir

In Deines reichen Wesens ganzer Schöne!

Wie sehnt' ich mich nach Deiner Tritte Schall,

Nach Deines Mantels nächtlichbangem Rauschen,

Nach Deiner Lippen Hauch, der unter Küssen,

Den liebeglühnden, wird zum Liebesstammeln!

An Deine Brust sink' ich, ein schwaches Weib.

Fass' mich mit Deines Armes ganzer Kraft,

Drück' an Dein Herz die bleiche blasse Blume,

Die, zu vergehn an Deiner Neigung Flamme,

Die Blätter neigt und hinsinkt.


Doch wie fremd,

Wie fremd und tonlos schauest Du mich an!

Wie kalt und seellos irrt auf mir Dein Blick!

Faust, theurer Mann, erkennest Du mich nicht?

Amanda bin ich, florentin'schen Stammes,

Der Balbi fürstlichem Geschlecht entsprossen,

Umbuhlt von Freiern und begehrt von Fürsten.

Verachtet hab' ich all den wüsten Glanz,

Dem stolzen Vaterhaus bin ich entflohn zur Nacht,

Dir folgend, Dir allein, deß hoher Muth,

Deß männlich Wesen und geweihte Kraft

Mein ganzes schwaches Selbst dahingenommen,[105]

Und so in Liebesfeuer ganz entbrennend,

Geliebter Mann, sink' ich zu Deinen Füßen –

Erkennst Du mich?

FAUST.

Weib, ich erkenn' Dich nicht,

Holdselig bleiches Wesen, sah' Dich nie;

Mich hat des Dieners Blödsinn heut getäuscht.

Nie hört' ich Deinen Namen, schaute nie

Dir in das rabendunkle Feuerauge,

Das jetzt so tiefinbrünstig ruht auf mir.

Nie sah ich, unvergleichlich bleiches Bild,

Das Weh'n und Wallen Deiner nächtgen Locken,

Nie hört ich Deiner Stimme Glockenklang,

Der wie aus fernen Wollusttiefen läutet.

Nie stand ich an der Pforte dieses Tempels,

Der Dich, Du marmorbleiches Götterbild, verbirgt.

Nie sah ich dieser Lampe Zauberglanz,

Die rings Karfunkelwonneschein verbreitet;

Nie sog mein Odem diesen Ambraduft,

Der hier in Wollustströmen mich umfluthet,

Und nimmer, nimmer (ich beschwört es Dir)

Erblickt ich Deiner Schönheit Lichtgestalt. –

Ein Mädchen sucht' ich, irdisch und alltäglich;

In einer röm'schen Dirne schwell'nden Armen

Zu schwelgen dacht' ich eine kurze Nacht;

Genießen wollt' ich, wie ich oft genoß,

Wollt' eine Abendblüthe lose brechen,[106]

Die, wie ich wußt', am Morgen würde welken.

So irrt' ich träumend durch die finstren Gassen,

Nur matt gespornt vom Stachel der Begierde –

Und so in fernster Straßenregion

Wo Roma's letzte Häuser sich verlieren,

Wo an der Armuth weit entlegne Hütten

Das Nachtgebiet der Todten selber grenzt,

Wo ahnungsgrauend Cestius Mal emporragt –

Hier find' ich Dich, ein höchst verklärtes Weib,

Ein Wesen, wie noch keines mir begegnet,

An Glanz und Hoheit jeden höchsten Reiz

Der Erdenfrauen sonnhaft überstrahlend. –


Ich schau Dich an, und nie gefühlten Pulsschlag schlägt mein Herz;

Ich seh Dich vor mir, einer fremden Wonne Blitz durchleuchtet mich;

Ich nahe Dir, und schaudernd zuckt durch mein Gebein die Gluth.

Aus fernen Tiefen der Naturwelt kaum emporgetaucht,

Wo aller Weltenschöpfung Wunder mich umgab,

Zum Tag des Lebens kaum erstanden, irrt mein Geist

Noch wirr und unstät, wankt und schaut und faßt es nicht.

Vor meinem trüben Blick webt noch die Schaar

Der Geister, wallt der gottgewalt'ge Vorhang noch,[107]

Aus Licht und Nacht, aus Lust und Graun zugleich gewebt,

Der von dem Leben Lebens Urgrund scheidet. –

Nun rafft und reißt es mich zur Oberwelt empor,

Und wie ich, noch vom fremden Licht geblendet,

In's Auge schau dem Leben, zeigt es mir

Sogleich ein neues unaussprechlich's Wunder,

Den Gipfel alles dessen, was ich je geschaut,

Naturmysteriums innerstes Geheimniß –

Zeigt mir des Lebens (welches oben licht und farbig spielt)

Und der Natur (die drunten nächtig braust und zeugt)

Unsagbar wunderhafte Einheit, zeigt mir, wie in einem Zauberglas,

Des Lichtsgeists und des Nachtgeists mystische Vermählung,

In eines Weibes göttlichhohem Liebreiz dargestellt.

Mich faßt auf's Neu gewaltig des Naturgotts Kraft,

Drängt von des Lebens lichten Höhen wiederum hinunter mich,

Stößt wiederum in bodenlosen Abgrunds Schluchten mich;

Doch aus der fernen Höhe durch die enge Kluft

Schaut lichter Lebenshimmel sonnenhell auf mich herab

In dieses Weibes, Engels, ach, in dieser Göttin Zauberblick. –

AMANDA.

O Faust, den meine Seele so inbrünstig liebt,[108]

Dein Schwärmen und Dein Träumen schrecket mich!

Warum in der Natur geheimen Tiefen wühlest Du?

Hier brausen nicht die unterird'schen Wasser,

Hier schreckt nicht das Gekrach der Erdenklüfte,

Hier weben nicht der Geister Teufelsfratzen.

Hier legt sich mild um Dich das offne Leben,

Schmiegt weich, elastisch sich um Deine Glieder,

Haucht Dich mit warmem Sonnenodem an,

Legt an Dein Herz den Strauß der vollen Blumen,

Reißt Dich in seine wonnetriefende Umarmung,

Rufend: »Erwach' aus Deinen Aengsten, Träumer!

Morgenroth leuchtet, Leben umfängt Dich und des Lebens Liebreiz.

Nicht forsche; zu genießen liegst Du hier an meiner Brust.« –

O Sel'ger, so in sel'ger Liebesgluth umschlingt Amanda Dich,

Und so in mir umschlingt Dich Träumenden das Leben selbst.

So lebe denn, Geliebter, dieses Leben Seligkeit!

Versenke schnell Dein dunkles Träumen in die tiefe Kluft!

Und auferstehungsheiter rüste Dir das Wollustbad!

Dem Westhauch höchster Lebenswonne öffne Deine frische Brust!


Sie hält ihn umschlungen.


FAUST.

Was ist das für ein Zittern, das durch meine Glieder fährt?[109]

Welch wunderbare süße Angst bewältigt mich?

In welcher Zauberei Geheimniß reißt mich wiederum

Dein Balsamoden, Dein Umarmen, Deines Blickes düstrer Glanz?

Ist dies der Lebensliebesflamme allgewalt'ge Gluth?

Ist dies Umarmen, Hingerissensein, Verlierensich –

Ist es das Leben, des Genusses mächtige Naturgewalt,

Triumph des Lebensreizes, dem kein Wesen widersteht?

Nun denn, an Deinen wollustheißen Busen sink' ich hin;

In Deinen warmen, weichen, wonnevollen Arm begrab' ich mich;

Dein Auge, düsterlodernd, streut auf mich des Zauberschlafs Gewalt;

Im Rosengluthkelch Deiner Lippen, der mir Segen träuft,

Trink' ich den Vorschmack eines lichten Liebestraums,

Der farbenglänzend seinen Wunderschleier senkt auf mich.

O tief hinab in dieser Wollust Paradies begrabe mich,

Du göttlich Weib, und ewig, ewig Deinen Taumelkelch credenze mir,

Und nimmer aus des Paradieses Morgenglanz erwecke mich! –


Sinkt an ihre Brust.


Ferner Gesang.

[110] Liebesstammeln, Liebeszittern,

Feuerkusses Allgewalt,

Wonnetraums unsagbar Wunder,

Das in diesen Räumen wallt!

Glühend Spenden, heiß Empfangen!

Unergründlich Liebesspiel!

Und im Osten aufgegangen

Hymens Stern als Wonneziel!


Leben nennst Du dies Ermatten,

Dieses lodernde Vergehn?

Dies Versinken in der Fülle,

Durst'ge Wiederauferstehn?

Leben nennst Du diese Freuden,

Diesen Sturz von Geist und Sinn?

Leben diesen Graus der Wonne?

Bleiche, schöne Zauberin!


Aber ich in stiller Höhe,

Ich, der sangverklärte Geist,

Nenne Sterben, was in Eurer

Taumelsprache Leben heißt.

Tod und Tödtung nenn' ich's schaudernd,

Wenn Natur mit frecher List

Ausgräbt aus der Modertiefe,

Was schon lang gestorben ist;
[111]

Wenn, die Geister zu verlocken,

Die von Lebensdurst erglühn,

Gräber ihre Kiefern sprengen,

Särge ihre Leichen sprühn;

Wenn der Mann, in Sehnsucht selig,

Nächtens zu der Liebsten schleicht,

Und, von Satans List beschworen,

Vampyr ihm den Lustkelch reicht. –


Schlafe denn, Du Neubetrogner,

In der kalten Scheingluth ein!

Grabhauch trink' und Moderdüfte,

Denk', es müsse Leben sein!

Träume, daß aus tausend Quellen

Flamme Dir des Daseins dringt –

Wenn die grabeskalte Wollust

Schaudervoll Dein Herz umschlingt.


Aber noch in Todes Armen,

Hingesunkner Forschergeist,

Höre Deiner Priester Lehre,

Höre, was ihr Mund beweist:

Leben ist nur Schein des Lebens,

Lebt nur, was zu sterben droht;

Aller Zeugung und Entfaltung

Keim und Wurzel ist der Tod.
[112]

FAUST.

Wie seltsam, Mädchen, duftet jetzt Dein Odem mir,

Vordem wie Rosen süß und geistig, nun wie Leichgeruch!

Verwesungsekel, modriglilienhaft beschleicht es mich!

Lebloslebend'ges Wesen, wende Dich hinweg von mir!

Mich faßt ein Grausen; dennoch in dem Graun entbrenn' ich noch

Vor Liebessehnsucht. Wonnevoller Leichnam, weich' von mir!

Ja, ja, ich fühl's, mit Vampyrleidenschaft umstrickst Du mich,

Gespenst'ger Blutdurst brennt in Deinem Feuerkuß;

Nicht reines Leben ist es, was die schwell'nden Glieder hebt,

Tod ist es; einst'ges Leben, das als Leichnam wiederkehrt.

Könnt' ich Dich von mir stoßen! Aber mir versagt die Kraft!

Als Leichnam Dich erkennend, saug' ich Sterben doch

Von Deinen Lippen, die mich widerstandlos an sich ziehn.

Schönste der Leichen, hab' Erbarmen, fleh ich Dich,

Ich bin ein Mensch geboren, will lebendig sein,

Leben, genießen; Deiner Küsse kaltes Feuer würgt mich hin!

Erbarmen, lieblich Scheusal, laß mich, ach verschone mich![113]

Kehr' zu den Todten, in Dein Todtenbett versenke Dich!

Hüll' Deines Leibes Schöne wieder in Verwesung ein!

Mit ihnen steig' in's Brautbett, die begraben sind, wie Du;

Doch des lebend'gen Jünglings braunes Haar begehre nicht!

O wehe, wehe, wieder neu umschlingst Du mich?

O wehe, wehe, schon benetzt mein Blut den Leichenmund!

Satan, Dich ruf' ich! steig' in Schwefeldampf empor!

Mit Flammenkrallen reiße dieses Weib von meiner Brust!

Ich bin erschlagen! – – –

AMANDA.

O Heilige des Himmels, schützet diesen Jüngling mir!

Er wähnt mich Leichnam, und ich bin ein lebend liebend Weib,

Erwache, Holder! Weh', es schließt sein Auge sich!

Ihm flieht die Seele. Abgott meines Geist's, ermanne Dich!

Dein Liebchen ist kein Vampyr, ist lebendig so wie Du,

Ein jungfräuliches Leben, nur von Dir allein entweiht,

Nur bleich und blaß von übergroßem Leid um Dich!

O Hohn der Hölle! Soll ich, Schönster, Dich verlieren schon?

In erster sel'ger Brautnacht Dich erschlagen sehn?[114]

Hier liegst Du reglos; meiner Liebe Brunst erweckt Dich nicht!

Spitz wird Dein Antlitz, Deiner Wangen Gluth erbleicht!

Ich seh' den Tod – ein riesenhaftes Schreckensbild –

Sein Banner pflanzen! Dir im Herzen wühlt er schon;

Schon zehrt er, gierig Scheusal, Deiner Züge Lieblichkeit!

Weh' mir Unsel'gen! Aber tausendfältig fluch ich Dir, Natur!

Du hast erschlagen dieses Jünglings theures Haupt;

Den Gottgeweihten hast mit schnöder Tücke Du bethört;

Dein Opfer fiel er, Opfer seiner eignen Forschbegier,

Die Du, Natur, in schnöden Wahnsinn ihm verwandelt hast.

Fluch Dir, Natur, Dir, der Lebend'gen – Mutter nicht, nein – Mörderin! –

Was für ein Lärmen? Nahen sich die bösen Geister schon,

Zu rauben selbst die Hülle dieses meines Lieblings mir?

Dich lass' ich nimmer; so an Deiner kalten Brust erblass' ich selbst.


Stimmen auf der Gasse.


ERSTE STIMME. Den Schlüssel heraus, betrunk'ner Affe! Das ist[115] die Thüre und das rechte Haus. Oeffne zur Stelle, oder ich entseele Dich!

ZWEITE STIMME. Gnädigster Geist, ich versichre Euch auf Seligkeit, Ihr irrt Euch diesmal in der Hausnummer. Hier daneben die weiße Pyramide, das wird das rechte Haus sein und die rechte Herberge für Eures Gleichen, mit Erlaubniß zu sagen. Greift nur in Eure Rocktasche, gestrenger Geist; ich zweifle nicht, daß Ihr den Schlüssel zu dem schwarzen Gitterthor selbst bei Euch führt.

ERSTE STIMME. Hallunke, willst Du ein Gespenst aus mir machen? Mit Deinem eignen Schädel renn' ich dann die Thüre auf.


Die Thüre wird gesprengt.


ZWEITE STIMME. Zur Hilfe, zur Hilfe! Braucht Ihr meinen Schädel als Mauerbrecher, Herr? Dies Betragen ist nicht christlich. Nun, Gott sei Dank, es ist einer von den Dickköpfen, die ihren Puff vertragen. Im Uebrigen sorge ich nicht; mein Herr wird schon seines Dieners Schädel rächen, wenn Ihr hinaufkommt, und mit dem Eurigen Kegel spielen. –

Das Innre des Gemachs.

Ein fremder Ritter und Caspar

treten auf.


FREMDER RITTER.

Zu spät? Wär' es zu spät schon? Weib, hinweg von hier![116]

Dein Hauch ist Pesthauch! Fort, Verderben über Dich,

Bleichsüchtig Wesen! In Dein Todtengrab verbann' ich Dich!

Entfleuch dahin, wo Währwolf Dir den Willkomm heult,

Wo der Lemuren Schaar sich hohlen Auges um Dich drängt:

»Willkommen, Bräutchen; längst schon harret Dein der Bräutigam

Im weißen Knochenspenser – und der Hölle Segen über Euch!« –

Ha, Scheusal, hast erschlagen den geweihten Jüngling Du!

Ihn räch' ich an der Hölle selbst, die Dich heraufgesandt.

Dich aber, Jüngling, weihevoller, den der Tod gefesselt hat,

In einer lichtern Gottheit Namen ruft mein Mund Dich an.

Wach' auf, Entschlafner, hebe keck Dein Haupt empor

Im Namen der hochheil'gen Göttin – Poesie!

AMANDA.

Grausamer Mann, wer bist Du? Bist ein Teufel nicht;

Dies kündet mir Dein lichtes ritterhaftes Strahlenkleid,

Des Blickes Unschuld und der Mannheit kühner Trotz.[117]

So fleh' ich Dich im Namen aller guten Geister an:

Laß diesen Jüngling mir, denn mir allein gehört er innigst an!

Erbarmen, Ritter! Sei ein Herold der Barmherzigkeit;

Laß mir den Jüngling; nimmermehr erhältst Du ihn!

Ich geb' ihn nicht; wie Tiger rüst' ich mich zum Kampf,

Zum Kampf mit Dir um meines Daseins höchsten Preis.

FREMDER RITTER.

Schwachsinn'ger Vampyr, Deinen Blutzahn fürcht' ich nicht!

Mit mir zu kämpfen wage nicht, Du Larvenbild!

Vernichtet bist Du, nenn' ich meinen Namen bloß.

Dich aber, Schläfer, ruf ich nun zum andern Mal

Und auch zum dritten: Richte Dich lebendig auf

Im Namen dessen, was auf Erden Heiligstes und Höchstes ist,

Im Namen heil'ger Dichtung, die die ganze Welt durchdringt! –


Faust regt sich.


CASPAR. Dachte mir's gleich, daß es hier oben Krieg geben würde! Die blasse Dame scheint sehr resoluter Natur, und der Ritter nicht von der feigsten Sorte. Ich fürchte Unheil; denn die galanten Ritterzeiten, wo man vor Schaam in die Erde gesunken wäre, hätte man[118] einer Dame über das Maul fahren sollen, sind leider vorüber. Sieh' da, des Ritters Stern scheint den Sieg davonzutragen! Mein Herr richtet sich auf.

FAUST erwachend.

Glorreicher Freund, in schaudervollen Todes Nächte Drang Dein Ruf,

In meines Grabmals finstre Schatten Deiner Rüstung Schein!

Wer bist Du, stolzer Jüngling, höchster Mannheit reinstes Bild?

AMANDA.

Mir ist's ein Graunbild. Deines Panzers heißer Sonnenglanz,

In meines Lebens Tiefen dringt er sengend und verzehrend ein.

Dahin ist meiner dunklen Seele strahlenkühle Sternennacht;

Es lodert nun darin des heißen Mittags Gluthgestirn,

Zerstörend meines Wesens nächtigtraute Heimlichkeit.

O ärmstes Mädchen. ...

RITTER.

Faust, noch bleibt verborgen Dir

Mein Nam' und Wesen; dennoch schnell und offen ist mein Thun.

Hab' ich aus scheußlicher Dämonen Armen Dich befreit,

Als Schutzgeist Deiner Seele – Deines Geistes Schirm vielmehr –[119]

Denn Deiner Seele Trägheit ist es, die hinab Dich zieht

Von heitrer Lebenshöhe in des bösen Traums gespenst'ge Nacht;

Verräther Deines Seins und Denkens ist die Seele Dir,

Ein sieches Unding, bröcklig, von des Daseins Schwere ganz zerdrückt. –

Hab' dieses Seelengrabmals Kiefern ich gesprengt,

So sei nun wacker, Träumer; mit dem Krebs des Lichtgedankens wappne Dich,

Mit jenem heitren Sonnengürtel gürte Dich,

Den für der Geister mächtigste gewebt die Poesie,

Als sie im fernen Zauberwald gefangen saß

So viele, viele Jahre, eine stille gottgeweihte Klagefrau.

Den Gürtel schnür' um Deine Lenden, weinerlicher Faust,

Denk' an den Eidschwur, den Du finstren Mächten einst gethan;

Denk' an den Hohn der Geister dort in ferner Tropenwelt,

Schüttl' ab die ekle Traumsucht; denn dies Eine wisse, Narr:

Die Geister höhnen, spotten Dir, bis daß besiegt sie sind!

Kraft aber und des kühnen Willens unauslöschlich Feur[120]

Und Schaffens, Denkens hohe Unbesiegbarkeit,

Und jenes höchsten Wissens herrlichster Besitz,

Daß unbezwingbar, ewig unbezwingbar ist der Geist,

Wenn Erd' und Himmel und die ganze Welt zusammenbräch' –

Dies sind die Sonnenfäden, die Du als des Gürtels Einschlag schaust!

So heil'ger, machtumfloss'ner, gottgewalt'ger Strahlenschmuck,

Soll er, der Krafterzeuger, denn für Hämlinge geschmiedet sein,

Für schlotterbein'ge Memmen?

Faust, empor, empor!

Mit diesem Schlag, den ich auf's Herz Dir thu',

Weih' ich zum Leben endlich den wahrhaft'gen Geist in Dir,

Schlag' ich in Trümmer Deiner Seele ekle Todtengruft,

Werde zum Geist! Hinunter mit der Seele in den Höllenschlund!

Hier ist die Fackel! Fasse sie, Du Thor, mit Manneshand!

Bei ihrem Schein schau in dies Moderhaus;

Erkenne, daß Natur im Leben selber Dich auf's Neu' betrügt,

Daß falsches Leben sich um Deine feigen lusterfüllten Glieder schließ!

Erkenne, daß Du an dem schwarzen Schlund des Nichtseins stehst;[121]

Am schwarzen Gitterthor des Kirchhofs, wo Dein Grab schon offen gähnt,;

Erkenne, daß von Leichen, Schwächling, Du umrungen bist.

FAUST.

Wenn ich's erkenne, Du Gewaltigster, was frommt es mir?

Leib frißt den Geist mir, im Erkennen muß ich untergehn!

RITTER.

Fass' an mein Schwert, Verlorner, folge mir hinweg!

FAUST.

Dein Schwert, es glüht, ich halt's nicht, heiße Funken sprüht's!

AMANDA.

Faust, folg' ihm nicht, in dieser Sternenkühle bleibe hier!

Ein Salamander ist's, in seinem Arm zerloderst Du!

RITTER.

Unsel'ger, fass' an meines treuen Schwertes Griff!

Es ist ein Kreuz; in Kreuzes Namen, fordr' ich, folge mir!

FAUST.

Das Kreuz, ich hab's verläugnet; dennoch stöhnt's in mir

Wie Hilfruf: Folg' ihm, folg' ihm! – Wirf Dein Schwert hinweg!


Ritter schleudert sein Schwert durch's Fenster.
[122]

RITTER.

Da lieg', Du treues! Einen Geist zu retten gilt es hier;

Fass' an den Helm! Er ist der Weisheit Lichtsymbol.

FAUST.

Auf mein Haupt diesen Helm! Hölle, nun steh' ich Dir!

Du blasses Weib, leb' wohl! Aus Deinem Netz bin ich befreit.

Kühn reich' ich Dir und furchtlos jetzt die Abschiedshand;

Dein ekler Dunst, nicht haftet fürder er an mir.

In diesem Helme bin ich siegreich, überwind' ich weit.

Leb' wohl, Amanda! Kühlig war's in Deinem Arm;

Doch war's auch grausig, und, im Zutraun sei's gesagt,

Mehr todesängstlich, als für eines Mannes Nerven paßt.

Nun bin ich Stahl und Eisen, bin ein hörnen Siegefried,

Ganz unverwundbar. Komm, Amandchen, gib Dein Händchen mir!

Bis zu dem Stein an Deiner Gruft geleit' ich Dich,

Und sag' Valet Dir höflich, wie es Rittern ziemt.

GUCKKASTENMANN erscheint im Hintergrund in veränderter Gestalt.

Und dies Valet, mein Fantchen, ich vergäll' es Dir.

Kämpfe mit mir! Die Hahnenfeder für den Helm!

Der Kampf ist nobel, Satan gibt zwei Drittel vor,[123]

Ein Endchen Flaum für Stahl und Eisen! Kämpfe nun!

Sieh', so parir' ich und ertheil' noch guten Rath!

Schick' Deinen Casperl, aufzusuchen das verlorne Schwert.

Graut Dir vor'm Kreuzgriff, ei, so ist der Teufel Waffenschmied

Und macht mit fixer Hand in aller Eil

Ein ander Griffchen Dir aus seinem Pferdefuß.

CASPAR. Mit Verlaub, unterirdische Hoheit, die hörnenen Griffe sind uns nicht bequem. Horn schwitzt, und Hand schwitzt; da bleibt der Mensch an Wehr und Waffe kleben wie ein Nürnberger Lebkuchen. Wollt Ihr mir aber Euer Schwert zu suchen erlauben, Herr Strahlenritter, ei, so will ich damit eine so fröhliche Urständ hervorzaubern, als eine bei Mond und Sternenschein gewesen, und wahrlich so viel gewaltsame Bevölkerung, daß seine infernalische Majestät selbsten davor erschrecken sollen.


Caspar läuft hinaus.


AMANDA.

Satan, zu Deiner Linken stell' ich mich.

Zur Hölle bet' ich, daß Du Sieger über diesen Jüngling seist;

Zum Himmel aber bet' ich, daß Du ihn nicht tödten sollst.[124]

Ha grausenhaft, höchst grausenhaftes Kreuzgebet!

Um solchen Preis gewinn' ich Aermste mir mein höchstes Gut?

RITTER.

Zur Rechten aber dieses Fausti stell' ich mich,

Nicht lästernd in Gebetsgluth, wie dies Scheusal hier,

Nein, kämpfend für den Jüngling, und sein Schild zugleich.

SATAN.

Mit Dir nicht will ich fechten. Fort, Herr Don Quijote!

Ihr seit ein Spielhans; sucht Euch eine Windmühl' aus

Zum Gegner! Faustus selbst muß für sich stehn.

Ein Schurke, wer den Kampf auf Tod durch Fremde ficht!

Hol' Dir Dein Schwert, Faust, willst nicht Memme Du gescholten sein;

Ich warte noch, bis Du bewehrt bist, dann zum Kampfe schnell.

RITTER.

Das Schwert, mich dünkt, es kämpft schon für die Seele hier,

Uebt Ritterthaten unten auf dem Kirchhof aus

In treuen Caspar's Hand. Seht, wie der Kerl agirt!

Die Särge sprengt er und die Gräber mit dem goldnen Schwert[125]

Und bietet auf der Todten Landwehr. Hei, wie rappelts da,

Und grapst und krabbelt! Knochenschaaren dringen aus der Erd' empor;

Als Waffe blinkt in jeglichen Gespenstes Hand

Ein Stück von seinem eignen Klapperbein.

Die Zauberei ist gut; nun, Pferdefuß, gedulde Dich,

Gleich wird sie wirken. Poesie beut ihren Landsturm auf,

Ohn' andre Mittel als zwei Ellen Stahl

In eines Narren Händen. Hei, wie, klopft der Kerl!

Der Spaß ist köstlich! Faust, blick' hin. Für dieses Mal

Zählt Knechtes Narrheit für Gebieters Weisheit.

CASPAR auf dem Kirchhof öffnet mit Schwertschlag die Leichensteine. Hier heraus, meine Herren von der knöchernen Legion! Nur dreist, nur ohne Zwang und gêne! Kälte ist nicht zu fürchten. Es ist Sommerzeit, und das Stück spielt in Italien. Hierher, aufgestellt, richt't Euch! Wer ein Tambour gewesen ist bei Lebzeiten, der trete zu mir und kollere das Signal mit der Maultrommel. Verzeihung, meine Dame, Sie gehören nicht mit zum Chor der Rache. Es ist unschicklich, sich mit Mannsleuten in Reihe und Glied zu stellen, wenn beide Theile im Negligé sind. Um Sie jedoch nach Gebühr zu beschäftigen, so ernenne ich Sie zur Marketenderin und trage Ihnen auf, in Ihrem stillen Kämmerlein eine[126] grüne Suppe zu kochen von Rosmarin und Buxbaum zur Erquickung der Mannschaften nach geendigtem Kampfe. Denn es wird eine böse Nacht, verehrteste Commilitonen; aber ich kenne schon Ihren Muth. Sie haben durchaus nichts zu verlieren, weder Gesundheit, noch Garderobe, noch Leben. Sie haben gut hintreten; an Ihrem natürlichen Knochenpanzer wird die Hahnenfeder nichts mehr auszuputzen finden. Still gestanden! Rotten formirt! Nehmt's jeder seinen linken Oberschenkel als Faschinmesser! Bitte, Sich zu beeilen, was noch nicht auferstanden ist. Lassen's den Leilaken nur gefälligst liegen, langer Musje; er genirt beim Angriff. – Alles beisammen? Gut! Feldwebel, verlesen's die Mannschaften!


Der Autor bittet den Leser um Verzeihung, daß die Namen der Mannschaften nicht mitgetheilt werden. Mosje Grabwurm hat dem Feldwebel beide Kinnladen weggefressen; deshalb spricht er ganz undeutlich.


Gut gemacht, Feldwebel! Ein wenig lauter für ein andresmal! Compagnie in Rotten links abschwenken! Marsch!

GUCKKASTENMANN.

Verfluchter Gauch, verwünschter Eulenspiegel!

Der Einfaltspinsel stört mein ganz Manoeuvre

Durch seines Witzes ausgemachte Dummheit.

Was soll ich mit der Lumpencompagnie aus Knochen?[127]

Ich kenne dieses lottrige Gesindel!

'S ist schamlos wie die Huren, ruckt Dir auf den Leib

Und krabst und kankerbeint um Dich herum,

Hängt sich wie Kletten an Dich, feizt und grinst

Und huckt Dich, fängt Dich, thut Dir Liebes an

Wie einem Fangball, spielt mit Dir als Kreisel,

Liebkost Dich, hänselt, schnürt und keilt Dich ein

In solch' ein Labyrinth von Bein und Knochen,

Daß Dir der Odem ausgeht. Hier gilt kein Besinnen:

Schon überklettern sie das schwarze Thor,

Schon rankt der Vortrab sich am Haus herauf,

Schon krackeln ihrer zwanzig an dem Sockel.

Daß Euch die Hölle! Pest, ich muß mich geben!

Holla! Du Pack, ich will herab mich lassen

Mit Dir in Frieden zu capituliren.

Für freien Abzug geb' ich diesen Faust

Noch einmal los.

AMANDA.

O wehe, weh', mein Leben!

SATAN.

Komm, Bestie, quinquilire mir nicht so!

Hätt'st Du was klüger Deinen Part gespielt

Und nicht so plump die Schüsseln aufgetragen,

Die Hölle mußte siegen. Nun, was thut's?

Adies, Herr Faust, wir treffen uns schon wieder.

Ich habe mich ein wenig heut blamirt.[128]

Das schreib' einstweilen ich auf Euer Conto.

Mein Machwerk, dieses miserable Weibsbild,

War – ich gesteh's – für diesmal mißgerathen.

Ein andermal ein bessres Recipe!

Zwei Drachmen mehr von der Homunculustictur,

Zwei Unzen wen'ger Moder und Verwesung;

Das gibt auf Ehr die rechte Hexensalbe.

Drohst schon, Gesindel? Gut, ich gehe schon.


Satan ab.


CASPAR. Die Pestilenz! Da läuft unser Wildpret hin. Meine Herren, soll ein solcher Popelmann uns äffen? ein solches unansehnliches mediatisirtes Höllenfürstchen? ein solcher aufgelaufener Pfannkuchen, der auf dem halben Wege zur Teufelei sitzen geblieben? Ich wette, der Kerl hat nichts mit Satan gemein, als daß er ihm des Morgens den linken Stiefel putzt; denn am rechten Beine braucht Seine Hoheit keinen, und das ist eine wesentliche Ersparniß für Hochdieselben. Und solch ein zerlumpter Höllenstiefelputzer stiehlt seinem Herrn im Schlafe das Nachtcamisol und kommt hier heraufgeschnüffelt, um hier den Satan zu spielen! Wart, Gauner, Dich hetz' ich! Tambour, schlag an! Compagnie, marsch, marsch! Nehmen's Sich aber in Acht für's schlechte Pflaster.


Ab mit der Legion.
[129]

AMANDA.

Er ist erlöst; ich aber steh' vernichtet;

Ich fühle, wie der Tod zum Herzen dringt.

Wohl ahn' ich, welche Macht den Streit geschlichtet,

Und welch ein Gott hier seine Fahne schwingt;

Dies Auferstehungswort, so groß gedichtet,

Mir ist's ein Bannfluch, der mich niederzwingt,

Hinab mich schleudert in das Mark der Erde,

Auf daß ihr Recht der alten Mutter werde.


Meinst Du, ich hätte Leben nur gelogen?

O diesen Glauben halte fern von Dir!

In Daseins Vollgenuß ward ich betrogen;

Drum glimmt ein Lebensfunke noch in mir;

Im Lebenstraum hab ich den Tod gesogen,

Gestorben nicht, nur sterbend wandl' ich hier;

Ein ewig Sehnen nach des Lichtes Freuden

Ist all mein Wesen, Dasein, Thun und Leiden.


Nicht Satan ists der über mich gebietet,

Ihr ew'ges Recht nur braucht die alte Nacht;

Es ist ein Gott, der meinen Ausgang hütet,

Deß Gnadenauge über mir auch wacht;

Doch jener Fluch, den keine Macht verhütet,

Er ist's, der solches Wehe mir gebracht:

Als Leichnam muß ich durch das Leben schreiten,

In Grabes Kluft des Lebens Qual erleiden.
[130]

So ruht auf mir in dieser grausen Stunde,

Geliebtester, des Daseins herbste Pein;

Mich reißt der Liebe Gluth zu Deinem Munde,

Doch fodert mich der schwarze Todtenschrein;

Der Balsam selbst für meine heiße Wunde,

Er wandelt sich zum grimmem Höllenstein:

Denn, armer Freund, auf Wiedersehn nur scheid ich,

Im Schattenreich die Stätte nur bereit' ich.

RITTER.

Madam, Sie thun sehr wohl, Sich zu skisiren,

Ihr Seufzen wird etwas zu larmoyant;

Sollt' er mit Ihnen, Schönste, phantasiren,

Eine Kühne selber würde ungalant;

Auch dünkt mich's – wenn Sie gütigst permittiren –

Sie transpiriren etwas zu frappant;

Ein andermal, wenn Sie nach oben fahren,

Belieben Sie den Moschus nicht zu sparen.


Dame seufzt; Ritter bietet ihr den Arm und führt sie zur Thüre, wo die Dame verschwindet.


FAUST. Grausamer, Abscheulicher! Was thust Du? Mein Leben reißest Du von mir! Laß mich ihr folgen; ich kann, ich mag nicht leben ohne sie!

RITTER. Hier geblieben, Verehrtester! Sie fallen aus einem Paroxysmus in den andern; es ist hohe Zeit, daß Sie[131] den Arzt consuliren. Belieben Sie mir Ihre Wohnung zu sagen; ich bin so frei, Sie nach Hause zu geleiten.

FAUST. Schrecklicher und doch Wundervoller, wie ist Dein Name?

RITTER.

Wenn Du's vermagst, das Leben zu ertragen,

Sein mannichfaltig Irrsal zu bestehn,

Und, stark im Glauben, männlich-fest im Wagen,

Nur nach dem Ziel, nicht rechts und links zu sehn;

Wenn Du's vermagst, die Larven zu verjagen,

Die spukend, lungernd Dir zur Seite gehn:

Dann erst, wenn sicher stehst auf Deinen Füßen,

Sollst Du mich schaun, erkennen und begrüßen.


Quelle:
Marlow, F. [d.i. Ludwig Hermann Wolfram]: Faust. Ein dramatisches Gedicht in drei Abschnitten, Neu herausgegeben und mit einer biographischen Einleitung versehen von Otto Neurath, II. Teil: Text des Faust, Berlin [1906], S. 105-132.
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