Als Ihro Hochwohlehrwürden Herr Professor Tiemroth zum Decano der Philosophischen Facultät erwehlt wurde

[283] Den 24. April 1732.


Es gienge Mirhartus im Garten spatziren,

Beschaute die Bäume, wie schön sie floriren;

Die mancherley Farben vergnügten den Sinn,

Und zogen denselben fast gänzlich dahin.

Da kame das Glücke mit lächelnden Mienen,

Und sagte: Mirhartus! willkommen in Grünen!

Was lachest du über der Gärten ihr Glück?

Gedenke viel lieber an deines zurück;

Das heute beginnet besonders zu blühen;

Du wirst Dich desselben gewiß nicht entziehen.

Es sinnet Sophia und denket darauf,

Und rufet dem Glücke; und fördert den Lauf.[283]

Wie? sagte Mirhartus, was lässest du spüren?

Ich glaube, du scherzest, und wilst mich vexiren?

Drauf kame ein Weibsbild, ihr Name hieß Zeit,

Und sagte: Mirhartus, dein Glück ist nicht weit:

Was jetzo das Glücke dir freudig berichtet,

Das sagt es mit Wahrheit, es ist nichts erdichtet.

Drum bin ich erschienen, daß ich dich von hier

Zum Helicon bringe, zur schöneren Zier.

Besinn dich nicht lange; verlasse den Garten,

Laß mich und das Glücke nicht fernerhin warten.

Drauf wurde Mirhartus von beyden geführt,

Daher Ihn kein Leiden und Unfall berührt.

Sie schritten behende, hier galt kein Verziehen,

Weil ihnen der Himmel gut Wetter verliehen.

Bald zeigte sich ihnen Sophiens Pallast,

Der reichlich mit Bäumen und Wasser umfaßt.

Es lachte Sophia, da diese drey kamen,

Und ihre Behausung zum Aufenthalt nahmen.

Sie reichte Mirharten gar zärtlich die Hand,

Und sagte mit Freuden: Weil du mir verwandt,

Und gänzlich ergeben; so will sichs geziemen,

Daß meine Geliebten Dich ehren und rühmen.

Ich hab an die Meinen den Ausspruch gethan:

Bringt heute Mirharten zur rühmlichen Bahn.

Die Söhne Sophiens erschienen mit Freuden,

Und sagten: wir werden uns billig bescheiden,

Wir werden verrichten, was dein Mund gelehrt,

Weil solches selbst unsre Belustgung vermehrt.

Sie führten Mirharten ins oberste Zimmer,

Hier strahlte der güldne und silberne Schimmer.

Hier sah man die Ehre, hier war auch ihr Thron?

Sie fragte ganz freundlich: Wem geb ich den Lohn?

Die Antwort kam schleunigst: Wir müssen bekennen,[284]

Mirhartus ist würdig Decanus zu nennen,

Wir fordern ihn ohne Bedenken darzu,

Denn seine Erkäntniß verschaffet uns Ruh.

Mirhartus ist würdig Decanus zu heisen;

Wir müssen ihn ehren und sonderlich preisen.

Drauf sagte die Ehre: o herrlicher Schluß!

Ich gebe ihm ohne Bedenken den Kuß;

Er sey nun Decanus; ich will Ihn erhöhen,

Er soll mir in Zukunft zur rechten Hand stehen.

Er steige auf meinen befestigten Thron,

Ich gebe und schenk Ihm mich selber zum Lohn.

Nachdem nun der Entschluß so rühmlich gefallen;

So liesen sie alle, er lebe! erschallen:

Und wünschten dem Herren Decano viel Glück!

Drauf nahmen sie Abschied, und giengen zurück.


Quelle:
Sidonia Hedwig Zäunemann: Poetische Rosen in Knospen, Erfurt 1738, S. 283-285.
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