Die Wölfe und der Rabe

[58] Zween Wölfe, die sehr hungrig waren,

Begaben sich mit viel Gefahren

Zu einem Schafstall. Jeder nahm

Sich nach Belieben da sein Lamm,

Und eilten d'rauf zum Wald hinein,

Von Niemand mehr gestört zu seyn.

Ein Rabe sah's von ohngefähr,

Flog hurtig hinter ihnen her;[58]

Und als sie nun, nach langem Schmachten,

Sich über ihre Beute machten,

Rief er von einem Baum herab:

Ihr Herr'n, gebt mir doch auch was ab!

Ihr werdet mich doch nicht vergessen,

Und Alles so allein hier fressen?

Ich habe kühn und unverzagt

Mein Leben ja mit euch gewagt;

D'rum gebt mir mein gebührend Stück,

Und weist mich hungrig nicht zurück.

Ja, sprach ein Wolf, du hast geflogen,

Und bist uns treulich nachgezogen,

Doch, guter Freund, aus Eigennutz,

Und wahrlich nicht zu unserm Schutz!


Quelle:
Just Friedrich Wilhelm Zachariä: Anthologie aus den Gedichten von J. F. Wilh. Zachariä, Hildburghausen/ New York 1850–55, S. 58-59.
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