Fünfter Gesang

[40] Muse, lass' uns nunmehr aus unterirdischen Reichen

Wieder zur Oberwelt kehren! Und wenn du mit goldener Leier

Mir die einsamen Stunden versüßt, und wenn dich Rosaura

Mit holdseligem Beifall beehrt, so höre gelassen,

Was der tiefgelehrte Pedant, das spitzige Fräulein,

Oder der Duns in der Knotenperücke zum Hohne dir sagen.


Conrad hatte nunmehr das Mausoleum des Katers

Mit der letzten Erde bedeckt. Er hob nun den Spaten

Auf die breiten Schultern, und ging, stillschweigend und feiernd,

Ueber den Edelhof weg. So wenden sich Todtengräber

Langsam feierlich wieder zurück, wenn unter dem Beileid[41]

Christlicher Juden und Wechsler ein reicher Geizhals verscharrt ist.

Ihn sah über den Hof Rosaura; da stiegen ihr Thränen

In die himmlischen Augen; sie rührten den ehrlichen Raban,

Und er begleitete sie mit seinem zärtlichen Mitleid.

Endlich brach Rosaura das traurige Schweigen und sagte:

Geh' nun hin, getreue Lisette, bezahle den Gärtner

Für den letzten dem Cyper erwiesenen Dienst, und befiehl ihm

Veilchen zu pflücken, damit ich sein Grab mit Blumen bestreue!


Also Rosaura; darauf nahm sie den Hut und stieg mit dem Onkel

Ueber den Hof. – Am Graben der Burg stehn heilige Linden

Mit den dicken waldigen Wipfeln bei zackigen Tannen.

Ihre Wurzeln waschen beständig die silbernen Wellen,

Und ein höheres Grün belebet die saftigen Zweige.

In der Mitte strecket ihr Haupt die größte von allen

Stolz zu den Wolken empor; es wohnen die Vögel des Himmels

Im ehrwürdigen Baum, der fast den Augen ein Wald scheint.[42]

Ein erfrischender Balsamgeruch von Thymiansbüschen

Und Lavendel herrschet allhier; und über dem Rasen

Blitzen viel tausend gesternte Ranunkeln und schimmernde Blumen,

Welche die wilde Natur, die Kunst zu beschämen, hervorbringt.

Hier lag Murner am Fuß der großen Linde verscharret;

Angenehm war sein einsames Grab von Bäumen umschattet,

Gleich den Gräbern der Alten, die nicht mit Leichengerüchen

Ihre Tempel erfüllt, und todt noch Seuchen erweckten.

Bei dem Grabe standen Rosaura, der Onkel, mit ihnen

Conrad, Lisette, nebst Herrmann, dem Jäger. Die holde Rosaura

Nahm zwei Hände voll Veilchen, und streute sie über das Grabmal

Ihres geliebten Cypers. Da nahm der Jäger sein Jagdhorn,

Wie der gehörnete Mond gestaltet, von männlichen Schultern,

Und fing an mit kläglichem Ton in die Haine zu blasen,

Wie nach Jägers Gebrauch der todte Hase beklagt wird.

Alle Hunde wurden d'rauf laut; auch kamen die Katzen

Auf den Dächern des Schlosses zusammen, und heulten erbärmlich[43]

Ueber den Tod des treuen Gefährten, da Ratten und Mäuse

Heimlich jauchzten und Festtage hielten, daß Cyper gefallen.

Endlich wandte Rosaura sich von dem Grabe; sie sprach noch,

Als sie ging: So ruhet denn sanft im Schatten der Linden,

Werthe Gebeine des Cypers! O, daß nicht die Musen die Stirne

Mir mit Lorbeer gekrönt, und daß nicht hier in dem Dorfe

Jemand die Sprache der Götter gelernt; sonst sollte dein Name,

Zu den Sternen erhöht, den spätesten Zeiten noch werth seyn.

So das Fräulein, und kehrte zurück nach ihren Gemächern.


Fama begab sich indeß mit ihrer hellen Posaune

Durch das Dorf, und ließ sich herab zum Hause des Küsters,

Welcher mit majestätischem Ernst die Jugend des Dorfes

Vor sich sah. Mit lautem Geschrei und stammelnder Zunge

Wiederholen sie oft die schweren Versuche zum Lesen.

Ihm naht sich die Göttin und spricht: Du Liebling Apollo's,

Schweigst du jetzt bei'm Tode des Cypers des gnädigen Fräuleins[44]

Und versäumst nachlässig, unsterblichen Ruhm zu erlangen?

Gab die Natur dir umsonst die Wundergabe zu reimen,

Neujahrswünsche zu machen, mit mancher poetischen Inschrift

Häuser und Scheuern zu zieren? Und jetzo wolltest du zaudern,

Einen klingenden Vers dem Cyper zu Ehren zu machen?

Also goß sie den dicht'rischen Trieb in die Seele des Küsters,

Der sich erhob vom krachenden Thron, aus Binsen geflochten.

Und sogleich der lärmenden Schule die Freiheit ertheilte.

Wie die Heerde geschwätziger Gänse, vom Schießhund gejaget,

Mit Geschrei über die Lüfte sich hebt, und über dem Dorfteich

In das sichre Schilf sich rettet, so drangen die Knaben

Jauchzend aus ihrem dumpfigen Kerker und liefen zum Spielplatz,

Wo mit Jubelgeschrei der elastische Ball in die Luft stieg.

Aber der Küster steckte die Fasces des wichtigen Lehramts,

Seine birkene Ruth' und den Stock, an das schwitzende Fenster.

Jetzo war er allein. Er nahm die zaub'rische Feder,

Zog an der Stirne schreckliche Runzeln, verkehrte die Augen,[45]

Und fing an mit tiefen Gedanken auf Reime zu sinnen.

Dreimal schmiß er die Feder halb aufgefressen zur Erde,

Dreimal beschwor er die Muse und seinen getreuesten Hübner.

Endlich sprang er freudenvoll auf und las mit Entzücken

Den erstaunenden Wänden die herrliche Grabschrift der Katze.

Muse! dir ist nichts verhüllt, erzähle der Nachwelt die Grabschrift,

Wenn dein freierer Vers nicht vor den Reimen zurückbebt.

Also lautete sie:


Hier liegt ein Kater der schönsten Art,

Der Cyper von Fräulein Rosauren zart.

Zu seinen Ehr'n hat dieses gestellt

Der Küster Martin Schinkenfeld.


Als er nunmehr auf Papier, mit Todtenköpfen gezieret,

Diese Reime gemalet und seine Perücke gekämmet,

Ging er voll Hochmuth zum Schloß und überreichte Rosauren

Feierlich seine Geburt mit krummem, scharrendem Fuße.

Lächelnd nahm Rosaura die Grabschrift und sagte: Herr Küster,

Dieses werde dem Cyper zu Ehren in Marmor geätzet,

Als ein ewiges Denkmal sein frühes Grab zu bedecken.[46]

Ihm, dem Dichter, sollen zwei Lüneburgische Rosse,

Welche, noch neu, im Silbergewölk die Nasen erheben,

Seine Mühe versüßen. So sprach sie, und schickte den Jäger

Nach dem Steinmetz, welcher die Grabschrift mit künstlichem Griffel

Auf den adrischen Marmor schrieb. Er liegt nun auf ewig

Ueber der Gruft; der gefällige Fremde betrachtet ihn oftmals;

Und der neugierige Wand'rer erzählt in fernen Provinzen

Von dem redenden Stein. So steigt der Name des Cypers

Zu den Sternen hinauf und reicht in die fernesten Zeiten.[47]

Quelle:
Just Friedrich Wilhelm Zachariä: Anthologie aus den Gedichten von J. F. Wilh. Zachariä, Hildburghausen/ New York 1850–55, S. 40-48.
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