21. Ode

[94] Auf die geplagte Berille.


Die Misgunst läßt je hier und dar

Und überall die Klauen blicken,

Man ist vor ihr stets in Gefahr,

Denn sie sucht jeden zu bestricken.

So gar ein Kind sagt uns von ihr,

Und kann uns ihre Spuren zeigen.

Sie geht uns nach, und solten wir

Auch auf die höchsten Berge steigen.


Ja was? auch in der Thiere Reich

Hat man dies Unthier längst entdecket,

Das nach geschehnem Wurfe gleich

Die Jungen mit dem Gift beflecket.

Begiebt sichs daß ein Hund ein Bein

Von ohngefähr im Lauf ertappet:

So wird so gleich ein andrer seyn,

Der nach demselben neidisch schnappet.


Pflegt sich nun dieses Natternkind

Auch zu den Thieren zu gesellen,

Ob sie gleich unvernünftig sind,

Und gar kein Urtheil können fällen;

Wie muß es vollends sich bemühn,

Geschöpfe, die wir weise nennen,

In sein verstricktes Garn zu ziehn,

Daß sie auch andre fangen können?
[95]

Ja wohl; sie herscht nur gar zu sehr,

Besonders bey verliebten Seelen,

Die sich unstreitig noch weit mehr

Mit Haß und Neid, als andre quälen.

Fragt nur Berillen, die weis euch

Ein langes Lied davon zu singen;

Wie manchen schlauen Fang und Streich

Man ihr bemüht ist bey zu bringen.


Kaum, daß sie mit dem Seladon

Hier in Bekantschaft ist gerathen,

So riechen andre Nymphen schon

Von Eifersucht gereizt, den Braten.

Sie dichten wahrlich Tag und Nacht,

Wie sie dies Freundschaftsband zertrennen.

Was haben sie nicht ausgedacht,

Das sie ihr doch nicht zeigen können?


Die eine, schaut die List nur an,

Sucht ihn bey ihr so anzuschwärzen,

Als meynt es dieser Spaßgalan

Mit keiner einigen von Herzen.

Die andre zischt ihr in das Ohr:

Sie soll sich nur zu tode härmen,

Man säh ihn mit der Bienenchor

Von einem Baum zum andern schwärmen.


Die dritte warnet sie vor ihn,

Und sucht durch frevelhaftes Lügen

Den Seladon von ihr zu ziehn,

Um alle beyde zu betrügen.

Ihr falscher Vorwand legt ihm bey,

Als ob er, wenn er gleich nichts küßte,

Ein Wäscher und ein Prahler sey,

Der sich gar viel zu rühmen wüßte.
[96]

Berille, glaube keiner nicht,

Sie wollen dich nur hintergehen.

Ihr scheel und falsches Angesicht

Giebt dir es deutlich zu verstehen.

Man suchet dir durch Rank und List

Dies Leckerbißchen wegzufischen,

Und dich, so redlich er auch ist

Zu Zorn und Rachgier anzufrischen.


Weist du, warum sie Tag und Nacht

Mit ihrem Schmähen auf dich stürmen,

Und Lügen, so die Mißgunst macht,

So häufig auf einander thürmen?

Es will ein jegliches darvon

Sich bey der Schnabelweide laben,

Und heimlich deinen Seladon

Im Umgang ganz alleine haben.

Quelle:
Christiane Mariane von Ziegler: Vermischte Schriften in gebundener und ungebundener Rede, Göttingen 1739, S. 94-97.
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