4. Gedichte

[240] Klage über die Entfernung eines Freundes.


So geht es in der Welt; man traue nur dem Glücke

Nicht länger als dem Glas, das in der Hand zerfällt.

Vor kurzem zeigt es mir die angenehmsten Blicke;

Itzt weis es keinen Trost, der mich zufrieden stellt.

Was hab ich dir gethan, und was hab ich verbrochen

Daß mich dein harter Streich so schnell danieder schlägt?

Dein Urtheil ist bereits zu meinem Fall gesprochen

Wenn dich nicht mit der Zeit noch mein Verlust bewegt!

Ich bin um meinen Freund, eh ichs gedacht, gekommen:

Mein Kleinod raubst du mir das meine Seele liebt.

So hast du alle Lust aus meiner Brust genommen,

Kaum daß ich reden kann von dem was mich betrübt.

Ich sitze wie im Traum, im tiefsten Todtenschlummer?

Ich suche dich mein Freund, sag wo verbirgst du dich?

Du schweigst; das häuft in mir den so gerechten Kummer.

Wer dich nur recht gekannt, der liebt dich inniglich.

Denn dein erhabner Geist, dein Wesen, deine Sitten,

Die seltne Redlichkeit und deine edle Art,

Die haben dir mit Recht das Urtheil längst erstritten,

Daß Witz und Anmuth sich mit Wort und Thaten paart.

Wo find ich einen Freund, der dir noch zu vergleichen?

Wer bietet sich wie du zu meinem Beystand an?[241]

Bey guten Tagen wird so leichtlich keiner weichen,

Wie die Erfahrung uns noch täglich lehren kann;

Man schmeichelt, man verspricht, man lockt mit holden Minen;

Man schweret mit dem Mund; das Herze bleibt entfernt.

Soll dir ein solcher Freund, in deinem Unglück dienen,

Da man ihn aus der That erst recht erkennen lernt;

Da sieht es anders aus, er schweigt bey deinem Klagen:

Und spricht er ja ein Wort, zeigt sich sein kaltes Blut,

Die Hülfe will er dir nicht ins Gesicht abgeschlagen,

Doch meynt sein falsches Herz es mit dir gar nicht gut.

Es fällt ihm gar zu schwer, ein Wörtchen vorzubringen,

Daraus du schliessen kannst, er nähm auch Theil daran.

Wie zieht er nicht das Maul, wie muß er sich nicht zwingen,

Daß er das böse Herz vor dir verbergen kann?

Kein solcher war mein Freund, er konnte mich nicht lassen

Mein Kummer brach sein Herz, sein Mitleid war zu groß.

Er wuste sich oft nicht bey meiner Noth zu fassen,

Er bot mir seine Hand, ich lag in seinem Schooß,

Und da gedacht ich nicht an hundert tausend Plagen;

Er trug von meiner Last gewiß den grösten Theil.

Und wollt ich ihm etwas von meinem Leiden sagen,

So fiel er mir ins Wort und rieth zu meinem Heil.

Es konnte mich kein Schmerz, kein Unglück übermannen,

Sein Zuspruch war zu schön bey meinem Ungemach

O Schicksal, willst du mich von meinem Freund verbannen?

Betrachte den Verlust! erbarmt dich nicht mein Ach?

Was kann ich anders thun, als unaufhörlich klagen?

Weil mich die ganze Welt hinführo nicht ergetzt.[242]

Kein Redner kann mir was zu meiner Tröstung sagen,

Wo lebt ein Sterblicher, der dich nach Würden schätzt.

Dein Scheiden rühret mir das Innerste der Seelen,

Mein Leben steht anitzt allein in deiner Hand;

Mein Herze suchet nicht die Neigung zu verhelen:

Ich liebe dich mein Freund, ich liebe mit Bestand:

Dein allzugrosser Werth hält meine Brust gefangen.

Wenn mein Verhängnis auch in allem widerspricht,

So will ich doch den Ruhm dereinsten noch erlangen:

Entfernung trennt gewiß die wahre Freundschaft nicht.

Quelle:
Christiane Mariane von Ziegler: Vermischte Schriften in gebundener und ungebundener Rede, Göttingen 1739, S. 240-243.
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