5. Gedichte

[243] Die Geduld, als die beste Arzeney in Wiederwärtigkeit.


Was ist es, das dir fehlt? Cleantes, sag es mir.

Du murrst ja spät und früh, und bist niemals bey dir

So oft man dich nur sieht; dein misvergnügtes Wesen,

Das wir fast jeden Tag aus deinen Augen lesen,

Verstellet dein Gesicht. Ja, sprichst du, frage noch,

Was mich in Unmuth setzt; wer so ein hartes Joch

Von Unfall und Verdruß soll stets am Halse tragen,

Der muß vor Ungeduld wohl murren, winseln, klagen.

So klagst du, hör ich wohl, deswegen nur, mein Freund,

Weil dir dein Glücksgestirn nicht alle Tage scheint,

Und weil das Schicksal sich nicht will dazu bequemen,

Dich als sein liebstes Kind in seinen Schooß zu nehmen.[243]

Ists möglich, daß du selbst des Denkens Kraft verhüllst,

Und mit dem Himmel auch zuletzt noch rechten willst;

Weil du nicht immer kannst auf sanften Rosen sitzen,

Und dann und wann zugleich auch rauher Dörner Spitzen

Gleich andern fühlen must. Cleantes klage nicht,

Indem dir die Vernunft hierinnen widerspricht,

Die dich, so oft dein Mund aus Unmuth sich beschweret,

Des Unrechts überführt, und ganz ein andres lehret.

Schau, wie ein falscher Wahn die Ueberlegung schwächt!

Woher stammt, sag es doch, wohl dein vermeyntes Recht?

Wer hat dir beygebracht, als sollte hier auf Erden

In deinem Tagebuch kein Tag gefunden werden

Der trüb und neblicht sey; so daß der Sonnenschein

Den sonst das Auge liebt, stets sollte sichtbar seyn?

Wo ist denn der Vergleich, daraus dein Satz erhellet,

Und den der Schöpfer dir hierüber ausgestellet?

O wahrlich, dieser giebt, wenn man dies Rund betritt,

Uns nichts besonderes, und keinen Freybrief mit,

Daß Kummer und Verdruß, wie unser Wunsch es wollte,

Von unsern Schwellen sich entfernet halten sollte.

Wer forderte dies wohl mit Fug und Recht von ihm?

Bist du der tolle Mensch, der es mit Ungestüm,

Mit Rasen, Wuth, und Zorn, vom Himmel will begehren?

Ja, hoffe nur darauf, er wird es dir gewähren!

O! daß dein starker Muth und der geprüfte Geist

Sich nicht in Ungemach gesetzt und groß erweist!

Kann ein so kleiner Sturm dich der Vernunft berauben?[244]

Das wird man nimmermehr, von dir, Cleantes, glauben.

Wo bleibt der Philosoph? wo die Gelassenheit

Der sich ein kluger Geist in allen Fällen weyht?

Der, wenn der Wechsel soll von Wohl und Weh geschehen,

Dies alles beydes weis mit Großmuth anzusehen.

Er hält, bey trüber Zeit, bey Hagel, Sturm, und Graus

Und aller Wetter Macht ganz unerschrocken aus,

Wohl wissend, daß ein Schiff das starke Lasten träget,

Mit mehrer Sicherheit durch Fluth und Wellen schläget

Als wenn die Ladung fehlt. Dies muß der Probestein,

Der herrschenden Vernunft des wahren Weisen seyn;

Dies kann am trefflichsten von seinen Kräften zeugen:

Dafern er sich nicht läßt durch Furcht und Zagheit beugen;

Durch Schweigen und Geduld das Trauren so besiegt,

Daß sein gesetzter Geist im Schmerz nicht unterliegt;

Und wenn ein Unglücksstern will über ihn erscheinen,

Im Klagen Maasse hält und nicht will ewig weinen?

Drum Freund verstopfe nicht aus Ungeduld dein Ohr,

O stelle dir vielmehr den grossen Weisen vor,

Den edlen Socrates, der ließ sich standhaft finden,

Und von des Schicksals Wuth so leicht nicht überwinden.

Er bot dem Unglück Trotz, und litte mit Bestand;

Mit was für männlicher, vom Geist gestärkter Hand

Setzt er den Becher an, der Mund und Gaumen netzte,

Und seiner Jahre Lauf ein tödlich Grenzmal setzte!

Hier zittert nicht ein Glied, hier höret man kein Ach,

Kein ungeduldig Wort folgt diesem Trunke nach,[245]

Er trinkt den Gift beherzt, ohn alles Unterscheiden;

Als ob es Julep wär. Dies heiß ein Held im Leiden!

Gesetzt, daß Drangsal, Noth, und Widerwertigkeit

Dich schon empfindlich trifft, und dir auch ferner dräut;

Gesetzt, du sähest dich zur Rechten und zur Linken

Von diesem Feind umringt, muß doch der Muth nicht sinken.

Der Schmerz, mit welchem man bey harten Gängen kämpft,

Wird, glaub es nur, gewiß gelindert und gedämpft,

Wenn wir den blöden Geist dabey zurücke lenken,

Und wiederum an das so uns ergetzt, gedenken.

Vernunft und Hoffen ist die beste Arzeney;

Hier taugt nicht Fluch und Zorn, kein wildes Klaggeschrey.

Gelassenheit und Ruh kann alle Lasten schwächen

Und dem verstockten Glück zuletzt den Nacken brechen.

Der Unmuth schadet nur; das Murren wird verlacht,

Das Schicksal ändert nichts was es dir zugedacht.

Ein weiser Mann wird stets desselben Strenge weichen,

Weil er durch Ungestüm nicht kann den Zweck erreichen.

Cleantes, schäme dich; auf, zeige bey dem Schmerz

Doch auch ein männliches und fest gesetztes Herz;

Stell deine Klagen ein und hemme die Beschwerden.

Bestrebe dich forthin, ein weiser Mann zu werden.

Quelle:
Christiane Mariane von Ziegler: Vermischte Schriften in gebundener und ungebundener Rede, Göttingen 1739, S. 243-246.
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