50. Auf die unvermuthete Zusammenkunft in Ebersdorf

[145] 1726.


O Liebe! wunderbares Gut,

Was gibst Du denen nicht zu schmekken,

Die sich durch Deine Liebes-Gluht,

Dir nachzufolgen, lassen wekken!

Wie lieblich wirst Du nicht erkant

Von allen, die Dich je gefühlet,

Und derer Geist aufs Vaterland,

Das unsichtbare Reich gezielet!

Sie können Deinen Rath

In mancher grossen That

So wunderbar, so seltsam merken!

Doch pflegst Du ihren Muth,

Was nicht die Liebe thut!

Durch Kleinigkeiten auch zu stärken.


Du auserkorner Seelen-Freund,

Du Einfalts-volle treue Liebe,

So sehr Dein Wesen schlecht erscheint,

So ungekünstelt Deine Triebe;

So bist Du doch zu gleicher Zeit

Ein Gott der Ordnung, Maaß und Zieles.

Der Menschen Unbesonnenheit

Versäumt und übergehet vieles,

Das Ueberlegung braucht,

Und uns erstaunlich daucht,

Sobald wirs ehrerbietig messen.

Da uns nun dieser Tag

So seltsam scheinen mag:

Wer wolte Deines Raths vergessen?


Solange man noch immer will,

So lange mag man sich bekümmern.[146]

Kaum wird das Herz vom Wirken still,

Fängt Gott an unser Glük zu zimmern.

Der allerangenehmste Blik,

Den wir erdürstet und erdrungen,

Gibt wenig Lieblichkeit zurük,

Und scheint uns allzusehr gezwungen.

Was unser eigner Rath

Mit Müh ersonnen hat,

Was unsre eigne Faust erkämpfet,

Fühlt ein geschwächter Geist,

Die Hand ist matt, und schweißt,

Drum ist die Armuth sehr gedämpfet.


Die Freude, die der Freuden-Quell

Uns diesen Abend über gönnet,

Hat dann erst ihre rechte Stell,

Wenn sie auf Herz-Altären brennet:

Da wird das allerhöchste Gut

In allen Gaben recht geschmekket,

Allda wird der geheimste Muth

In Lieb entflammt, zum Lob erwekket;

Die dem Immanuel

Zur Magd erkaufte Seel

Eilt aus der Wüsten ihrer Stille,

Steigt auf nach Geistes-Brauch,

Als ein gerader Rauch,

Ihr Liebes-Ernst steht in der Fülle.


Nur unsre Herzen sollen sich

An diesem Abende verbinden,

Ihr Gut und Wollust ewiglich

In Dir zu suchen und zu finden.

Wir werden unsrer Trägheit gram,

Und unserm losen Bogen spannen.

Dem Freunde, der ins Elend kam,

Und ließ sich Gott für uns verbannen,[147]

Dem sey der ganze Muth,

Dem werde Leib und Blut

Zum ewigen Besitz ergeben!

Mein Heiland! hebe dann,

Von diesem Tage, an

Noch mächtiger in uns zu leben!


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 145-148.
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