99. Henochs Leben

[281] 1731.


Vor Seinen Augen schweben

Ist wahre Seligkeit;

Ein unverrüktes Leben

In Eingesunkenheit:

Nichts können und nichts wissen,

Nichts wollen und nichts thun,

Als Jesu folgen müssen;

Das heißt im Friede ruhn.


Man steht von seinem Schlafe

In Christi Freundschaft auf;

Man fürchtet keine Strafe

Im ganzen Lebens-Lauf;

Man ißt und trinkt in Liebe,

Man hungerte wol auch;

Man hält im Gnaden-Triebe

Beständig einen Brauch.


Wenn man den Tag vollendet,

So legt man sich zur Ruh,

Von Christo unverwendet

Thut man die Sinnen zu;

Und weiß auch denen Träumen,

Wenns ja geträumt soll seyn,

Nichts anders einzuräumen,

Als Christi Wiederschein.


Man geht in einer Fassung

Dahin bey Tag und Nacht,

Und ist auf die Verlassung

Der ganzen Welt bedacht:

Man hört, und sieht, und fühlet,

Hört, sieht und fühlt doch nicht;[281]

Und wenn uns Schmerz durchwühlet,

Weiß man nicht, was geschicht.


Gewiß, wer erst die Sünde

In Christi Blut ertränkt,

Und hurtig und geschwinde

Aus Jesum zugelenkt;

Der kan sehr heilig handeln,

Und kan bald anders nicht.

Herr Jesu, lehr uns wandeln

In Deiner Augen Licht!


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 281-282.
Lizenz:
Kategorien: