[42] Der Kuß machte mich irdisch. Ich glaubte die Augen offen zu haben, doch merkte ich, daß sie geschlossen waren; denn ich hörte leise Tritte um mich rauschen und sah doch in der Höhle niemanden.
Da hauchte mich ein neuer Atem an, und zwei zarte Lippen rührten abermal an die meinigen. Das Gefühl des Lebens trat wieder in meine äußern Sinne. Ich hörte Kinderstimmen flüstern. Traum und Wahrheit schwammen verworren durcheinander und trennten sich immer bestimmter, bis ich zum hellen Bewußtsein und deutlicher äußeren Klarheit kam.
Ich spürte, ich liege hart und unbequem. Es war mir, als sei es auf dem Sofa in meinem Gartenhause. Ich tat die Augen auf, und meine Fanny hing über mir. Mit ihren Küssen hatte sie mich erweckt. Unsere Kinder klatschten freudig in die Hände, als sie mein Erwachen sahen, und kletterten aufs Sofa und über mich hin und riefen eines ums andere: »Papa! Guten Morgen, Papa!« – Und mein Weibchen klammerte sich fest um mich, und mit den Augen voller Tränen machte es mir doch Vorwürfe, daß ich die ganze Nacht im Gartenhause geschlafen, und wäre Christoph, unser Knecht nicht vor einer Viertelstunde aus dem Posthause gekommen und hätte Lärmen mit den Mägden in der Küche getrieben und meine Ankunft verraten, kein Mensch hätte davon gewußt.
Aber der schwere Walpurgistraum hatte mir dermaßen zugesetzt, daß ich lange lag und weder den Augen noch Ohren zu trauen wagte. Ich suchte die phantastische Höhle der Wüste, und immer war es das Gartenhaus. Da lagen noch Trommeln, Steckenpferde und Peitschen am Boden herum. Auf dem Tische stand noch Fannys Strickkörbchen – alles wie ich es gefunden, als ich hier mein Nachtlager wählte.
»Und Christoph ist jetzt erst aus dem Posthaus gekommen?« fragte ich. »Hat er dort die ganze Nacht geschlafen?«[43]
»Freilich, du Wunderlicher!« sagte Fanny und streichelte mir die Wange. »Er behauptet ja, du selbst habest es ihm so befohlen. – Warum auch hier auf dem steinharten Sofa übernachten? Warum hast du uns nicht aus den Betten getrieben? Wie gern wären wir doch zu deinem Empfang bereit gewesen!«
Ich erschrak freudig. »Ihr habt also sanft und ruhig geschlafen die Nacht?« fragte ich.
»Nur zu gut!« sagte Fanny. »Hätte mir ahnen können, daß du hier im Gartenhause wärst – aus dem Schlafe würde nichts geworden sein. Ich würde zu dir geschlichen sein wie ein Gespenst. Weißt du auch, daß es Walpurgisnacht war, wo die Hexen und Kobolde ihr Wesen treiben?«
»Ich weiß es nur zu gut!« sagte ich und rieb mir die Augen und lächele fröhlich, daß alle meine Verbrechen Traum gewesen waren, daß weder Posthaus noch Stadt gebrannt, weder der Rotrock von Prag, noch die längst vergessene Julie mich besucht hatten.
Ich schloß die liebenswürdige Fanny fester und seliger an mein Herz; sie und die Kinder auf meinem Schoß, empfand ich heute lebendiger als jemals das Glück des reinen Herzens und guten Gewissens. – Es blühte um mich eine junge Welt; mehr als einmal ward sie mir zweifelhaft wie neuer Traum. Ich sah oft nach den freundlichen Dächern unsers Städtchens, mich zu überzeugen, daß ich kein brennendes Licht ins Stroh geworfen hatte.
Nie hatte ich im Leben einen zusammenhängenderen, klareren, schrecklicheren Traum geträumt. Nur zuletzt, wo er sich mit dem Erwachen vermählte, war er phantastischer geworden.
Wir zogen im Triumph durch den schönen Garten ins heitere Wohnhaus, wo mich alles Gesinde freundlich bewillkommnete. – Nachdem ich mich umgekleidet hatte, ging ich, beladen mit allerlei Spielkram für meine Söhne, in Fannys Zimmer zum Frühstück. Da saß die junge Mutter neben den jauchzenden[44] Kleinen. Jeder neue Anblick der Lieben strömte neues Entzücken durch mich hin. Ich sank schweigend an Fannys Brust; ich gab ihr mit Freudentränen im Auge das für sie in Prag gekaufte Angebinde und sprach: »Fanny, heut ist dein Geburtstag.«
»Noch nie habe ich ihn schöner gefeiert«, sagte sie, »als diesmal! Ich habe dich ja wieder. Ich habe auch deine Freunde und meine Gespielinnen einladen lassen, den Tag deiner Wiederkunft recht fröhlich zu begehen. Gelt, das nimmst du nicht übel? – Nun aber setze dich zu uns. Nun erzähle mir haarklein, wie ist es dir ergangen?«
Aber der drückende Traum stand noch zu nahe vor mir. Ich dachte mich seiner am besten zu entledigen, wenn ich ihn erzählen würde. Fanny horchte und ward sehr finster. »Wahrhaftig«, sagte sie am Ende lächelnd, »man sollte an Hexerei der Walpurgisnacht glauben. Du hast eine ganze Predigt geträumt. Werde frommer, du Frommer, denn gewiß hat dein guter Engel mit dir gesprochen. Schreibe deinen Traum auf. Solch ein Traum ist merkwürdiger als mancher Lebenslauf. Ich halte, du weißt es, viel auf Träume. Sie bedeuten wohl nichts voraus, aber sie bedeuten doch manchmal uns selbst. Es sind zuweilen die klarsten Seelenspiegelungen!«
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Die Walpurgisnacht
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