[19] Heimkunft

Nun wollte ich aufbrechen, abreisen. Ich zahlte dem Wirt. Mein Knecht, mit dem Koffer auf dem Rücken, ging vor mir her, ich die Treppe hinab. Da kam mein Bruder die Treppe herauf, derselbe, deswillen ich in Prag war.

Natürlich, aus der Abreise ward nun nichts. Wir gingen in mein Zimmer zurück. Da hörte ich denn mit Vergnügen, die schwankenden Vermögensverhältnisse meines Bruders hätten sich zu ihrem Vorteil geändert. Ein sehr bedeutender Verlust war ihm durch ungeheure Spekulation in Baumwolle und Kaffee sechsfach vergütet. Er war nach Prag geeilt, um seine Angelegenheit selbst zu berichtigen. »Jetzt habe ich mein Schäfchen ins Trockne gebracht«, sagte er, »aber Angst habe ich ausgestanden. Nun gebe ich dem Handel gute Nacht. Ich lege mein Geld lieber an mäßigen Zins, so laufe ich nicht Gefahr, heute ein Millionär, morgen ein flüchtiger Bettler und Betrüger zu sein. Darum komme ich, dir für deine brüderliche Treue zu danken, und mich mit meinen Leuten für immer auseinanderzusetzen.«

Ich mußte ihn zu verschiedenen Häusern begleiten. Aber er spürte meine Ungeduld und mein Heimweh; drum nach einigen Tagen riet er mir, ohne ihn zurückzureisen. Das tat ich denn auch, weil sich sein Aufenthalt in Prag wohl auf mehrere Wochen verlängerte. Ich nahm Extrapost und flog meiner geliebten Heimat entgegen.[19]

Unterwegs fiel mir noch immer der seltsame Mannteuffel ein. Ich konnte die Figur mit dem roten Rock, dem Klumpfuß und der unvorteilhaften Gesichtsbildung nicht vergessen. Ich besann mich noch, daß ihm ein Büschel seiner schwarzen Haare über der Stirn emporstand. Vielleicht hat er ein kleines Horn darunter, und dann war der Beelzebub fertig vom Wirbel bis zur Sohle.

Zwar die Brieftasche hatte er wiedergebracht; ehrlicher konnte kein Mensch in der Welt sein. Er hatte Fannys Briefe und meines Bruders mir gegebene Instruktion gelesen, so konnte er freilich von meinen Geheimnissen unterrichtet sein. Allein dann das Gesicht dazu – nein, so unleserlich schreibt die Natur sonst nicht! – Genug, hätte ich jemals an das Dasein eines Mephistopheles geglaubt, wurde ich diesmal keinen Augenblick daran gezweifelt haben.

Ich hing diesem Gedanken nach, und leugne sogar nicht, daß ich mich recht willig dem Spiel meiner Einbildungen überließ. Er vertrieb mir die Langeweile. Ich nahm an, mein ehrlicher Mannteuffel könnte wohl der echte Teufel sein; seine Ehrlichkeit eine Hinterlist, um dem Himmel meine arme Seele wegzuschnappen. Und wenn er es nun wäre, was könnte er mir wohl bieten? – Gold und Gut? – Ich war nie geldsüchtig. Einen Thron? Ja, den hätte ich wohl für acht Tage besessen, um der Welt Frieden zu geben; aber dann wäre ich wieder in meine bescheidene Wohnung zurück gegangen, um, ein zweiter Cincinnatus, eigenhändig Rüben zu bauen. – Hübsche Weiber? Einen Harem voll der schönsten Helenen, Armiden und Amanden? Nein, wenn ich an Fanny dachte, kamen mir die reizendsten Zirkassierinnen wie alte Weiber vor. Ich hätte keinen Strohhalm darum gegeben, einmal Doktor Faust zu sein. Und wozu das? Ich war glücklich! Glücklich? Nein, das doch auch nicht ganz, eben weil ich so gar zu glücklich war. Ich fürchtete mich ein wenig vor Freund Hein, dem Knochenmanne, der mit der verwünschten Hippe mir meine Fanny, meine beiden Söhne, mich[20] selbst wegmähen konnte. Und dann wäre es doch die große Frage, ob und wie wir uns im Paradiese wieder zusammenfinden würden? – Ich hätte wohl einen Blick ins künftige Leben geworfen, um mich zu beruhigen. Aber gesetzt, mein Teufel hätte mir den frommen Wunsch erfüllen, und mich durch einen Spalt der Himmelspforte hinüberblinzeln lassen, was würde mir ein Untertan Adramelechs anders haben zeigen können als seine Hölle?

Doch genug von den Possen.

Ich war von Prag bis zum Städtchen zwei Tage und eine Nacht unterwegs. Aber den zweiten Tag ward's spät. Umsonst schalt und spornte ich die Postknechte mit Wort und Geld – es ward immer später, immer dunkler, und ich immer sehnsuchtsvoller. Ach, seit beinahe einem Vierteljahr hatte ich ja Fanny nicht gesehen! Meine Kinder nicht, die um die junge Mutter wie zwei Rosenknöspchen um eine kaum aufgeschlossene Rose blühten! – Ich zitterte vor Entzücken, wenn ich daran dachte, die Liebenswürdigste ihres Geschlechts, mein Weib, sei noch heute in meinen Armen.

Es ist wahr, ich hatte, ehe ich Fanny kennenlernte, auch schon geliebt gehabt. Es gab einst eine Julie für mich, die mir durch den Stolz ihrer Eltern entrissen und einem reichen polnischen Edelmann zum Weibe gegeben war. Unsere Liebe war die erste für uns beide – an gegenseitige Vergötterung und Raserei grenzend. Wir schworen uns noch in der Abschiedsstunde ewige Liebe über Leben und Grab hinaus, und Küsse und Tränen hatten die Eide besiegelt. Aber man weiß nun, wie es damit geht. Sie ward Frau Starostin, und ich sah Fanny. Meine Liebe zu Fanny war eine heiligere, reifere, zärtlichere. Julie war einst die Gottheit meiner Phantasie, allein Fanny die Angebetete meines Herzens.

Es brummte die Glocke des heimatlichen Städtleins ein Uhr, da wir in die schlafende Straße einfuhren. Ich stieg beim Posthause ab, ließ den Knecht nebst dem Koffer zurück, weil ich[21] selbst, falls in meinem Hause alles schlafen würde, wieder zurückkehren wollte, und schlich hinaus zur Vorstadt, an deren Ende mein freundliches Haus im Schatten hoher Nußbäume mir schon von weitem mit seinen Fenstern im Mondschein entgegenschimmerte.

Quelle:
Heinrich Zschokke: Hans Dampf in allen Gassen. Frankfurt a.M. 11980, S. 19-22.
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