[22] Verhaßter Besuch

Und alles schlief! – O Fanny, Fanny, hättest du gewacht, wie viel Jammer und Schrecken wäre mir erspart worden! – Sie schliefen, mein Weib, meine Kinder, mein Gesinde, nirgends Licht! Ich wanderte zehnmal ums Haus herum – alles verschlossen. Aus dem Schlaf jagen wollte ich doch keinen. Besser das Entzücken des Wiedersehens für die vom Schlummer erquickte Seele in der Morgenstunde als in der fieberischen Mitternacht.

Zum Glück fand ich mein neugebautes schönes Gartenhaus offen. Ich trat hinein. Da stand auf einem Tischchen der Strickkorb meiner Fanny, da sah ich im Mondschimmer am Boden und auf den Sesseln die Steckenpferde, Trommeln, Peitschen meiner Kinder. Vermutlich hatten sie den Nachmittag hier zugebracht. O wie war mir unter diesen Kleinigkeiten so wohl, als wäre ich bei meinen Lieben selbst. Ich streckte mich aufs Sofa und beschloß, hier zu übernachten. Die Nacht war lau und mild, und der Duft blühender Bäume und Gartenbeete drang in mein Gemach.

Wer seit vierzig Stunden nicht geschlafen hat, findet jedes Lager weich. Ich entschlief in meiner Übermüdung bald. Doch kaum hatte ich die Augen geschlossen, weckte mich das Knarren der Gartenhaustür wieder. Ich richtete mich auf; ich sah einen Menschen hereintreten; ich glaubte, es sei ein Dieb. Aber man denke sich mein Erstaunen, es war der Freund Rotrock.

»Woher kommen Sie?« fragte ich.[22]

»Von Prag. In einer halben Stunde reise ich wieder ab. Ich wollte Sie doch im Vorbeigehen und Ihre Fanny sehen, um mein Wort zu halten. Ich hörte von Ihrem Knecht, Sie seien erst gekommen, und glaubte in Ihrem Hause alles wach zu finden. Sie werden doch hier nicht übernachten wollen in der feuchten Kühle und sich eine Krankheit erschlafen?«

Ich ging mit ihm hinaus in den Garten und bebte an allen Gliedern, so hatte mich die sonderbare Erscheinung erschreckt. Ich verspottete zwar im stillen meine abergläubische Furcht, aber doch konnte ich mich ihrer nicht erwehren. Der Mensch ist nun einmal so. Die harten Züge des Prager Freundes waren im täuschenden Mondlicht noch viel schrecklicher und seine Augen viel blitzender.

»Sie haben mich wirklich erschreckt wie ein Gespenst!« sagte ich. »Ich zittere am ganzen Leibe. Wie kamen Sie dazu, mich im Gartenhause zu suchen? Sie sind wie ein Allwissender.«

Er grinste schadenfroh und sagte: »Kennen Sie mich nun, und was ich von Ihnen will?«

»Wahrhaftig, ich kenne Sie jetzt nicht besser als in Prag. Aber zum Spaß will ich Ihnen doch erzählen, wie Sie mir da vorkamen. Sie nehmen's nicht übel. Ich dachte, wenn Sie kein Hexenmeister wären, möchten Sie wohl der Teufel selbst sein.«

Er grinste wieder und entgegnete: »Wenn ich, zum Spaß gesagt, nun das letzte wäre, würden Sie mit mir gemeine Sache machen?«

»Sie müßten mir viel bieten, ehe ich einschlüge. Denn wahrhaftig, mein Herr Teufel, erlauben Sie, daß ich Sie zum Scherz so nenne, mein Glück ist vollkommen.«

»Oho, bieten würde ich Ihnen nichts, geben nichts. Das war wohl in alten Zeiten Sitte, da die Leute noch an einen Teufel glaubten und sich vor ihm desto mehr hüteten – da mußte man kapitulieren. Aber heutiges Tages, da keiner mehr den Teufel glaubt und mit der Vernunft alles ausrichten will, sind die Menschenkinder allzu wohlfeil.«[23]

»Einmal hoffe ich, bei mir steht's anders, ob ich gleich den Beelzebub für ein Märchen halte. Ein Quentchen Vernunft gibt mehr Tugend als ein Zentner Teufelsglauben.«

»Das ist's eben! – Eure stolze Sicherheit, ihr Sterblichen – erlauben Sie, daß ich in der Rolle spreche, die Sie mir gaben – eure stolze Sicherheit liefert der Hölle mehr Rekruten als eine Legion Werber in Satans Uniform. Seit ihr selbst angefangen habt, die Ewigkeit für ein Problem, die Hölle für eine orientalische Fabel zu halten, seit man Ehrlichkeit und Dummheit für Tugenden gleichen Kalibers erklärt, die Wollust eine liebenswürdige Schwäche, Selbstsucht Seelengröße, Gemeinnützigkeit eine Narrheit und abgefeimte Tücke Lebensklugheit nennet, gibt man sich in der Hölle keine Mühe mehr, euch zu fangen. Ihr kommt von selbst. Die Vernunft habt ihr auf den Lippen, die Macht von hundert Leidenschaften im Herzen. Der Heiligste unter euch Entnervten ist, wer die wenigste Gelegenheit zu sündigen hat.«

»Das heißt recht teuflisch gesprochen!« rief ich.

»Allerdings!« antwortete der rote Herr und grinste wieder.

»Aber ich rede die Wahrheit, weil ihr Leute nicht mehr an sie glaubt. So lange den Menschen noch Wahrheiten heilig waren, mußte Satan ein Vater der Lügen sein. Jetzt ist's umgekehrt. Wir armen Teufel sind immer die Antipoden der Menschheit.«

»So sind Sie in diesem Stück wenigstens nicht mein Gegner; denn ich denke wie Sie, mein philosophischer Herr Teufel.«

»Gut, so gehören Sie mir schon an. Wer mir nur ein Haar reicht, dessen Kopf habe ich. Und – hier ist's kühl – mein Wagen ist vielleicht schon angespannt, ich muß abreisen. Also leben Sie wohl.«

Er ging. Ich begleitete ihn wieder zum Posthause zurück, wo wirklich sein Reisewagen eben Vorspann erhielt.

»Ich dächte, Sie kämen mit mir noch hinauf ins Haus und[24] tränken mit mir zum Abschied ein Glas Punsch, den ich bestellt hatte, ehe ich zu Ihnen ging.«

Ich nahm die Einladung an. Es tat mir wohl, in ein warmes Zimmer zu kommen.

Quelle:
Heinrich Zschokke: Hans Dampf in allen Gassen. Frankfurt a.M. 11980, S. 22-25.
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