[54] Bakterien. Die bakteriologischen Forschungen der jüngsten Zeit haben Tatsachen zutage gefördert, welche dafür sprechen, daß die Anschauungen v. Pettenkofers (vgl. Bd. 1, S. 500) wenigstens teilweise richtig sind. So viel darf jedenfalls als feststehend betrachtet werden, daß die pathogenen (krankheitserregenden) Bakterien in ihren Wirkungen bisher überschätzt und letztere wenigstens in bestimmten Fällen unrichtig gedeutet worden sind.
Von besonderer Bedeutung sind die in neuester Zeit in Kalkutta, wo die asiatische Cholera endemisch ist, gemachten Beobachtungen. Zwei wissenschaftliche Meinungen standen sich seither über das Wesen der asiatischen Cholera gegenüber. Die eine, von Robert Koch und seinen Schülern, vertritt den Standpunkt, daß die von den Choleravibrionen abgeschiedenen Giftstoffe die Krankheitserscheinungen hervorrufen und durch ein Antitoxin mittels Impfung zu bekämpfen sind. Allein das verwendete Serum ist nur als Vorbeugungsmittel wirksam und dient nur zu Schutzimpfungen. Die andre, namentlich von Emmerich verfochtene Anschauung geht dahin, daß zwar die sogenannten Kommabazillen zum Entstehen der Krankheit erforderlich sind, allein nicht ihre giftigen Stoffwechselprodukte rufen die Erscheinungen der Cholera hervor, sondern vielmehr ihr Vermögen, die salpetersauren Salze und die Salpetersäure gewisser Nahrungsmittel, wie Gurken, Rüben u.s.w., sobald sie in den Darm gelangen, in die äußerst giftige salpetrige Säure überzuführen. Zum Schutz dagegen überschwemmt der Organismus[54] den Darm mit großen Mengen von Flüssigkeit. Durch die abnorm großen Flüssigkeitsausscheidungen können anderseits das Blut und die Säfte eine so hochgradige Konzentration erhalten, daß dadurch der Tod herbeigeführt wird. Die salpetrige Säure kann durch Behandlung des Patienten mit übermangansaurem Kali unschädlich gemacht werden, da letzteres die salpetrige Säure in die unschädliche Salpetersäure umwandelt. Bei Anwendung dieses Verfahrens sank in Kalkutta die Sterblichkeit von 59% auf 34%. Als man durch Eingüsse von Kochsalzlösungen in das Gefäßsystem in einer Konzentration (0,7%), wie sie dem normalen Gehalte des Blutes entspricht, der gefährlichen Eindickung der Säfte durch die großen Wasserverluste entgegenwirkte, trat ein weiteres Absinken der Sterblichkeit bis auf 23,3% ein. Um der salpetrigen Säure den Stickstoff zu entziehen, hat Emmerich weiter die Anwendung der Amidosulfosäure, einer organischen Säure, empfohlen. Letztere hat sich bei den in Kalkutta angestellten Versuchen vorzüglich im Sinne von Emmerich bewährt. Als wichtigstes Schutzmittel gegen die Erkrankung in verseuchten Gegenden würde somit die Meidung von Nahrungsmitteln zu betrachten sein, welche reich an salpetersauren Salzen sind, wie z.B. Rüben, Gurken u.s.w., was durchaus mit der Volksmeinung übereinstimmt. In neuester Zeit gelang es Lebedeff [1] nachzuweisen, daß wasserstoffoxydierende Bakterien imstande sind, den Kohlenstoff aus der Kohlensäure abzuspalten und in den Stoffwechsel einzuführen, d.h. jene Bakterien zerlegen genau wie blattgrünhaltige Pflanzen die Kohlensäure unter Abscheidung eines gleichen Volumens Sauerstoff: der Chemismus der Photosynthese und der Chemosynthese ist ein und derselbe.
Weitere Untersuchungen liegen über die photogenen Bakterien oder Leuchtbakterien vor. Sie erzeugen in ihren Zellen eine Substanz, welche bei der Oxydation aufleuchtet. Bei Bacterium phosphoreum kann das Aufleuchten so stark werden, daß es Molisch [2] gelang, dabei photographische Aufnahmen zu machen. Die genannte Leuchtbakterie ist die verbreitetste und sehr leicht zu erlangen, wenn man z.B. Seefische mit 3% Kochsalzlösung übergießt und einige Zeit stehen läßt.
Von besonderem physiologischen Interesse sind die neueren Untersuchungen über die Eisenbakterien Spirophyllum ferrugineum Ellis und Gallionella ferruginea Ehrenb. [3]. Sie sind morphologisch wesentlich voneinander verschieden und doch vielleicht nur verschiedene Wachstumsformen. Während andre Eisenbakterien, wie die in Wiesensümpfen und Bächen häufige, fadenförmige Chlamydothrix ochracea, auch ohne Eisen recht gut in organischen Nährlösungen gedeihen, läßt sich Spirophyllum ohne Zusatz von Eisen nicht kultivieren; andre Metalle vermögen Eisen nicht zu vertreten. Spirophyllum gedeiht vorzüglich in Wasser, welches außer geringen Mengen anorganischer Salze Eisenoxydulkarbonat gelöst enthält. Es gedeiht nur bei vollkommenem Ausschluß organischer Substanz, ist also rein autotroph. Diese Bakterien oxydieren das Eisenoxydulkarbonat zu Eisenoxydulhydrat. Letzteres durchdringt die Bakterienfäden ganz gleichmäßig. Das Eisen wird so lange aufgenommen, als die Bakterien lebensfähig sind; dabei werden die Scheiden stetig dicker (bei toten Individuen nicht). Die Eisenspeicherung ist kein mechanischer Vorgang, er steht mit dem Leben des Organismus in irgendeinem Zusammenhang, über welchen bisher noch nichts ermittelt werden konnte. Quantitative Bestimmungen haben einwandfrei ergeben, daß Spirophyllum die Fähigkeit besitzt, den zu seinem Wachstum erforderlichen Kohlenstoff aus der Kohlensäure zu gewinnen. Die Oxydationen verlaufen mit beträchtlichem Energiegewinn, letzterer ist die Energiequelle für die chemosynthetische Assimilation des Kohlenstoffs aus der Kohlensäure.
Literatur: [1] Ber. d. Deutsch. Bot. Ges., Bd. XXVII, S. 598, Berlin 1911. [2] Molisch, H., Leuchtende Pflanzen, 2. Aufl., Jena 1912. [3] Lieske, R., Beiträge zur Kenntnis der Physiologie am Spirophyllum ferrugineum Ellis, einem typischen Eisenbakterium, Jahrb. s. wissensch. Botanik, Bd. 49, S. 91135, Leipzig 1911.
Fünfstück.