Gletscher [2]

[256] Gletscher sind zähflüssige Ströme von Eis, die sich durch Druck aus Schneemassen bilden und die oberhalb der Schneegrenze (s.d.) angehäuften Schneemassen zu Tal befördern, um schließlich entweder – auf dem Land – durch unmittelbare Abschmelzung oder – auf dem Meere – durch Zerbrechen in Eisberge (Kalben) vernichtet zu werden. Die Eisberge werden von Meeresströmungen weithin verfrachtet und können der Schiffahrt durch Zusammenstöße gefährlich werden (Untergang der »Titanic« durch Zusammenstoß mit einem grönländischen Eisberg auf der Neufundlandbank).

Die Schneegrenze trennt das Nährgebiet der Gletscher vom Zehrgebiet. Die größte gemessene Gletschergeschwindigkeit erreichen die kalbenden Abflußgletscher des grönländischen Inlandeises. (Uperniviker Eisstrom ca. 30 m/Tag, Jakobshavner Eisstrom ca. 20 m/Tag; dagegen alpine Gletscher etwa ähnliche Beträge pro Jahr.)

Die Bewegung ist kein vollkommenes Fließen. Ueberschreiten die Bewegungsunterschiede benachbarter Teilchen einen gewissen Grenzwert, so tritt Zerreißung ein. (Unter Zug: Spalten; unter Druck: Blaubänder.) In den unteren Schichten führt der Gletscher Geröll, das unter ihm als Grundmoräne, seitlich als Seitenmoräne, vor ihm als Stirnmoräne abgelagert wird, oft auch in Strichen an seiner Oberfläche zutage tritt (Oberflächenmoränen). Nordeuropa (bis Leipzig) lag im Diluvium unter Inlandeis begraben, deren Grundmoräne den Hauptbestandteil des heutigen Bodens ausmacht.

Gletscherkatastrophen sind in den Alpen häufiger eingetreten durch plötzliches Entleeren von Randseen, die durch die Gletscher aufgestaut waren (Rosensee beim Vernagtgletscher, Oetztaler Alpen, 1600, 1678, 1680, und wiederholt zwischen 1845 und 1848; ähnlich am Zufallferner im Martelltal 1889). In Island kommt als besondere Art von Gletscherkatastrophen der »Jökellöb« (Gletscherlauf) vor, wenn ein von Eis bedeckter Vulkan tätig wird.

In steilen gletscherlosen Gebirgen geschieht die Herabschaffung des Winterschnees teilweise durch Lawinen. Die »Grundlawinen« gehen regelmäßig in jedem Frühjahr in ihren festen »Lahngängen« nieder, deren Betreten um diese Zeit sehr gefährlich ist. Je nach dem Niederschlagsreichtum der vergangenen Jahre wachsen und schwinden die Gletscher. Brückner wies an den Schwankungen der Gletscher Klimaschwankungen nach.


Literatur: Heim, Handb. d. Gletscherkunde, Stuttgart 1885. – Heß, Die Gletscher, Braunschweig 1904. – Machaček, Gletscherkunde, Samml. Göschen Nr. 154, Leipzig 1902.

Kurt Wegener.

Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 1 Stuttgart, Leipzig 1920., S. 256.
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