[134] Pikrinsäure (Trinitrophenol, -karbolsäure) C6H2(NO2)3OH, kristallisiert aus heißem Wasser oder Alkohol in gelben Blättchen oder Prismen, die sehr bitter schmecken, in heißem Wasser leicht, in kaltem ziemlich schwer löslich sind und bei vorsichtigem Erhitzen unzersetzt sublimieren.
Der Eintritt der Nitrogruppen in das Phenol erhöht den sauern Charakter dieser Substanz ungemein; das Trinitrophenol verhält sich daher wie eine Säure und zersetzt kohlensaure Alkalien. Mit vielen Benzolkohlenwasserstoffen, wie Benzol, Naphthalin, Anthracen, bildet die Pikrinsäure schön kristallisierende Additionsprodukte, durch welche die Kohlenwasserstoffe charakterisiert und voneinander getrennt werden können. Die Pikrinsäure ist ein ausgesprochener Farbstoff. Seide und Wolle werden aus sauerm Bade sehr schön grünstichig gelb gefärbt. Anderseits ist die Pikrinsäure einer der kräftigsten Explosivstoffe. Zündet man sie für sich an, so brennt sie, ohne zu explodieren, unter Rußbildung ab. Entzündet man sie in seinen Kristallen in einem geschlossenen Gefäß (z.B. in einer kalorimetrischen Bombe), so ist ihre Wirkung nicht stärker als die des Schießpulvers. Dem Dynamit aber überlegen ist sie, wenn man durch kräftige Zündhütchen oder durch Auflegen einer Schießwolladung die stark gepreßte oder geschmolzene Pikrinsäure zur Detonation bringt. Turpine erkannte zuerst (1886) die Explosionsfähigkeit der Pikrinsäure. Man glaubte früher aber noch, daß man wegen Mangel an Sauerstoff einen Sauerstoffträger beifügen müsse, was zur Herstellung der Pikrinpulver und des Melinits, einer in Patronenform gebrachten Mischung von Pikrinsäure mit in Aether gelöster Kollodiumwolle, führte. Erst die Beobachtung Turpines führte dazu, sie für sich zu verwenden und Granaten damit zu füllen. In England heißt man die geschmolzene Pikrinsäure nach dem Orte Lydd Lyddit. Die Salze der Pikrinsäure sind ebenfalls Explosivstoffe. Die Säure ist ein sich ungemein leicht bildender Körper und entsteht daher bei der Behandlung vieler organischen Substanzen mit Salpetersäure, so aus Indigo, Anilin, Harzen, Wolle, Seide, Leder u.s.w. Technisch wird sie durch Nitrieren von Phenol dargestellt.
Literatur: Beilstein, Handbuch der organ. Chemie, Hamburg und Leipzig, 3. Aufl., 1896, Bd. 2, S. 686; Bujard, Leitfaden der Pyrotechnik, Stuttgart 1899.
Bujard.