[874] Pikrīnsäure (Trinitrophenol, Pikrinsalpetersäure, Weltersches Bitter, Indigbitter, Kohlenstickstoffsäure, Trinitrokarbolsäure) C6H3N3O7 oder C6H2(NO2)3.OH entsteht beim Kochen sehr vieler tierischer und pflanzlicher Stoffe, wie Salicin, Indigo, Seide, Wolle, Leder, Aloe, Benzoe, Xanthorrhöaharz etc., mit Salpetersäure. Zur Darstellung behandelt man Phenol, besser ein Gemisch von Phenol und konzentrierter Schwefelsäure, bei 100° mit Salpetersäure. P. bildet hellgelbe, geruchlose, glänzende Kristalle, schmeckt intensiv bitter, ist giftig, löst sich ziemlich schwer in kaltem, leicht in heißem Wasser, in Alkohol, Äther und Benzol, schmilzt bei 122,5°, sublimiert bei vorsichtigem Erhitzen, verbrennt bei schnellem Erhitzen über 300° an der Luft, explodiert aber im geschlossenen Gefäß oder wenn die Dämpfe sonstwie am Entweichen gehindert sind, sie explodiert nicht durch Schlag oder Stoß, wohl aber (auch feucht mit 15 Proz. Wasser) durch einen Zünder aus Knallquecksilber. P. färbt Wolle und Seide, nicht aber vegetabilische Faser intensiv gelb, reagiert sauer und bildet mit Basen im allgemeinen lösliche, kristallisierbare, rote oder gelbe Salze (Pikrate), die zum Teil beim Erhitzen und durch Schlag sehr heftig explodieren. Mit Cyankalium bildet P. Isopurpursäure (s. d.). Man benutzte P. zum Gelbfärben und in Verbindung mit Anilingrün, Indigo oder Berlinerblau zum Grünfärben von Wolle und Seide. Die gelbe Färbung ist weder wasser-, noch licht-, noch reibecht und erzeugt auf der schwitzenden Haut oft gefährliche Abszesse. Man verwendet sie deshalb nur noch, um gewisse Farbstoffe gelbstichiger zu machen. Am wichtigsten ist ihre Benutzung und die der Pikrate als Sprengstoffe; man füllt Sprenggeschosse mit reiner P. oder mit Mischungen aus P. und Schießbaumwolle, Trinitrotoluol etc. (Melinit, Lyddit). Man benutzt sie auch zur Unterscheidung animalischer und vegetabilischer Fasern. Bisweilen soll sie als Hopfensurrogat angewandt worden sein. P. wurde 1771 von Woulfe entdeckt.