Schiffsgeschütze [2]

[668] Schiffsgeschütze. Die Entwicklung der Schiffsgeschütze in dem letzten Jahrzehnt kennzeichnet sich in dem Bestreben, die Wirkung des Einzeltreffers zu erhöhen, sowohl hinsichtlich der Panzerdurchschlagswirkung als auch mit Bezug auf eine günstige Sprengwirkung nach dem Durchschlagen des Panzers.

Da die Durchschlagskraft durch die Endgeschwindigkeit und das Geschoßgewicht festgelegt wird, die Energievermehrung bei gleichbleibendem Kaliber nur durch Erhöhung des Geschoßgewichtes, d.h. durch Verlängerung des Geschosses, und durch Steigerung der Anfangsgeschwindigkeit, d.h. durch eine Rohrverlängerung, erfolgen kann, so ließ sich die wünschenswerte Steigerung der Durchschlagsleistung und Sprengwirkung nur auf dem Wege der Kalibererhöhung erreichen. Das jahrzehntelang behauptete größte Kaliber von 30,5 cm Durchmesser mußte daher stärkeren Kalibern von 34 cm (Frankreich und England), von 35,6 cm (Vereinigte Staaten) und schließlich 38 cm (England, Deutschland und Vereinigte Staaten) weichen. Diese Kalibersteigerung brachte nachstehende Vor- und Nachteile mit.

Vorteile: Steigerung der Wirkung des Einzeltreffers in bezug auf Durchschlagsleistung und Sprengwirkung bei geringerer Anfangsgeschwindigkeit, wodurch geringere Rohrabnutzung und größere Lebensdauer sichergestellt wird. Größere Rasanz der Flugbahn und geringere Beeinflussung des schweren Kalibers durch Tageseinflüsse, wie Wind usw., auf große Entfernungen.

Nachteile. Größere Inanspruchnahme von Gewicht und Raum, Verringerung der Feuergeschwindigkeit und Verzicht auf Gefechtsreserveeinrichtungen mit Menschenkraft. Durch die Erhöhung des Geschoßgewichts können die zulässigen Sprengladungsgewichte von rund 3,5% des Geschoßgewichts von 11,5 kg bei den 30,5-cm-Geschossen auf 31 kg bei den 38-cm-Geschossen erhöht werden, wodurch die Einführung der Panzergranate als Einheitsgeschoß möglich wird.

Während in den meisten Marinen für die Schiffsgeschütze die Mantelringkonstruktion bevorzugt wird, hielten England, Japan und Italien noch immer an der Drahtkonstruktion fest, deren Schwäche die mangelnde Längsfestigkeit, sowie die ungleichmäßige und wellenförmige Erweiterung und Verengung der Seele beim[668] Schuß bildet, wodurch die Treffsicherheit und die Lebensdauer leidet. Nach dem italienischen Budgetanschlag wird die Lebensdauer der schweren Schiffsgeschütze wie folgt angegeben:


Schiffsgeschütze [2]

Die Länge der Geschützrohre ist von 30 Kaliberlängen auf 45 und 50 Kaliberlängen gewachsen; als Verschluß findet in Deutschland und Oesterreich der Rundkeilverschluß, in den übrigen Marinen der Schraubenverschluß Anwendung (vgl. Verschlüsse der Geschütze).

Wenngleich mit Einführung der Dreadnought-Linienschiffe die bisherige Mittelartillerie von 15-cm-Geschützen von den meisten Marinen aufgegeben wurde, so ist dieser einschneidende Schritt jüngst wieder zurückgemacht worden, nach dem Vorgang von Deutschland und Japan. Die Gliederung der Schiffsartillerie 1. in schwere Artillerie von 30,5–38 cm Kaliber, 2. in mittlere Artillerie von 14–17 cm Kaliber und 3. in leichte Artillerie von 5–12 cm Kaliber ist daher erhalten geblieben. Ueber die Aufstellung der Schiffsgeschütze an Bord s. Geschützarmierung, S. 314, über die Lagerung und Richtbarkeit der Geschütze s. Lafettierung, S. 470; über den Schnellladeverschluß s. Verschlüsse der Geschütze. Die Tabelle S. 668 gibt die wichtigsten Daten der in der Front befindlichen Geschütze der schweren Artillerie wieder. Hiernach sind die Kruppschen Geschütze mit Bezug auf die Mündungsarbeit des Geschosses sowie bezüglich der Lebensdauer allen andern Fabrikaten überlegen.

T. Schwarz.

Schiffsgeschütze [2]
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 9 Stuttgart, Leipzig 1914., S. 668-669.
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