Der Bettler

[101] Ein Bettelmännlein kam einmal auf eine Alpe und bettelte um einen Ziegenkäse. Er bekam auch ein ordentliches Stück, denn die Almer waren mitleidige Leute und gaben gern von dem, was sie hatten. Das Stück Käse legte der Bettler in seinen zerlumpten Hut, und während er seines Weges fortging, schaute er nicht immer auf den Boden, sondern jeden Augenblick betrachtete er wieder seinen Ziegenkäse. Den Fliegen aber, die um ihn herumsummten, stieg der Geruch davon auch in die Nase, und flugs saß es kohlschwarz auf dem Käse. Das Bettelmandl wurde darüber zornig, nahm den Hut in die linke Hand und holte mit der rechten zu einem tüchtigen Schlag aus. Patsch! Da klebten sieben Fliegen maustot auf dem Käse. »Eins – zwei – drei – vier – fünf – sechs – sieben – richtig, ihrer sieben sind's«, sagte das Mandl und wollte fast eher glauben, daß es falsch gezählt als daß es eine solche Heldentat ausgeübt habe. Es zählte noch einmal langsam und bedächtig, allein es kam wieder bis zum Siebener und jauchzte laut auf: »Sieben auf einen Streich! Das müssen sie im Dorf auch wissen!«

Gesagt, getan. Er nahm einen Fetzen Papier und schrieb darauf: »Sieben auf einen Streich.« Den Zettel heftete er sich auf den Hut, und so zog er in das Dorf ein.

Alle Leute, die ihm begegneten, blieben stehen und schüttelten verwundert die Köpfe. »Das muß ein Mordskerl sein«, sagte einer zum andern, »der schlägt sieben auf einmal tot.«

Im Nu war die Nachricht vom Bettelmandl durch das ganze Dorf verbreitet. Die Leute dachten sich, wenn der sieben Lottern auf einmal das Lichtl ausbläst, so wird er einen Brummbären[101] wohl auch kriegen. Man bot nun dem Bettler einen großen Haufen Geld, wenn er den Bären im Wald draußen erlegen würde. Er traute sich so etwas schon zu und ging eilends in den Wald hinaus.

»Kommt mir das Vieh nur«, brummte er vor sich hin, »ich will mit ihm schon fertig werden. Wer sieben auf einen Streich totschlägt, der fürchtet sich nicht vor einem Bärlein.« Während er so vor sich hin murmelte, kam der Petz langsam aus dem Dickicht herausgetrippelt. Den Bären sehen und davonlaufen, das war eins. Ohne umzuschauen lief das Bettelmandl bis zu einer Hütte, die ihm gerade am Weg lag. Da lief es hinein und der Bär hintennach – aber der Bettler hatte Zeit, schnell wieder umzukehren und bei der Tür herauszuschlüpfen. Sobald er im Freien war, schlug er die Tür zu, und der Petz kam nimmer aus.

Dem Bettler war jetzt freilich die Angst wieder vergangen und er lief Hals über Kopf in das Dorf. »Jetzt geht hinaus schauen, wenn ihr euch wundert. Dort draußen in der Hütte ist er eingesperrt«, so rief er den Leuten zu, die ihm begegneten.

Alle wunderten sich, daß er das wilde Vieh so mir nichts, dir nichts in die Hütte hineingebracht hatte. Die jungen Burschen gingen hinaus und wollten dem Petz den Garaus machen, konnten aber den großen Kerl fast gar nicht meistern. Der Bettler, der bei der Arbeit zuschaute, lachte sie tüchtig aus und sagte: »Schämt euch doch, wenn ihr mit dem eingesperrten Bären nicht fertig werdet; schaut, ich habe ihn gerade bei den Ohren genommen und in die Hütte gezogen. Das ist was anderes!«

Die Burschen mußten sich auslachen lassen, allein endlich kriegten sie den Petz doch, und nachdem die Geschichte so abgelaufen war, mußte auch dem Bettler das versprochene Geld ausbezahlt werden.

Das Ding war gut, aber es dauerte nicht lange, da kamen die Leute auf den Einfall, der starke Kerl, der den Bären bei den Ohren aus dem Wald geführt habe, könne sich wohl auch über den wilden Mann herwagen. Sie versprachen ihm wieder einen Haufen Geld, und der Bettler geht in den Wald hinaus. Er wird des wilden Mannes bald ansichtig und wettet etliche Male mit ihm, wer von beiden stärker sei. Allemal aber gewinnt der wilde Mann, und der Bettler zieht den kürzeren.[102]

Endlich fangen sie an, miteinander Prügel zu klieben. Es dauert nicht lange, da klemmt sich der wilde Mann fest ein. »Geh nur gleich zu meinem Weib, der Fangga, und laß dir den Eisenkeil geben«, sagt er zum Bettler.

Der Bettler geht zur Fangga und begehrt den Geldbeutel. Die Fangga weiß nicht recht, wie sie daran ist, und schreit endlich ihrem Manne zu: »Oder soll ihnen göbe?«

»Nun geschwind«, schreit der wilde Mann.

Der Bettler kriegt den Geldbeutel und läuft davon. Er kommt zu einer Schafherde, faßt heimlich von dem Hirten ein Lamm und steckt es sich in den Hemdschlitz. Dann schneidet er dem Lamm während des Laufens den Bauch auf und wirft die Gedärme heraus. Jetzt läuft er noch schleuniger, und endlich versteckt er sich im Gebüsch.

Es dauert nicht lange, da kommt der wilde Mann atemlos dahergerannt, und wie er die Schafhirten sieht, fragt er sie, ob da niemand vorbeigelaufen sei.

»Freilich ist einer vorbeigelaufen, der hat sich selber den Bauch aufgeschnitten, und dann ist's noch viel schleuniger gegangen als zuvor.«

Wie der wilde Mann das hört, nimmt er ein Messer, schneidet sich den Bauch auf und wirft die Gedärme heraus. »So, jetzt wird's besser gehn«, meint er, und da liegt er schon der Länge nach auf dem Boden und gibt den Geist auf.

Der Bettler hüpft aus seinem Versteck hervor, betrachtet lustig den toten Kerl und läuft ins Dorf zurück. »Geht hinaus, zu schauen, wenn ihr euch wundert, da draußen liegt der wilde Mann und tut keinen Zappler mehr. Aber jetzt her mit dem versprochenen Geld!«

Die Bauern gehen hinaus und sehen wohl, daß dem wilden Mann kein Zahn mehr wackelt. Sie zahlen nun dem Bettler gern das versprochene Geld, und der Bettler ist ein reicher Mann.


(mündlich aus dem Oberinntal)

Quelle:
Zingerle, Ignaz und Joseph: Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland. (Regensburg 1854) Nachdruck München: Borowsky, 1980, S. 101-103.
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