Kugerl

[226] Beim Sandhügel droben hauste vor langer Zeit ein Wichtlein.

Es war kaum drei Spannen groß und lief immer nur im Hemd umher, so daß sich die Leute oft darüber ärgerten. Sonst legte aber das Zwerglein den Menschen nichts in den Weg, sondern tat ihnen manchen Dienst. Es hackte ihnen Streu, hütete die Kühe und half bei Arbeiten zu Hause und auf dem Feld. Auch gab er den Kranken heilsame Kräuter und rettete manches Kind vor dem Tod.

Einmal wurde eine schöne Bauernmagd von einem Stier gestoßen, und sie erhob darob ein großes Geschrei und rief um Hilfe. Da kam alsbald das freundliche Wichtlein herbei, tröstete sie und versprach ihr Hilfe und Rettung, wenn sie seine Braut werden und mit ihm in das Wichtleinreich kommen wolle. Da blieb ihr keine Wahl, sie sagte ja, und auf diese Zusage wurde sie vom Wichtlein gerettet. Sie hätte nun mit dem Zwerglein in den[226] Berg kommen sollen, allein dazu hatte sie gar keine Lust. Sie bat deshalb das Wichtlein, es möchte sie doch loslassen, und versprach ihm dafür ein schönes, rotes Röcklein. Da sprach das Zwerglein: »Rotes Röcklein entbehr' ich leicht. Wenn du aber meinen Namen binnen dreier Tage errätst, sollst du deines Versprechens frei und ledig sein.«

Das Mädchen war mit diesem Bescheid zufrieden und ging nach Hause.

Es dachte nun die ganze Nacht über den Namen des Zwergleins nach, konnte ihn aber nicht finden. Am folgenden Tag ging die Magd hinauf zum Sandhügel, wo sich das Wichtlein aufhielt. Da sagte sie allerlei Namen her, allein keiner war der richtige, und das Zwerglein sagte: »Geh nun nach Hause und denk besser nach.«

Die Magd kehrte heim und dachte Tag und Nacht daran, wie etwa das Männlein heiße. Am folgenden Tag ging sie wieder hinauf zum Sandhügel, wo sie das Zwerglein fand. Dann sagte sie viele, viele Namen, doch keiner war der wahre.

Das Zwerglein sprach: »Geh nach Hause und denk besser nach, sonst bist du morgen mein Weib.«

Da ließ die Magd ihr Köpfchen hängen und kehrte traurig und betrübt heim. Sie hatte die Hoffnung, den Namen des Zwergleins je zu erraten, aufgegeben.

Doch wo die Not am höchsten, ist die Hilfe am nächsten. Ein Bauernbursche arbeitete auf dem Feld nahe bei dem Sandhügel und legte sich, als die Mittagstunde da war, hinters Gesträuch, um sich auszuruhen. Da kam das Wichtlein, das niemanden in der Nähe wähnte, aus seinem Erdloch heraus, patschte in die Hände und tanzte im Hemdchen herum. Dabei sang es gar lustig:


»Gott sei Lob und Dank,

Daß meine Braut nicht weiß,

Daß ich Kugerl heiß.«


Dann hüpfte es auf, juchzte und sang von neuem:


»Gott sei Lob und Dank,

Daß meine Braut nicht weiß,

Daß ich Kugerl heiß.«
[227]

Dem Bauernburschen gefiel dieses Treiben des Zwergleins, und als er abends in das Haus der Magd zum Heimgart kam, erzählte er lachend, was er heute auf der Wiese beim Sandhügel gesehen und gehört hatte. Da war die Magd über die Maßen froh und hatte keine Angst und Sorge mehr. Am folgenden Tag ging sie frühmorgens zum Sandhügel hinauf und nahm auch ein rotes Röcklein für das Zwerglein mit, denn sie wollte ihm für ihre Rettung doch etwas geben. Als das winzige Männlein sie kommen sah, hatte es die größte Freude und fragte: »Jetzt sag mir, wie ich heiße!«

Die Magd sprach: »Putzli.«

Da lachte das Zwerglein und fragte noch einmal.

Die Magd sagte: »Rudi.«

Da lachte das Wichtlein, daß es zitterte, und sprach: »Rat noch einmal!«

Da erwiderte das Mädchen: »Heißt du etwa Kugerl?« und gab ihm das rote Röcklein.

Da fing das Zwerglein an zu weinen und zu jammern und ging mit dem Röcklein in den Wald hinaus. Seit jener Stunde ließ es sich nie mehr sehen, und niemand weiß, wohin es gekommen ist.


(mündlich in Höttingen)

Quelle:
Zingerle, Ignaz und Joseph: Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland. (Regensburg 1854) Nachdruck München: Borowsky, 1980, S. 226-228.
Lizenz:
Kategorien: