1. Die Auffindung des Wildbades Gastein.

[108] Wer hätte nicht gehört von den segensreichen und wunderbar heilsamen Quellen des in schaurig-schöner Natur, von Felsenschluchten, Wäldern und Hochmatten umgebenen Wildbades Gastein? Vielen Tausenden von Kranken haben sie das hohe Gut der Gesundheit wieder zurückgegeben. In die grauen Zeiten des siebenten Jahrhunderts rankt die Sage von der Entdeckung dieser berühmten Heilquellen. Noch war das Thal fast unbekannt den Anwohnern seiner Umgegend; zahlreiches Wild hauste frei darin, und nur zwei fromme Einsiedler hatten sich in diese düstere Thalschlucht ihre Eremitenzellen gebaut, wo sie in strenger Zurückgezogenheit gottseligen Betrachtungen sich widmeten. Ihnen allein war die warme Quelle und deren Heilkraft bekannt.

Eines Tages geschah es, daß ein ritterlicher Jäger aus Goldeck in der Gegend zu Oberland eines Edelhirsches im Gebirge ansichtig wurde, auf den er sein[108] Pfeilgeschoß richtete, und ihn auch, jedoch nicht zum Tode, traf. Das verwundete Thier hatte noch Kraft, zu entfliehen, und verschwand bald in Dickigt und Geklüft dem spähenden Auge des Jägers. Dieser aber folgte unablässig der schweißigen Fährte des angeschossenen Wildes, und war nicht wenig verwundert, mit einem Male in felsiger Vertiefung Dampf aufsteigen zu sehen und den Hirsch wieder zu erblicken, aber in Gesellschaft von zwei Männern, welche seiner pflegten und in einer warmen Quelle ihn badeten. Diese Männer waren die beiden frommen Anachoreten Primus und Felician. Sie baten den Jäger, abzustehen von seinem blutigen Handwerk, und führten seine Seele auf den Pfad des ewigen Heils. Sie machten ihn auch bekannt mit der Kraft der wunderbaren Quelle und beschlossen gemeinschaftlich mit ihm, den Menschen diesen Schatz zugänglich zu machen. Ihre Zelle stand am Badberg unterhalb der Schreck, hart am Felsen.

Quelle:
Bechstein, Ludwig: Die Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Oesterreich. 1. Band, Leipzig: B. Polet, 1840, S. 108-109.
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