10. Die Willi.

[173] Wo auf den einsamen Haidestrecken Ungarns und Kroatiens jene grünen Kreise im Grase sich finden, die der Volksaberglaube in Deutschland Elfenkringel und Hexenringe nennt, tanzen, so wie auf Kreuzwegen, nach magyarischen Sagen, die Willi's, die der Sorbe Wila nennt, gespenstige Reigen. Jede Jungfrau, die de Tod als Braut küßt, wird eine Willi.

Ein holdes Edelfräulein auf Burg Löwenstein liebte einen schönen und wackern Knappen ihres Vaters, des stolzesten Freiherrn. Diesem ward der Tochter heimliches Glück von Verräthern vertraut, und er entsandte den Edelknecht mit geheimer Botschaft – auf Nimmerwiederkehr. Der liebende Jüngling gedachte recht treu seine Botschaft zu vollziehen, die an den Prior des Templerhauses Pöstény gerichtet war, und träumte von dem künftigen Glücke seiner Liebe. In dem Briefe, den er trug, gebot der stolze Vater der Geliebten dem[173] Prior, seinem Freunde, den Ueberbringer in ewigem Dunkel unterirdischer Kerkermauern festzuhalten. Gott aber fügte es, daß der Prior vor Kurzem gestorben, und ein anderer an dessen Stelle erwählt war, der keine Verpflichtung fühlte, so grausamem Gebot gehorsam zu seyn. Er enthüllte dem Knappen das frevelhafte Geheimniß und entsandte ihn mit einem andern Briefe zum Heere des Königs. Zum Löwensteiner Burgherrn aber sandte der neue Prior einen Boten und ließ ihm künden, daß sein Bote in der Wag ertrunken sey, als er die Furth von Beczko durchreiten wollen, und nur seine Leiche sey mit dem Briefe nach dem Templerhospiz gebracht worden. Trübe Trauer umflorte des Burgfräuleins Herz; sie irrte gramvoll umher, und von ihrem Munde zitterte bisweilen ein melancholisches Lied von den Willi's:


»Auf den Hügeln, auf den grünen Kreisen,

Und wo einsam sich die Wege kreuzen,

Tanzen Willi's hold im Mondenscheine,

Willi's, Bräute, junggestorbne Bräute;

Bleich und schön, in silbernen Gewändern,

Und in Schleiern, voll von Thaues Perlen.

Naht ein Jüngling sich dem Willireigen,

Muß er tanzen mit den bleichen Geistern,

Tanzen, bis er todt zu Boden sinket;

Tanzen muß er mit der jüngsten Willi,

Die durch ihn, mit ihm, zur Ruh dann eingeht.«


Der Freiherr von Löwenstein erkor für seine Tochter einen Bräutigam nach seinem Sinn, aber der Tochter[174] brach der Gram der Liebe um ihren ersten Herzensfreund das Herz. Sie starb als Braut.

Der junge Knappe hatte im Kriege gegen die feindseligen Türken Ruhm und reiche Beute errungen, und beschloß, nach Burg Löwenstein zu reiten, vor den Vater der Geliebten zu treten und um seiner Tochter Hand zu bitten. Die Nacht schwang über seinen Pfad ihre Schattenflügel. Durch die Nebeldämmerung sah er von Weitem Burg Löwenstein schimmern, lichtlos, schwarz. Der Berg, auf dem sie stand, schien ein Sarg zu seyn. Es war Mitternacht. Siehe, da scheute auf einem Kreuzwege plötzlich des Reiters Roß und bäumte sich; weiße Lichtgestalten schwebten Hand in Hand gespenstig auf und nieder, graue Schleier und Bänder flatterten, wie von Duft gewoben, wie Gewebe der Spinnen. Der Reiter stieg vom Roß, es zu führen über den Ort, vor dem es sich scheute, aber als er den Zügel zu erfassen meinte, faßte er eine Mädchenhand und sah ein bleiches, liebezärtliches Antlitz – das seiner Geliebten. Und sie zog ihn zu dem Willitanze, und von ihren leisen Geisterküssen ward er bleich und bleicher – und entschlief.

Quelle:
Bechstein, Ludwig: Die Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Oesterreich. 1. Band, Leipzig: B. Polet, 1840, S. 173-175.
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