Der Hornrabe, der Fuchs und der Rabe

[121] Der Hornrabe hatte siebzig Eier auf einer Adansonia ausgebrütet. Da kam zu ihm der Fuchs mit einer Axt aus Thon und sprach: »Soll ich die Adansonia fällen, du und deine Kinder ihr geht dann in den Tod, oder giebst du mir eins deiner Kinder?« Der Hornrabe warf ihm nun eines seiner Kinder zur Erde und sprach: »Fälle doch die Adansonia nicht!« Der Fuchs nahm das Kind, fraß es und ging. Den folgenden Tag kam der Fuchs wieder und sprach wie früher zum Hornraben: »Soll ich die Adansonia fällen oder giebst du mir ein Kind?« Abermals gab ihm der Hornrabe ein Kind. Indem er nun so ein Kind nach dem andern hingab und so fast damit fertig war, kam der Rabe und fragte ihn: »Wie geht es deinen Kindern?« »Der Fuchs hat sie mir vertilgt,« erwiderte der Hornrabe. »Der Fuchs vermag ja nicht auf die Adansonia hinaufzusteigen,« sagte zu ihm der Rabe. Da erwiderte ihm der Hornrabe: »Der Fuchs kam zu mir und sprach: ›Soll ich die Adansonia fällen[121] und euch alle auffressen, oder giebst du mir eines deiner Kinder?‹ Damit wir nicht alle umkämen, gab ich ihm eines meiner Kinder, und er fraß es. Den folgenden Tag kam er wieder zu mir und sprach wie früher. Abermals gab ich ihm ein Kind und er fraß es; so hat er sie fast alle schon vertilgt.« »O bist du dumm! Der Fuchs hat dich zum besten: seine Axt ist ja nur Lehm. Wenn er also wiederkommt, so gieb ihm nichts!« sagte der Rabe und ging.

Den folgenden Tag kam der Fuchs wieder und sprach zum Hornraben: »Gieb mir eines deiner Kinder, oder ich haue die Adansonia um!« »Hau nur diese Adansonia um! ich wenigstens gebe dir nichts mehr; deine List kennen wir schon, deine Axt ist eitel Lehm,« sagte der Hornrabe zum Fuchs. »Wer sagte dir das?« fragte ihn der Fuchs. »Der Rabe sagte es mir,« erwiderte ihm der Hornrabe. »Wart, du Rabe! Da du mein Geheimnis aufgedeckt hast!« sagte der Fuchs, ging hin und legte sich in die Sonne, indem er etwas Blut fließen ließ.

Krächzend kam der Rabe herbei und zupfte das Blut weg; da packte der Fuchs den Raben und schickte sich an ihn tot zu beißen. »So töte mich nicht! das wäre eine Gemeinheit und eines Fuchses nicht würdig,« sagte der Rabe. »Wie also soll ich dich töten?« fragte der Fuchs. »Stecke mich unter ein altes Milchgefäß, darunter soll ich sterben!« sagte der Rabe. Der Fuchs steckte nun den Raben unter den Milchtopf. Nach einer Woche öffnete er diesen und fand den Raben lebendig. »Du lebst noch?« sagte der Fuchs. »Ich bin noch am Leben,« erwiderte der Rabe. »Ja, was soll ich also mit dir thun?« fragte[122] der Fuchs. »Mache in einem Graben ein Feuer und wirf mich hinein!« sagte der Rabe. »Gut,« sagte der Fuchs, zündete dort ein großes Feuer an und warf den Raben hinab; dieser aber flog krächzend fort, dem Fuchs zurufend: »Bin ich dir entkommen oder nicht?« »Wart', du Rabe, mit dem schwarzen Gefieder!« sagte der Fuchs und ging unwillig heim.

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Geschichten und Lieder der Afrikaner. Berlin: Verein der Bücherfreunde, Schall & Grund, 1896, S. 121-123.
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