Vorliegende Sammlung »Märchen und Erzählungen der Suaheli« ist eine Uebersetzung der von mir in Band XVIII der Lehrbücher des Seminars für orientalische Sprachen in Suaheli veröffentlichten »Märchen und Erzählungen der Suaheli«.
Die Uebertragung ist eine wörtliche, dennoch hoffe ich sie so gestaltet zu haben, dass das deutsche Sprachgefühl nicht allzusehr darunter leidet. Wie in allen orientalischen Märchen, so fehlt es auch hier nicht an drastischen und derben Stellen. Ich glaubte jedoch, dieselben wiedergeben zu müssen, wie sie sind, um den Afrikaner zu zeigen, wie er ist. Die Kunst moderner Schriftsteller, durch Andeutungen der Phantasie des Lesers freien Spielraum zu lassen, ist dem Suaheli noch völlig unbekannt.[5]
Was die Entstehung der von Eingebornen Ostafrikas mir mündlich mitgeteilten Erzählungen anbelangt, so verweise ich auf die Einleitung zum Suaheli-Text in oben angeführtem Band XVIII. Auch die Anordnung derselben habe ich in genauer Reihenfolge mit dem Suaheli-Text gegeben, in welchem mit den sprachlich leichteren Erzählungen begonnen und mit den schwierigeren abgeschlossen wird.
Zu weiterer Bearbeitung der Märchen konnte ich mich nicht entschliessen, da ich keine märchenvergleichenden Studien gemacht habe. Die Gelehrten, die auf diesem Gebiete arbeiten, werden eher im stände sein, Ursprung und Verwandtes nachzuweisen. Zu einem grossen Teile sind dieselben offenbar aus arabischen Quellen geflossen, wie z.B. »Die Geschichten des Abu Nuwasi«, »Binti Matari Schemschi«, »Ein schwieriges Urteil«, »Der Sultan Ediri und der Sultan Ndozi«, »Msiwanda«, »Der Sultan und der Kaufmann«, »Die Macht der Zauberei«, »Der Sultan und der Arme«, »Der Verstand der Frauen«, »Die Geschichte von der Frau, welche Vater und Sohn heiratete«, »Eine alte Geschichte«, »Sultan Harun Alraschid und sein Vezier«, »Die List der Frauen«, »Abu Nuwasi und der Vezier des Sultans«. Die eigentlichen Suaheli-Märchen sind sogleich durch[6] grössere Einfachheit in Form und Inhalt erkennbar; aber gerade die letzteren gewähren uns den tiefsten Einblick in den Charakter und die Phantasie unserer Ostafrikaner.
Bei dem wachsenden Interesse, das weite Kreise unsern Kolonien und ihren Bewohnern entgegenbringen, hoffe ich, dass diese Sammlung eine gute Aufnahme finden wird.
Berlin, im Oktober 1898.
C. Velten.[7]