|
Es war einmal ein Hirt, der hatte eine Schafherde; er hatte große Plage mit einem Bären, der Tag für Tag kam und ihm jedesmal fünf oder sechs Schafe raubte. Eines Tages kam ein Derwisch zu der Herde, begrüßte den Hirten, und der erzählte ihm: »Ein Bär läßt uns nicht in Frieden, sondern kommt Tag für Tag und raubt uns, es ist nichts dagegen zu machen, fünf sechs Schafe.« Der Derwisch sagte darauf: »Ich kann ihn ohne weiteres töten, brauche dazu nichts als drei kleine Schläuche mit Quarkkäse.« Die gab ihm der Hirt.
Der Bär kam, nach seiner Gewohnheit Schafe zu holen, der Derwisch ging ihm entgegen, und als er mit ihm zusammentraf, fing er an, mit dem Bären zu streiten, wer stärker sei. Der Bär sagte, er sei der stärkste, der Derwisch dagegen sagte: »Ich kann dich zermalmen wie diesen Stein«; dabei zog er zugleich, so schlau, daß der Bär es nicht merken konnte, einen Handkäse aus seinem Ranzen, dann noch einen und noch einen, und zerrieb sie alle drei zu Mehl. Der Bär verwunderte sich sehr und nahm ebenfalls einen weißen Stein, aber er konnte ihn nicht zerbröckeln wie der Derwisch. Da schlossen die beiden Brüderschaft. Nach einer Weile bekam der Bär Hunger und sagte zu dem Derwisch, er solle einen Ochsen holen, er selbst wolle in den Wald gehen und Holz fällen. Der Derwisch antwortete: »Geh du nach dem Ochsen, denn für mich ist es nichts, einen Ochsen zu nehmen, ich brauche so viel wie ein Löwe.« Mit dieser List machte er sich frei von der Mühe, nach dem Ochsen zu gehen und ging Holz holen. Der Bär ging zu einer Rinderherde, raubte einen Ochsen und warf ihn sich auf den Rücken. Der Derwisch aber, was machte der im Walde? Er nahm ein Garn und band alle Bäume zusammen und tat, als wollte er sie alle mit einem Zuge niederreißen. Der Bär wartete,[208] aber der Derwisch kam nicht. Da machte er sich auf, ging selbst in den Wald und fand den Derwisch, wie er dabei war, als wollte er mit einem Male alle Bäume niederreißen. Da wunderte sich der Bär und dachte bei sich: »Der ist wahrhaftig tausendmal stärker als ich«, und sagte zu dem Derwisch: »Was sollen alle die Bäume, die du umreißen willst? Nimm ein paar Zweige und komm.« Der Derwisch aber antwortete: »Ich bin nicht so einer, der zwei Stück Holz nimmt! wenn du willst, nimm du sie!« Da riß der Bär zwei Äste von einem Baum ab, und sie kehrten dahin zurück, wo sie den Ochsen hatten, den nahm der Bär und zerlegte ihn.
Nun mußte der Ochs noch gebraten werden, und der Derwisch sagte zu dem Bären: »Ich gehe Wasser holen, wende du das Fleisch und werde nicht müde dabei«, er meinte nämlich, er selbst könnte einen so großen Ochsen nicht wenden. Darauf nahm er einen Schlauch und ging zu einer Quelle, die in einem Felsen entsprang. Dort füllte er den Schlauch, aber als er ihn auf den Rücken lud, konnte er ihn nicht tragen, sondern mußte ihn wieder herablassen und hielt ihn nur so, daß von den scharfen Steinen keine Löcher hineinkamen. Der Bär wartete eine Stunde und noch eine, endlich machte er sich selbst auf und ging zu derselben Quelle, wohin der Derwisch gegangen war. Dort sagte er zu dem: »Warum hältst du dich so lange auf?« Der Derwisch antwortete: »Ich gedenke die Quelle samt dem Felsen aufzuheben, ich kann sie nur nicht gut aufladen, denn nur mit dem Schlauch zu kommen ist für mich schimpflich, so nimm du wenigstens den Schlauch auf.« Der Bär warf den Schlauch auf den Rücken, und so brachen sie auf. Unterwegs sagte der Bär zu dem Derwisch: »Komm, laß uns miteinander ringen«, aber der antwortete: »Geh, du bist mir nicht gewachsen«, aber zuletzt rangen sie doch. Der Bär preßte den Derwisch einmal mit solcher Gewalt, daß dem die Augen aus dem Kopf traten; der Bär sah, daß der Derwisch im Gesicht rot wie Blut war und die Augen ihm herausgetreten waren und[209] fragte ihn: »Was ist mit dir?« Der Derwisch antwortete: »Ich weiß nicht, was ich tun soll; werfe ich dich nach der Seite, so gehst du in Stücke; werfe ich dich nach der andern, wirds noch schlimmer.« Da bat ihn der Bär: »Laß mich los« und er ließ ihn los. Bald darauf kamen sie dahin, wo sie den Ochsen hatten, richteten an und aßen. Der Derwisch war satt, nachdem er zwei Bisse gegessen hatte, und der Bär fragte ihn: »Warum ißt du nicht?« Er antwortete: »Ich habe erst eben einige Schafe gegessen, als ich nach Wasser ging« – gegessen hatte er freilich nicht eines. Als sie mit der Mahlzeit fertig waren, sagte der Bär: »Komm, laß uns in mein Haus gehen als Freunde, die wir sind«, und nahm ihn mit in sein Haus. Dort befahl der Bär seiner Mutter, das Beil zu schärfen, denn er wollte den Freund, den er mitgebracht hatte, töten, um frei zu werden von dem, der stärker war als er selbst; aber die Schwester des Bären, die das gehört hatte, ging und sagte dem Derwisch, wie es stand.
Am Abend befahl der Bär, den Tisch zu decken, und nachdem sie wacker gegessen hatten, legten sie sich schlafen. Der Derwisch tat, als ginge er dahin, wo man ihm gebettet hatte, aber er ging statt dessen und versteckte sich unter dem Saumsattel eines Esels, den sie da hatten. Mitten in der Nacht stand der Bär auf, nahm das Beil, hieb dreimal zu und dachte, er hätte den Derwisch getötet. Darauf legte er sich wieder hin.
Nach Tagesanbruch stand der Bär auf und ging Holz holen. Als er zurückkam, sah er den Derwisch ihm entgegenkommen und machte die Augen weit auf, denn er verwunderte sich gewaltig. Darauf fragte er den Derwisch, wie er die Nacht zugebracht habe. Der antwortete: »Sehr gut, nur haben mich mitten in der Nacht ein paar Flöhe gestochen.« Der Bär wunderte sich sehr, daß dem Derwisch die Beilhiebe wie Flohstiche vorgekommen waren und konnte sich nicht mehr enthalten, ihm alles zu erzählen, was er in der vergangenen Nacht ihm angetan hatte, und bat ihn, er möge ihn auch so stark machen wie er selbst sei. Der Derwisch antwortete:[210] »Das ist leicht zu machen, ich brauche dazu nur einen Schlauch mit Milch.« Der Bär machte sich auf und ging zu der Herde des Hirten. Der war sehr betrübt, daß der Bär immer noch nicht umgekommen war. Der Bär kehrte nun mit dem Schlauch voll Milch zu dem Derwisch zurück, zündete auf dessen Befehl ein Feuer an, füllte einen Kessel voll Milch und stellte ihn auf das Feuer. Als die Milch tüchtig kochte, sagte der Derwisch: »Steck den Kopf hinein, dann wirst du stark.« Der Bär tat das und verbrannte sich den Kopf, ebenso ein zweites Mal, beim drittenmal aber gab ihm der Derwisch einen Stoß, er fiel in den Kessel und verbrannte.
Darauf kehrte der Derwisch zurück zu dem Hirten und erzählte ihm, daß er den Bären getötet hatte; da wußte der Hirt nicht, was er ihm zu Gefallen tun könnte und fragte ihn, was er möchte. Der Derwisch aber nahm nichts außer einer Ziege, mit der ging er davon, und die Nacht überfiel ihn in einer Wolfsschlucht. In der Nacht, als der Derwisch schlief, raubte ihm der Wolf die Ziege und fraß sie auf. Der Derwisch war darüber ergrimmt, zog seine Hosen aus und verhängte die Öffnung der Höhle damit. Als nun der Wolf herausgehen wollte, verfing er sich darin, der Derwisch band ihn in der Hose fest, und ging so mit ihm fort. Unterwegs kam er an einem Sonntag in ein Dorf. Die Kirche war gerade aus, und der Priester fragte den Fremden, woher er käme und warum. Der antwortete: »Ich bin gekommen, einen Hirten zu verkaufen, einen sehr guten Hirten, der nichts verlangt außer Essen und Trinken.« Der Priester fragte: »Wo hast du den Hirten?« Der Derwisch antwortete: »Ich habe ihn hier in der Hose.« Damit übergab er dem Priester den Hirten, und der nahm ihn mit zu sich. Der Derwisch aber machte sich aus dem Dorfe fort.
Am anderen Morgen machte der Priester die Fensterläden auf, um nach dem neuen Hirten zu sehen, ob er die Schafe auf die Weide getrieben habe. Aber er sah nichts, denn der Wolf, wie man sich denken kann, hatte kein einziges Schaf übriggelassen. Da nahm der Priester ein Gewehr auf die[211] Schulter und machte sich auf, den Derwisch zu suchen. Der Derwisch aber hatte unterwegs einige Räuber getroffen, die nicht wußten, wie sie Geld teilen sollten, das sie geraubt hatten. Als sie den Derwisch bemerkten, gaben sie ihm das Geld, um es unter sie zu verteilen, da er es als Derwisch das verstehen mußte. Der sagte: »Ich mag keinen Zank, das beste ist, ich binde euch alle an einen Baumstamm.« Das tat er, darauf nahm er den Anteil des einen Räubers und steckte ihn in seine eigene Tasche, ebenso den des zweiten und dritten, und als er alles in der Tasche hatte, eilte er davon.
Der Priester war hie und da herumgegangen und kam an den Ort, wo die Räuber waren, die der Derwisch angebunden hatte. Die fragte er: »Ist hier nicht ein Derwisch des Weges gekommen? Er hat mir einen Hirten geliefert, der mir alle Schafe aufgefressen hat.« Die Räuber antworteten: »Er ist hier vorbeigekommen und hat uns gebunden, mach uns los, wir wollen dann gehen und ihn irgendwo fangen.« Darauf machten sie sich zusammen auf, suchten den Derwisch, fanden ihn aber nicht und kamen so an sein Haus. Das überfielen sie, aber der Derwisch, sobald er sie bemerkt hatte, rief das Dorf zu Hilfe, und sowie die Leute von dem Überfall im Hause des Derwisch hörten, griffen sie die Räuber und hieben sie in Stücke.
Buchempfehlung
»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.
162 Seiten, 8.80 Euro