58. Das goldne Gürtelschloß

[269] Es war einmal ein junger König, der wollte sich verheiraten und suchte nach einem sehr schönen Mädchen. Er hatte einen Vogel, den schickte er in den Garten einer Frau, die reich war und drei Töchter hatte. Jeden Morgen kam der Vogel in den Garten und sagte: »Die älteste Tochter verheirate, die zweite verheirate auch, aber die jüngste verheirate nicht.« Die Mädchen saßen dabei und arbeiteten am Stickrahmen. Eines Tages, als die Mutter wieder den Vogel sah und ihn dieselben Worte sagen hörte, ging sie zu einer Nachbarin, erzählte, was geschah, und die Nachbarin fragte sie: »Was sagst du zu dem Vogel, wenn er sagt, daß du die jüngste Tochter nicht verheiraten sollst.« Sie antwortete: »Gar nichts.« Darauf sagte die Nachbarin: »Frage ihn, was du mit deiner Tochter machen sollst.« Am Morgen kam der Vogel nach seiner Gewohnheit und sagte dieselben Worte; darauf fragte sie ihn und er antwortete: »Laß sie mit einer Dienerin ins Gebirge gehen, denn dorthin wird der König kommen und sie zur Frau nehmen.« Sie schickte nun die Tochter mit einer Dienerin dahin, und sie sollten warten, bis der König käme, wie es der Vogel gesagt hatte. Aber was tat die Dienerin? Als sie im Gebirge angekommen waren, stieß sie das Mädchen und stieß sie so heftig, daß es hinabrollte und in den Brunnen einer Königin fiel. Das war aber eine Negerin, denn es war dort eine Stadt, in der Neger und Negerinnen wohnten, und die waren sehr reich. Als das Mädchen in den Brunnen gefallen war, ertrank es nicht, sondern konnte sich in eine Höhlung in der Brunnenwand setzen. Die Negerin, die Herrin des Brunnens, schickte eine Dienerin, Wasser zu holen, und als die den Eimer hinabließ, ergriff das Mädchen das Seil und ließ es nicht los. Die Dienerin fing an, den Eimer zu ziehen, konnte ihn aber nicht aufziehen, ließ das Seil hangen, eilte zu ihrer Herrin und sagte: »Dort[270] im Brunnen ist ein weißes Mädchen und läßt mich den Eimer nicht ziehen.« Darauf ging die Herrin hin und fragte in den Brunnen hinab: »Wer bist du da in dem Brunnen?« Das Mädchen antwortete: »Ich bitte dich sehr, zieh den Eimer ganz langsam auf, und wenn ich draußen bin, will ich dir erzählen, wie ich hier in den Brunnen gefallen bin.« Da zog die Negerin sie aus dem Brunnen und nahm sie mit nach Hause; dort erzählte das Mädchen ihr alles, was ihr geschehen war, und da sie weiß und sehr schön war, gewann die Negerin sie sehr lieb und überließ ihr die Schlüssel zu Kisten, Kasten und Schränken.

Der König hatte nun die Dienerin geheiratet, denn die hatte er im Gebirge gefunden, wunderte sich aber, daß sie nicht so schön war, wie ihm der Vogel gesagt hatte. Nach zwei oder drei Jahren kam sie in Hoffnung und faßte ein Gelüste nach einem goldnen Gürtelschloß. Der König nahm alle Goldstücke zusammen, die er hatte, berief die Goldschmiede und sagte zu ihnen: »Schätzet diese Goldstücke und sagt mir, ob sie zu einem goldnen Gürtelschloß reichen oder nicht.« Die Goldschmiede antworteten, daß sie nicht hinreichten. Darauf ging der König in viele Städte und wollte Goldstücke haben, aber man gab sie ihm nicht. So kam er auch in die Stadt, wo die reichen Neger wohnten und sagte zu der Königin, da er ja wußte, daß sie sehr reich war: »Ich bitte dich sehr, gib mir einige Goldstücke, denn meine Frau hat ein Gelüste nach einem goldnen Gürtelschloß.« Darauf rief sie das weiße Mädchen: »Lauf zu meinem Glücksengel, back aber vorher einen Kuchen, bring ihm den und sprich: gib einige Goldstücke.« Als der König das Mädchen sah, fragte er die Negerin: »Wo hast du das weiße Mädchen her?« Sie antwortete: »So und so, sie war mit einer Dienerin ins Gebirge gegangen, denn dahin sollte ein König kommen und sie zur Frau nehmen, aber die Dienerin stieß sie um und sie fiel in meinen Brunnen; die Dienerin blieb da und der König nahm sie zur Frau.« Als nun das Mädchen mit einer Goldbarre ankam, sagte der König zu ihr:[271] »Du bist meine Frau, wie deine Herrin mir erzählt hat, komm, wir wollen nach Hause gehen und ich will dich heiraten.« Er erbat sie von der Negerin und die gab sie ihm. Darnach gingen die beiden nach Hause und der König ließ die Dienerin töten.

Quelle:
Leskien, August: Balkanmärchen. Jena: Eugen Diederichs, 1915, S. 269-272.
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