Hundertste Geschichte

[91] geschah an dem Rabbi Chanine ben Duma, daß er war gegangen un wollt Thauroh lernen bei Rabbi Jauchenen ben Sakai. Da war der Sohn von Rabbi Jauchenen ben Sakai gar krank. Da sprach der Rabbi Jauchenen zu Rabbi Chanine: »Mein Sohn is mir krank, drum tu Tefille auf meinen Sohn, daß er mag leben bleiben.« Da tät der Rabbi Chanine sein Kappen zwischen dem Kranken sein Knie, un tät Tefille auf ihn, daß er leben blieb. Da sprach Rabbi Jauchenen ben Sakai: »Wenn ich schon mein Kopf in die Erd hätt herein gesteckt, da hätt man doch sich nit daran gekehrt.« Da sprach sein Weib wider den Rabbi Jauchenen: »Is denn der Rabbi Chanine köstlicher als du bist?« So sagt er wider sie: »Ich will dir sagen, der Rabbi Chanine der is gleich wie ein Knecht vor dem König. Der geht sonder Reschus (Erlaubnis) vor den König. So is Rabbi Chanine auch vor den Heiligen, gelobt sei er, er geht vor ihn wann er will. Aber ich bin gleich wie ein Fürst vor dem König, der is nit gewöhntlich, daß er oft vor den König geht, als wie der Knecht. Un darum wird sein Bitt weniger gehört. Derhalben hab ich ihn angesprochen, daß er doch sollt Tefille tun für meinen lieben Sohn, daß er sollt leben bleiben, wiewohl ich hätt können Tefille tun. Noch hab ich ihn gebeten, daß er Tefille soll tun.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 91.
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