Hundertzweiundzwanzigste Geschichte

[114] geschah an einem Chossid, der gab an einem Erew Roschhaschone (Vorabend des Neujahrtages) einen Schilling einem Armen um Gottes willen, denn es war dasselbige Jahr eine große Teuerung. Da zörnt sein Weib sehr über ihn, daß er nit in sein Haus darft kommen. Un ging hin un legt sich die Nacht auf den Friedhof vor Furcht seines Weibes. Da hört er die Nacht, wie zwei Pilzlich (Jungfrauen) die tot waren, un redeten miteinander: »Komm, wir wollen umschweben, un wollen hören hinter den Vorhang von dem Heiligen, gelobt sei er, was dieses Jahr soll geschehen.« Da sprach die andere: »Ich kann nit aufstehn, denn ich bin begraben in einer Decken von Rohren. Geh du hin, un sag du mir, was du wirst hören.« Da ging sie allein. Un da sie nun wieder kam, da sagt sie wider ihre Gesellin: »Ich hab gehört, daß, welcher dies Jahr sein Tewue(Korn) wird sähen vor halb (Monat) Marcheschwan dem wird der Borod (Hagel) alles derschlagen.« Da das der Chossid hat gehört, da saet er sein Tewue nach halb Marcheschwan. Da derschlägt der Borod (Hagel) all die Tewue, die vor halb Marcheschwan waren gesät. Un dem Chossid sein Tewue, die er nach halb Marcheschwan gesät hat, dem geschah gar nix. Das andere Jahr, da ging der Chossid wieder auf den Friedhof, un wollt wieder hören, was die Maiden werden reden. Da hört er wieder wie sie miteinander reden: »Komm wir wollen hören, was dieses Jahr wieder geschehen wird in der Welt.« Da sprach das andere: »Ich hab dir doch vorgesagt, ich kann nit gehn, ich lieg in einer Decken von Rohren eingebunden. Geh du hin un sag mir, was du wirst hören.« Da ging sie hin un kam dernach wieder un sagt: »Ich hab gehört, welcher dieses Jahr nach halb Marcheschwan säet, dem wird der Borod gar derschlagen. Wie nun das der Chossid hört, da säet er all sein Korn vor halb Marcheschwan. Da derschlug der Borod all die Tewue[114] die nach halb Marcheschwan war gesäet, sonder dem Chossid geschah nix« weil er vor halb Marcheschwan hat gesäet. Da frägt ihn sein Weib: »Lieber Mann, wie geht es zu, daß deiner Tewue is nix geschehen, un der ganzen Welt is die Tewue zerschlagen worden?« Da sagt er die ganze Geschichte, wie es mit ihm war zugegangen, un wie die Maiden miteinander geredet haben, un wie die eine nit hat gekonnt von wegen daß sie war in einer Decken von Rohr begraben. Nit lang dernach begab es sich, daß dem Chossid sein Weib un der einen Maid ihre Mutter, die in Rohren war begraben, mit einander zankten, wie den Weibern ihre Art is. Da warf dem Chossid sein Weib der Frau vor: »Komm ich will dir weisen wie dein Tochter liegt eingebunden in ein Deck von Rohren.« Zum dritten Jahr, da ging der Chossid wieder auf den Friedhof, un wollt wieder hören, wie die zwei Maiden miteinander reden werden. Da sagt wieder die eine Pilzel zu der andern: »Komm wir wollen hören, was dieses Jahr wird geschehen?« Da sagt die andere: »Laß es bleiben, denn die Leut haben es schon gehört, was wir miteinander geredet haben.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 114-115.
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