Hundertsechsundvierzigste Geschichte

[140] geschah an einem, der hat geheißen Rabbi Tarfen, der hat eine Mutter, die konnt nit gehn vor Alter wegen, un er tragt sie wo sie hin begehrt. Un er gab ihr allezeit das beste zu essen un zu trinken. Un er tät ihr allezeit das guts, was neiert zu tan war, mit ganzem Herzen un mit großer Müh un Arbeit. Einmal gingen die Chachomim (Weisen) zu Rabbi Tarfen seine Mutter un fragten sie, wie es ihr ging, un ob ihr Sohn ihr auch viel Gutes tät, un ob ihr auch eppes abging. Da dankt sie ihrem Sohn, un wußt nit wie sie ihn loben sollt, un sagt wider die Chachomim, wie ihr Sohn Arbeit un Müh mit ihr hat. Da sprachen die Chachomim: »Un wenn er noch tausendmal so viel sollt tun, da hätt er doch nit genug, denn Vater un Mutter zu ehren hat kein Schiur (Maß), man kann es nit zu viel tun.« Einmal klagt Rabbi Jischmoel seine Mutter, über ihren Sohn un sagt er will mich nit ehren, wie sie es haben wollt von ihm. Un da das die Chachomim hörten, da schämten sie sich vor ihn, daß sie ihm's sollten sagen, denn er war ein köstlicher Talmidchochom (Schriftgelehrter) un ehrt seine Mutter nit. Da fragten sie die alte Mutter, was die Klag denn sei, über ihren Sohn: Da sagt die Mutter: »Liebe Freund, damit tut er nit meinen Willen, daß, wenn er aus dem Bethhamidrasch (Lehrhaus) kommt, mit seinen Bocherim so will ich ihm die Füß waschen, das will er nit leiden un da tut er mir keinen Gefallen daran. Un er ehrt mich nit.« Da sagten die Chachomim wider Rabbi Jischmoel: »Derweil sie es ja will haben, un hält es für eine Ehre, so soll er sie ja lassen waschen, denn er wird sie auch ehren damit.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 140.
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