Hundertneunundvierzigste Geschichte

[147] geschah in Zeiten von König David, er ruhe in Frieden, da war sein Sohn Schlaume noch gar klein. Da ging ein alter Mann im Winter auf der Gassen un fand ein Schlang auf der Gaß liegen, die war schier derfroren. Un der alte Mann gedacht sich in seinem Sinn, es steht doch geschrieben, man soll sich über alle Ding derbarmen. Un nahm die Schlang in seinen Busem, un wollt sie wärmen. Un wie die Schlang zu sich selbst kam, da tät sie sich um den alten Mann sein Leib gerings herum, un die Schlang drückt ihn so hart, daß er wär schier gestorben. Un der alte Mann sprach wider die Schlang: »Ei warum tust du mir bös, un willst mich töten, un ich hab dir doch Gutes getan un hab dich derlöst vom Tod? Wenn ich nit wär gewesen, wärst du doch derfroren.« Da sprach der alte Mann wider die Schlang: »Ich will mit dir zum Mischpot (Gericht) kommen ob du mich zurecht tötest.« Da sagt die Schlang: »Ich will es gern tun, aber vor wen wollen wir kommen?« Da sprach der alte Mann: »Vor den ersten, der uns begegnen wird.« Da gingen sie miteinander. Da begegneten ihnen zum ersten ein Ochs. Da sagt der alte Mann zum Ochs: »Steh still, un richt uns alle beide«, un hebt an un sagt, wie er die Schlang hat beschirmt vom Tod, aber jetztund wollt ihm die Schlang bös tun un wollt ihn umbringen. Da antwortet die Schlang: »Ich tu es zu rechten, denn es steht geschrieben in der Thauroh: Eine Feindschaft will ich machen zwischen dem Menschen un zwischen der Schlangen.« Da sprach der Ochs: »Die Schlang hat recht, ob du ihr schon Gutes getan hast, un sie tut dir bös dagegen. Denn es is der Seder (die Sitte) so im Leben, wenn einer einem Gutes tut, so tut man ihm wieder bös dagegen. Denn mein Herr, der tut mir auch so. Denn ich arbeite den ganzen Tag im Acker, un tu ihm viel Gutes un am Abend, wenn man essen will, so eßt er das[147] Beste un gibt mir ein wenig Haber un Stroh. Mein Herr aber liegt in einem Bett un legt mich in einen Hof un in Streu, daß es auf mich regnet. Derhalben is die Regel so. Darum tut dir die Schlang auch recht, daß sie dich will umbringen, wie wol, daß du ihr Leben behalten hast.« Dem alten Mann täten die Reden gar weh. Da begegnet ihnen ein Esel. Da kamen sie auch vor den Esel un hebten an zu reden, wie sie vor dem Ochsen auch getan haben. Da hebt der Esel auch an den Posuk (Schrift) zu reden wie der Ochs. Da ging der alte Mann vor den König David un klagt über die Schlang. Da sagt König David: »Die Schlang hat recht. Warum hast du nit die Thauroh gehalten? Da steht drinnen geschrieben: Ein Feindschaft will ich tan zwischen dir un zwischen die Schlangen.« Darum kann ich dir nit helfen. Du sollst sie nit gewärmt haben. Du hättest sie sollen lassen, derweil sie ja uns feind is. Da ging der alte Mann mit weinedigen Augen von dem König. Un wie er nun weiter ging, da fand er den König Salomo bei einem Brunnen auf dem Feld. Un es war ihm ein Stecken in den Brunnen gefallen. Da heißt er die Knechte, die er bei sich hat, sie sollten den Quell von dem Brunnen weiter graben, derwartend, daß die Wasser werden in den Brunnen laufen un dann wird der Brunnen voll werden, so wird der Stecken wieder herauf schwimmen, damit er ihn wieder langen mag. Wie nun der alte Mann das sah, da gedacht er sich, das muß ein kluger Jung sein, ich will vor ihn auch kommen. Vielleicht kann er mich beschirmen vor der Schlang, un hub auch an zu sagen seine Geschichte, wie es ihm is gegangen mit der Schlang. Da sagt Salomo: »Seid ihr nit bei meinem Vater gewesen?« Da sprach der alte Mann: »Ja, aber er hat gesagt, er könnt mir nit helfen.« Da sprach der junge Salomo: »Geht wieder mit mir zu ihm.« Also gingen sie miteinander mit Salomo vor den König David, un hat den Stecken in der Hand, daß er sich an hielt. Un da sie nun kamen vor den König David, da hebt Salomo an wider den Vater: »Warum sagst du nit das Recht zwischen dem Mann un der Schlangen?« Da sagt der König David: »Ich weiß kein Recht darüber auszusprechen. Es geschieht ihm recht. Warum hat er nit gehalten, was in der Thauroh geschrieben steht.« Da sprach der junge Salomo: »Lieber Vater, gib mir Reschuss (Erlaubnis), daß ich mag den Din (Urteil) aussprechen zwischen den beiden.« Da sprach der König David: »Lieber Sohn, wenn du es kannst, dann tu es frei.« Da sprach der junge Salomo wider die Schlang: »Warum tust du einem Böses, der dir Gutes getan hat?« Da sagt die Schlang: »Der Heilige, gelobt sei er, hat geboten, ich soll den Menschen in die Ferse beißen.« Da sprach Salomo wider: »Willst du denn die Thauroh halten, un was drin steht geschrieben?« Da sagt die Schlang: »Ja, gar gern.« Da sprach Salomo wider die Schlang: »Wenn du willst ja halten, was in der Thauroh steht, also geh von dem Mann,[148] un stell dich bei dem Mann auf die Erd, denn es steht geschrieben in der heiligen Thauroh, sie soll stehn da zwischen Mannen, die da Krieg haben miteinander. Darum mußt du auch bei ihm stehn.« Da sprach die Schlang: »Ich bin es zufrieden.« Un ging von dem Mann ab, un stellt sich bei ihm. Da hebt Salomo an wider den alten Mann: »Tu an der Schlang, wie es steht geschrieben in der heiligen Thauroh. Denn es steht ja in der Thauroh, du sollst ihr den Kopf zuquetschen. Darum tu du auch, wie es steht geschrieben in der Thauroh, un sie will doch auch die Thauroh auf sich nehmen.« Un der gute alte Mann hat einen Stecken in der Hand, daß er muß dran gehn, so gar alt war er. Un er hebt seinen Stecken auf un schlug die Schlang zu tod. Also beschirmt der gute Salomo den alten Mann von der Schlangen, mit seiner großen Weisheit. Derhalben soll man keinem Bösen Gutes tun, wie es dem alten Mann auch gegangen is.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 147-149.
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