Hundertfünfundfünfzigste Geschichte

[157] geschah: Es sagt Rebbe: »Hinten nach, wenn Moschiach (Messias) kommen wird, da wird ganz Iisroel ein Hesped (Trauerfeier) machen.« Un weswegen wird ein Hesped sein? Da kriegen (streiten) die Chachomim (Weisen) darüber. Der eine sagt es wird (Meschiach ben Jossef) antreffen, derselbige wird getötet werden, un Andere sagen, es geht auf den Jezerhore (den bösen Trieb), der wird getötet werden. Da sagt die Gemore: »Nach dem, der sagt, es geht auf Meschiach ben Jossef, da wird es recht sein, denn es steht geschrieben, ihr sollt über den Meschiach ben Jossef klagen, als wie der klagt, auf einen einzigen Sohn. Aber nach dem, der da sagt, man wird auf den Jezerhore ein Hesped machen, warum soll man um den Jezerhore klagen?« Aderabe (Umgekehrt) man soll fröhlich sein, wenn man den Jezerhore töten wird. Aber doch soll man schreien, wie es gelernt hat Rabbi Juda. Wenn da wird kommen Moschiach, wird der Heilige, gelobt sei er, den Jezerhore bringen vor die Zaddikim (die Frommen) un die Reschoim (die Sünder), un wird[157] ihn vor den Augen schächten. Den Zaddikim wird er sein in ihren Augen, wie ein hoher Berg, un den Reschoim wird er dünken zu sein wie ein kleines Haar. Die Zaddikim werden schreien vor großer Freude, un die Reschoim werden auch schreien vor großem Leid. Die Reschoim werden schreien un werden sagen: »Weh, zu uns, daß wir nit haben können den Jezerhora kaufe sein (bezwingen), un er is so gar klein, als wie ein klein Haar.« Un der Heilige, gelobt sei er, wird sich selbert verwundern. Es sagt, Rabbi Asche, mit den ersten is der Jezerhorah gleich wie bei einem als ein Kleider-Fadem, der nit stark is un dernach stärkt er sich, je länger je mehr, daß er also stark wird, als wie ein groß dick Seil. Un wie kommt es, daß er so stark wird? Das will ich euch schreiben: Wenn man ihm seinen Willen tut, so verführt er einen ganz, un er wird gar stark bei ihm. Wenn man ihm einen Finger gereicht, so will er eine ganze Hand haben, wie auch die Gemore geht (sagt): Ein Glied hat der Mensch bei ihm, da meint er den Jezerhore dermit, je mehr man ihn sättigt, je hungriger wird er. Aber wenn man ihm seinen Willen nit tut, un läßt ihn hungrig werden, so wird er satt von dem Menschen, da bleibt er von ihm ab ihn zu verführen. Wenn man ihn aber satt macht, daß man ihm seinen Willen tut, so wird er erst hungrig nach dem Menschen, un verführt ihn, je länger je mehr, un läßt nit nach. Derhalben soll ein jeglicher Mensch den Jezerhore aushungern un soll ihm seinen Willen nit tan, alsdann läßt der Jezerhore von ihm ab. So is auch derselbige Mensch stark genug, daß er bei den Zaddikim sitzt, un dünkt ihn auch der Jezerhore gleich wie ein hoher Berg.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 157-158.
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