Hundertneunundfünfzigste Geschichte

[162] geschah an zwei Jehudim, die waren gefangen worden, un man führt sie vom Berg Karmel. Un der Fänger ging ihnen nach. Da sagt einer zu dem andern: »Es geht ein Kamelein vor uns her, das is an einem Aug blind, un tragt zwei Legel, in einem is Wein un in dem andern is Öl. Un es gehen zwei Mann mit dem Kamel, einer der is ein Jud und der andere is ein Goj (Heide).« Wie nun der Fänger solches von den Gefangenen hört, da sprach er wider sie: »Wie ein gar hartnäckig Volk seid ihr Juden. Von wannen wollt ihr solches wissen?« Da sprachen sie zu ihm: »Wir wollen dir's sagen. Das Kamel hat geweidet un hat als gegessen auf einer Seiten, da es gesehen hat, un auf der andern Seiten, da es is blind gewesen, so hat es nit gegessen. Das andere, das wir können wissen, daß es zwei Legel tragt auf sich, einen mit Wein un der andere mit Öl, denn wir sehen, daß es auf zwei Seiten feucht is von den Legeln, da sie getropft haben. Auf der Seite, wo der Wein is, da is es in die Erd hereingesunken un auf der andern Seit steht es still auf der Erd, so is es Öl. Darum wissen wir es. Un daß wir haben gesagt, es sind zwei miteinander gegangen mit dem Kamel, das will ich dir auch sagen, daß einer is ein Jud un der[162] andere is ein Goj, denn wir sehen, daß der Goj sein Unrat mitten in den Weg getan, aber der Jud hat sein Unrat auf eine Seit getan.« Also ging der Fänger geschwind, un eilt dem Kamel nach un fand es gleich wie sie gesagt haben. Solche große Chachomim (Weise) waren in der Zeit in Jeruscholajim. Un von ihren großen Aweres (Sünden) wegen waren sie gefangen.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 162-163.
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