Neunzehnte Geschichte

[17] geschah an Einem der niedert aus dem obern Galiläa un er verdingt sich zu einem Baalhabajis (Hausherrn) im Land zu Doraum un blieb drei Jahr bei ihm dienen. Nun es war eben an Erew Jomkipur (Vorabend des Versöhnungstages). Da sprach er wider seinen Baalhabajis: »Lieber, gib mir meinen Lohn, ich will einmal heimziehen un will mein Weib un Kind speisen.« Da sagt der Baalhabajis zu ihm: »Du sagst, ich soll dir Geld geben. Ich hab' kein Geld nit.« Da sprach der Mann: »Weil du ja kein Geld hast, so gib mir Tewue (Korn) für das Geld. Das will ich meinem Weib un Kinder mitbringen, um daß ich sie damit kann speisen.« Da sprach der Baalhabajis: »Ich hab auch kein Korn nit, daß ich dir kann geben.« Da sprach der Mann wider zu ihm: »Gib mir den Weingarten oder Acker für meinen Lohn.« Da sprach der Baalhabajis: »Ich hab auch keinen Weingarten oder Ackers nit, das ich dir kann geben.« Da sagt der Mann: »So gib mir Vieh.« Da sagt der Baalhabajis wieder: »Ich hab auch kein Vieh nit.« Da sprach er wider: »Gib mir Kissen oder Betten für meinen Lohn.« Da sagt er auch: »Ich hab von keinem niks.« Wie der gute Mann das hört, wie sein Baalhabajis ihm niks geben will, da ging er hin un nahm seine Kleider un band sie auf seinen Rucken un ging mit bitterlichem Herzen hinweg heim zu. Wie nun Jomtof (Feiertag) aus war, da nahm der Baalhabajis den Lohn, den der Meschores (Knecht) verdient hat, un nahm mit sich drei Esels, un ladet sie auf, was sie tragen können. Einem ladet er auf mit Essenspeis, den andern ladet er auf mit gutem Trank. Den dritten ladet er auf mit gut süß Obst. Un zieht damit zu seinem Meschores un essen un trinken miteinander. Wie sie nun wol hatten gessen un getrunken mit einander, da gab er ihm sein Lohn, den er bei ihm verdient hat. Un schenkt ihm, was er hat mit sich gebracht un frägt ihn: »Lieber Meschores, was hast du dir gedacht, da du mir hast deinen Lohn angeheischen un ich hab gesagt, ich hab kein Geld nit. Wie hast du mich chausched gewesen (verdächtigt)?« Da sagt der Meschores: »Vielleicht hab ich gedacht, es sei dir eine gute Sechore (Ware) zugekommen, die du hast wolfel (wolfeil) können kaufen, un du hast drüber dein Geld alles ausgegeben.« Da sprach der Baalhabajis wieder: »Lieber, sag mir, was hast du mich chausched gewesen da du gesagt, ich soll dir Tewue geben un ich sagt, ich hab keine Tewue nit?« Da sagt der Meschores: »Ich hab gedacht, vielleicht hast du noch kein Maasser (Zehenten) davon gegeben.« Da frägt der Baalhabajis wieder: »Da[17] du sagst, ich soll dir Weingarten oder Acker geben, un ich sagt: ich hab keinen, was hast du mich zum selbigmal chausched gewesen?« Da sprach der Meschores wider: »Ich hab gedacht, vielleicht sind die Weingarten un Acker nit dein gewesen un die hast sie nit dürfen hinweg geben, sonder Reschus (Erlaubnis).« Da sagt der Baalhabajis wieder: »In der Zeit, daß du hast wollen haben Kissen un Betten, un ich sagt, ich hab keines nit, was hast du mich zum selbigmal chausched gewesen?« Da sagt der Meschores: »Ich hab mir gedacht vielleicht hast du dein Mammon gar hekdesch gemacht, (zu gutem Zweck verschenkt) un es sei nimmer dein gewesen.« Da schwur der Baalhabajis bei der Awaudoh (so wahr ich Gott diene): »Es is alles wahr gewesen wie du mich chausched gewesen hast, denn ich hab all mein Mammon verschenkt über meinen Sohn Horkenos, der hat nit wollen Thauroh lernen. Un da bin ich kommen zu meinen Chawerim (Gesellen) in Dorem, un da haben sie mir die Schwue wieder matir gewesen (den Schwur gelöst). Un weil daß du mich hast mit all meinen Werken zum Guten chausched gewesen, so soll dir der Heilige, gelobt sei er, auch alle deine Werke zum Guten rechnen un zu Gutem gedenken.« So lobt er ihn.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 17-18.
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