Hundertneunzigste Geschichte

[210] geschah in Konstantinopel. Da sprachen die Tugrim (Krämer) zum König, wie die Jehudim hätten einen Tagor (Krämer) getötet. Un wollten, Gott bewahre, eine Geseire (Verhängnis, Unglück) draus machen, wie, Gott bewahre, schon mehr geschehen is, daß man den Juden hat gelogene Aliles (Verdächtigung) hat zugeworfen, un wodurch viel Juden sind umgebracht worden. Da schickt der König nach den Juden. Un wie sie kamen, da sprach der König wider die Juden: »Sagt mir das teutsch von dem Vers in Thillim: Hine lau jonum welau jischaun schaumer Jsroel.« Da sagten die Juden ihm, das is teutsch: »Nun es schläft noch schlummert nit der Hüter vor allem Bösen.« Da sprach der König: »Nein, ihr habt nit recht gesagt das Teutsch von dem Posuk,« denn der Posuk is so teutsch: »Der Heilige, gelobt sei er, is der Hüter von Jisroel, der läßt nit schlufen andere Leut, damit daß er sein Volk Jisroel behütet vor Gojim un von jedermann.« Da sagt der König: »Die vorige Nacht hab ich nit können schlufen, da bin ich aufgestanden von meinem Bett, un hab zum Fenster hinaus gesehen. Un die Lewone (Mond) hat hell geschienen, daß man wol hat können sehn auf die Gaß. Da hab ich gesehen, wie zwei Mannen sind gegangen un haben einen peger (toten) Mann getragen auf ihrer Achsel. Da hab ich flugs meine zwei Knechte nachgeschickt, sie sollen doch sehn, wo sie den toten Mann hintragen. Da haben sie gesehen, wie sie den toten Mann in ein Judenhaus haben geworfen, un jetzunder gingen sie hin un beschuldigen die Juden wie sie einen Goj (Christen) getötet haben. Un täten gern, Gott bewahre, eine Nekome (Rache) an ihnen nehmen. Wenn ich nun hätt geschlufen un hätt dasselbige nit gesehen, hätt ich ja unschuldig Blut vergossen un hätt die Juden töten lassen. Darum hat der Heilige, gelobt sei er, der Hüter von Jisroel, mich nit lassen schlufen, drum daß ich die Geschichte selbert sollt sehen. Un derhalben soll euch nix geschehn.« Un der König ging hin, un tät eine Nekome (Rache) an die Mörder, die den[210] Toten haben getragen. Un die Jehudim sind beschirmt worden von dem Volk zum selbigen mal. Der Heilige, gelobt sei er, soll uns weiter behüten vor allem Bösen. Omen. Seloh.

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 210-211.
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