Zweihundertzweite Geschichte

[232] geschah in Tagen Schlaume hamelach, des König Salomo, an einem Bocher (Schüler), der ging von Tiberia nach einer andern Stadt, die heißt Bethur, denn er wollt da Thauroh lernen. Un der Bocher war gar jung un gar schön. Da dersah einem Baalhabajis (Hausvater) von Bethur seine Tochter den Bocher. So fragt sie ihren Vater: »Ich bitt dich, lieber Vater, gib mir den Bocher zum Mann.« Alsobald lauft der Vater dem Bocher nach, un sprach zu ihm: »Is dein Willen, daß du willst ein Weib nehmen, so will ich dir meine Tochter geben.« Da sagt der Bocher gleich ja. Da ging der Bocher mit dem Mann heim un verheiratete sich gleich mit der Bsuloh (Jungfrau). Un zieht mit ihr heim. Un war gar fröhlich mit ihr ein ganzes Jahr. Wie nun das Jahr aus war da sagt sein Weib wider ihm: »Mein lieber Mann, ich bitt dich, laß uns einmal zu unserem Vater un Mutter ziehn, un laß uns sehn, was sie tun.« Alsobald als er das von seinem Weib hört, so nahm er zwei Pferd. Auf ein Pferd setzt er sein Weib un das andere beladet er mit eitel gut Obst un allerlei gute Essenspeis, un guten Getränken un ziehten miteinander bescholaum (in Frieden) weg. Wie sie nun auf dem Weg waren so kamen über sie Gaslonim (Räuber), die waren gewappnet mit Kelesajin (Waffen). Un wie das Weib die Räuber sah, da kriegt sie eine Lust zu einem von den Gaslonim un die Räuber nahmen Mann un Weib gefangen. Also binden die Gaslonim den Mann mit starken Seilern an einen Baumpfosten. Un die Gaslonim nahmen das Weib un trieben viel böse Stück mit ihr. Dernach gingen die Gaslonim hin un eßten un trinkten miteinander. Un der gute Mann war nebbich an einen Baumpfosten gebunden un sah als zu. Un da sie nun gegessen un getrunken hatten da liegten sie sich miteinander schlafen. Da nahmen die Räuber die Legels (Gefäße) mit Wein un stellten sie unter ihre Köpf un schliefen drauf. Da sie nun eine Weil geschlafen hatten, so kam ein Schlang un trinkt aus den Legels un spie wieder ein Sam hamowes (Gifttrank) herein. Un der gute Mann hat das Ness (Wunder) als zugesehen. Nun wacht als ein Gaslon nach dem andern auf un trank aus seinem Legel. Alsobald er getrunken hat so fiel er nieder un sturb bis sie alle tot waren. Un als der Mann das Chiddusch (Merkwürdigkeit) sah, da lobte er den Heiligen, gelobt sei er, daß er ihn beschirmt hat. Un sprach wider sein Weib: »Mein herzliebes Weib, mach mich ledig von dem Baum, un tu die Seiler von meinem Leib.« Da sprach sie: »Ich fercht mich, du wirst mich um mein Leben bringen, wenn ich dich werd ledig machen von dem Baum.« Da schwor der Mann ihr einen Schwur, daß er ihr nix tun wollt. Da ging sie hin un griff nach dem Gaslon ob er noch lebt. Da war er eben wie ein tot Holz. Sobald macht sie ihren Mann ledig un zug heim nach ihres Vaters Haus.[233] Wie nun solches der Vater gewahr ward, daß seine liebe Tochter kam mit ihrem Mann, da war er gar fröhlich mit Essen un Trinken. Da sagt der Eidam: »Mein lieber Schwäher, ich kann nit essen noch trinken. Ich muß euch vor(her) sagen wie es uns is gegangen auf dem Weg.« Alsobald derzählt er seinem Schwäher wie sein Weib gehandelt hat mit dem Gaslon. Wie das der Vater hört, da tötete er die Tochter gleich. Darum hat Salomon, er ruhe in Frieden, gesagt: »Ein solches Weib hab ich nit gefunden.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 232-234.
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