Sechsundvierzigste Geschichte

[40] geschah: Es frägt Rowe den Rafrem bar Pope: »Lieber, sag du mir was hat Reb Hune für gute Werke an sich?« Da sagt er wider ihm: »Seine Jungheit gedenkt mich nit, aber sein Alter gedenkt mich wol. Wenn da war in der Stadt ein großer Wind, so ließ er sich durch alle Gassen tragen auf einem güldenen Stuhl un besah, wo eine böse Mauer war in der Stadt. Die ließ er abbrechen, denn er hatt Sorg, die Mauern wären eingefallen von dem großen Wind un möchten den Leuten großen Schaden[40] tun. Und wem die Mauer zukam, un er war reich, so mußt er sie lassen wieder bauen auf seine Kosten. Aber wenn es ein Armer war, daß er sie nit könnt lassen bauen, so ließ sie Reb Hune wieder auf seine Kosten bauen so wie zuvor. Un auch alle Erew Schabbes (Freitag) schickt er seinen Knecht auf den Markt un all das Kraut, das die Gärtner nit könnten verkaufen, das kauft er alles von ihnen un ließ alles in das Wasser werfen. Un da frägt die Gemore: Warum gab er nicht den Onim (Armen) unter Jisroel? Das tät er darum: Wenn er den Armen hätt gegeben, so hätten sie sich darauf verlassen un hätten gegen Schabbes kein Kraut gekauft. Und zu Zeiten wär kommen, daß die Gärtner ihr Kraut alles verkauft hätten, un die Armen hätten keines bekommen. So hätten die einen niks zu essen gehabt, da wär der Schabbes nit geehrt gewesen. Un warum läßt er nit die Behemes (das Vieh) das Kraut essen, das er kauft, das wär doch besser gewesen, als ins Wasser geworfen? Das hielt er nit für recht, daß ein Essenspeis, das ein Mensch kann essen, man soll an das Vieh geben. Das is gesehen, als wenn er leugnet die Tauwe (das Gute), das der Heilige, gelobt sei er, getan hat. Un derhalben ließ er in das Wasser werfen, daß die Leut, die die Kräuter hinab sehen fließen das Wasser, die sollten es fangen un sollten es essen. Un warum ließ er's allegar kaufen? Derhalben, daß die Gärtner an einem Erew Schabbes (Freitag) ihr Kraut auf den Markt sollten bringen mit Lust. Un wenn sie nun nit alles verkauft hätten so möchten sie andermal mit kein Kraut an Erew Schabbes kommen auf den Markt. So hätten wir niks zu essen.« Da wär der Schabbes nit so wol geehrt, un er hätt eine Awere (Sünde) daran getan. – Un alle Tag hängt der Reb Hune einen Krug mit Wasser vor seine Tür, derwartend, daß die Leut zu morgens die Händ sollten waschen. Denn es is auf die Händen ein böser Luft un is eine große Sakone (Gefahr), wenn man anrührt mit ungewäschenen Händen. Auch wenn einer ißt mit ungewäschenen Händen, is auch eine große Sakone. Un auch wenn er ißt so tät er die Haustür ganz auf un sagt so: »Wer mit mir essen will, der mag herein kommen.« Da das Rowe hört, da sagt er: »Die guten Stück, die wollt ich auch wol halten, ausgenommen wenn ich essen sollt. Da könnt ich das nit sagen, wer da will mitessen, der mag herein kommen essen, denn es wohnen in meiner Stadt gar viel Arme. Un wenn sie werden kommen un hätten mit mir gessen, so hätten sie mir das Meinige bald aufgegessen. Derhalben könnt ich das nit tan.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 40-41.
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