Vierundneunzigste Geschichte

[83] is geschehen an Einem, der hat geheißen Mar Ukwe. Bei dem Mar Ukwe da saß ein großer Oni (armer Mann). Da ging der Mar Ukwe alle Tag eh er lernen ging in das Bethhamidrasch (Lehrhaus) un[83] legt dem Armen vier Schilling in die Angel, da die Tür innen geht, im wenn der Arme nun wollt aus dem Haus gehn, da fand er allemal die vier Schilling liegen. Einen Tag gedacht der Arme, wer mag doch der sein, der mir alle Tag die vier Schilling daher legt? Ich will doch einmal sehen wer es tut. Un eben denselbigen Tag, daß der Arme wollt sehen, da war der Mar Ukwe gar spät in das Bethhamidrasch herein gegangen. Un als er bei dem Armen seinem Haus kam, un wollt das Geld dahin legen, wie sein Seder (Gewohnheit) war, da ging eben zum selbigen Mal sein Weib mit. Da kam eben der Arme daher zu kriechen un wollt doch sehen, wer das war, der ihm das Geld daher legt, mit seinem Weib, daß sie der Arme nit sehen sollt, denn er sollt sich dernach vor ihm geschämt haben. Un sie laufen alle beide un verbargten sich in einen gehitzten Backofen, damit daß sie der Arme nit sehen sollt. Un wie sie nun alle Beide in dem Backofen waren, da sprach Mar Ukwe wider sein Weib: »Ei wie sind mir meine Knie so gar heiß.« Da sprach sie zu ihm: »Leg deine Knie zwischen meine Knie, denn meine Knie, die sein mir kalt.« Da war der Mar Ukwe gar zornig, daß ihm seine Knie sollten heißer sein denn seines Weibs Knie. Da sagt sie wider ihn: »Mein lieber Mann, das is kein Wunder nit. Warum? Ich will dir sagen, wiewol daß du viel Zdoke (Almosen) gibst den Armen eitel Geld, so haben sie große Müh un Arbeit eh sie Brot oder Fleisch derum bekommen. Aber ich bin einen ganzen Tag im Haus un gib den Armen Brot un Fleisch un Salz. Das is ihnen viel lieber denn Geld, daß sie nit dürfen um zu laufen dernach um Essenspeis.« Da fragt die Gemore: »Westhalb täten sie sich in so eine große Sakone (Gefahr), daß sie sich in einen heißen Backofen haben behalten?« Da sagt Rabbi Jauchenen wieder: »Sie täten es darum, daß sie den Armen nit wollten verschämen, denn es is besser zu den Menschen, daß er sich soll lassen in einen heißen Kalkofen werfen, weder daß er soll seinen Chawer (Nächsten) verschämen vor vielen Leuten, daß er soll rot unter seinem Ponim (Angesicht) werden. Un das lernen wir darum von Tomor. Da steht derbei geschrieben, ehe sie wollt sagen wer da bei ihr gelegen war, ehe ließ sie sich ausziehen zu verbrennen.«

Quelle:
Allerlei Geschichten. Maasse-Buch, Buch der Sagen und Legenden aus Talmud und Midrasch nebst Volkserzählungen in jüdisch-deutscher Sprache, Nach der Ausgabe des Maasse-Buches, Amsterdam 1723, bearbeitet von Bertha Pappenheim, Frankfurt am Main: J. Kauffmann Verlag, 1929, S. 83-84.
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