[30] Zu seiner Zeit verehrten die Menschen schon das Feuer, und er ward gesandt als Prophet, dieselben zum wahren Dienste Gottes zu belehren. Er las[30] ihnen die Bücher vor, welche Adam und Seth vom Himmel erhalten hatten, und schrieb selbst mehr als dreyßig zusammen. Bis auf ihn hatten sich die Menschen in Thierhäute gekleidet, er lehrte sie zuerst wollene Kleider weben, und nähen. Er verfertigte für die ganze Welt Röcke, und Kaftane, und betete bey alledem Tag und Nacht ohn' Unterlaß, ja einmal brach er sich zehn Jahre lang den Schlaf ab. Deswegen liebten ihn die Engel Gottes, und sogar Israel, der Todesengel, verliebte sich in ihn, und wohnte lange Zeit unerkannt mit ihm.
Als er sich nun zu erkennen gab, sagte Edris: Bist du gekommen, meine Seele zu fordern? – Nein – nimm sie immer – das darf ich nicht ohne Befehl des Herrn. – Lieber Todesengel, so erwirke mir die Gnade vom Herrn, daß ich sterben, und wieder lebendig werden möge. Meines ersten Lebens bin ich satt, vielleicht wird mirs im zweyten besser. Israfel trug des treuen Dieners Bitte dem Herrn vor, er starb, und wachte wieder zum Leben auf, und die innige Freundschaft mit Israel gieng ihren Gang fort. Lieber Todesengel, du hast mir Muth zum Bitten eingeflößt, thu mir die Freundschaft, und laß mir das Paradies sehen. – Dazu muß ich die Erlaubniß vom Herrn einholen, und Gott der Herr ertheilte die Erlaubniß. Sie kamen miteinander an die Thore des Paradieses, vor denen der Cherubim Riswan die Wache hält. Kein Einlaß hier für[31] sterbliche Menschen vor dem Tode, rief er ihnen entgegen; sie beriefen sich auf die Erlaubniß des Herrn aber Riswan hatte noch kein Einlaßbillet erhalten, Auch dieses kam, und Edris lustwandelte nach Gefallen zwischen den Lauben des Paradieses. Der Hüter des Paradieses, wiewohl ein Cherubim, ist doch nicht weniger läßig, als die Hüter anderer Gärten. Hinaus, hinaus, rief er, die Zeit ist längst vorbey, und zog den Propheten beim Kleide über die Schwelle des Paradieses fort. Noch Eines hab ich darin vergessen, rief Edris, und sprang zurück, denn in der That hatte es ihm darin so gut gefallen, daß er nicht mehr heraus wollte. Da legte Riswan Hand an, ihn mit Gewalt hinauszuwerfen. Wie so? rief Edris, das mir! mir, einem Propheten, einem Gottgesandten Seher! Wie schickt sich dies für einen Cherubim, wie dich? Nun erscholl die Stimme des Herrn, laß ihn, o Riswan! meinen getreuen Diener verweilen nach Gefallen. Edris blieb im Paradiese, und ist seitdem noch stets darinnen. So hat er durch Andacht und Fleiß Gnade vor dem Herrn gefunden, durch Freundschaft dem Todesengel das Leben, und durch Beharrlichkeit dem Cherubim des Paradieses den Aufenthalt darinnen abgewonnen.