[232] [Rand: Mehedsch.] Erzähl' mir ein Geschichtchen wider den Schlaf und wider die Langeweile, sagte der Chalife Mamun eines Tages zu Mesrur, dem obersten Aufseher des Harems. Fürst der Rechtgläubigen, antwortete Mesrur, für jetzt fällt mir nichts bey, was deiner Majestät würdig wäre; doch bringe ich dir einen alten Sklaven vom Hofe deines Vaters, in dessen Gesellschaft dir die Zeit nicht lang werden soll. Der alte[232] Diener ward vorgeführt, küßte dreymal die Erde vor den Füßen des Chalifen, und begann folgende Erzählung:
Der Vater deiner Majestät, weiland Chalife Harun Raschid, glorreichsten Angedenkens, war ein großer Liebhaber der Jagd. Den ganzen Tag hindurch giengs über Stoppel und Moor, bergauf, thalein, in vollem Rennen. Ich hinter ihm her; oft verschmachtend vor der Hitze des Tages, vor Müdigkeit und Hunger. Eines Tages gab mir einer der Höflinge drey in Honig eingesottene Datteln, eine treffliche Aushülfe, so wider Hunger als Durst. Deß ward ich froh, und bewahrte meine Datteln wie einen Talisman wider das Ungemach der Jagd. Ich erspähte den Augenblick, wo der Chalife ein wenig vorwärts war und mich nicht zu bemerken schien, um eine der Datteln zum Munde zu bringen. Aber kaum hatte ich sie über die Lippen gebracht, so rief mich der Chalife. Ich spie die Dattel aus und gab meinem Esel die Sporen, um den Chalifen zu erreichen. – Sage mir, sprach er, hat dein Esel schon alle Zähne, oder mangelt ihm vielleicht noch einer? – Er hat sie alle vollgezählt, Fürst der Rechtgläubigen, war meine Antwort.
Eine kurze Weile darauf blieb ich wieder zurück, und versuchte mein Glück mit der zweyten Dattel. Aber kaum hatte sie den Mund berührt, so rief mich der Chalife. Ich war gezwungen, die Dattel wegzuwerfen,[233] und gab meinem Esel die Sporen. Ist dein Esel arabischer oder egyptischer Abkunft? fragte Harun. Er ist aus Jemen, allergnädigster Herr, erwiederte ich mit verbissenem Unmuth, und kehrte auf meinen Platz zurück.
Hunger und Durst, nicht gestillt, sondern nur gereitzt durch des Honigs Süßigkeit, plagten mich mehr als zuvor, und ich versprach mir, wenigstens die dritte Dattel glücklich hinab zu bringen. Doch der Versuch mißglückte. Kaum hatte ich sie zwischen den Zähnen, so rief mich auch schon wieder der Chalife, und ich mußte in vollem Trab zu ihm vorrennen. Wie theuer hast du deinen Esel gekauft? fragte Harun. Verdammt, dachte ich bey mir selbst, sey mein Esel und sein Verkäufer! und dann mit dem abgemessensten ehrfurchtvollsten Tone: Er kostet mir grade acht Dukaten, Fürst der Rechtgläubigen. Der Chalife konnte das Lachen nicht halten, und ich kam Abends hungriger und durstiger als jemals in den Pallast zurück.
Nachdem ich mich durch Speise und Trank gelabet hatte, wandelte ich herum durch die Gallerien des Pallastes, und durch die hohen Gänge des Harems, aus denen schon der letzte Schimmer der Abendröthe verschwunden war. Lieblicher Gesang ertönte aus einer der Kammern der Frauen. Ich verfolgte die Stimme, nnd sah durch das Schlüsselloch den Chalifen, der seinen Arm um den Nacken der schönen Sängerin[234] geschlungen hatte. Der Chalife war zudringlich, sie aber bat ihn, sie zu verschonen, weil, wenn Zobeide, die Gemahlin Harun's, den geringsten Verdacht hegte, sie auf ewig unglücklich seye, und den Genuß des Augenblicks mit tausend Martern bezahlen würde. Harun bot alle seine Beredsamkeit auf, die schöne Sklavin zu beruhigen, besonders habe es heute keine Gefahr mit Zobeide, denn sie sey in der Frühe auf ein nah' gelegenes Lustschloß verreiset. In diesem Augenblicke schlug ich mit einem großen Knotenstock an die Thür. Die Sklavin fuhr erschrocken auf: Um Gottes willen, das ist die Prinzessin! Der Chalife suchte sie erst zu beruhigen, und fragte dann: Wer da?
Es ist, antwortete ich, Ibad, der allergetreuste Sklave deiner Majestät. Ich hatte heute Früh auf die Frage: ob mein Esel alle Zähne habe? geantwortet: er habe sie vollzählig; nun aber, bey genau genommener Einsicht seines Mundes, fand ich wirklich, Fürst der Rechtgläubigen, daß ihm noch zwey fehlen. Verdammt sey dein Esel und du, rief der Chalife, laß mich in Frieden.
Die schöne Sklavin, äußerst furchtsam von Natur, wollte lange nichts von des Chalifen Anträgen hören. Endlich ließ sie sich doch nach und nach herbey. Das Gespräch ward lebhafter, dann einsylbig, und sie waren auf gutem Wege, als ich wieder und weit stärker als das erstemal, an der Thüre klopfte. [235] Zobeide! Zobeide! rief die schöne Sklavin, und sprang erschrocken auf. Der Chalife hielt sie beym Saum des Kleides zurück, zog sie zu sich auf's Sofa nieder, und nachdem er sie ein wenig beruhiget hatte, fragte er: Wer da?
Dein allergetreuester Sklave Ibad, o Fürst der Rechtgläubigen. Du fragtest mich: ob mein Esel arabischer oder ägyptischer Abkunft sey? ich sagte: er sey aus Jemen; aber nach den genausten eingezogenen Erkundigungen ist er aus Oberägypten gebürtig. Verflucht sey du und dein Esel! schalt der Chalife, schere dich fort.
Die schöne Sklavin zitterte noch lange, und es brauchte viele Mühe und Zeit, bis sie sich wieder den Liebkosungen Haruns hingab. Endlich wich die Furcht der Begier, und der Augenblick war da, wo Harun glücklich werden sollte; da schlug ich zum drittenmale mit Gewalt an die Thür. Die Sklavin konnte sich nicht fassen vor Schrecken. Mit Mühe hielt sie der Chalife in seinen Armen zurück. Das ist die Prinzessin ganz sicher, rief sie, und der Chalife fragte: Wer da?
Dein allergetreuester Sklave Ibad, antwortete ich. Ich hatte gesagt: mein Esel koste acht Dukaten, daran habe ich mich gar sehr geirret, denn ich finde nun in meinem Rechenbuche, er koste nur sieben und einen halben. Geh' zur Hölle, du und dein Esel![236] fluchte der Chalife: daß weder du noch sein Verkäufer hätte jemals existiren mögen!
Nun wollte die schöne Sklavin von nichts mehr hören. Harun verschwendete lange seine Beredsamkeit, bis er sie wieder in Fassung brachte. Endlich gab sie seinen Worten Gehör, und war daran, seine Wünsche zu erfüllen. Da ertönte mit der ersten Morgendämmerung von dem Thurme der Hofmoschee der Gebetausruf. Dies war das Signal für den Chalifen, den Harem zu verlassen, und das Morgengebet zu verrichten. So begab er sich dann hinweg von der schönen Sklavin unverrichteter Dinge, und so bezahlte er mir die drey in Honig eingesottenen Datteln.