CLXII.
Sechstes Hauptstück. [292] Von der Heftigkeit der Begierden.

Der gelehrte Oberrichter, Abu Jussuf, bemerkt, daß die Weiber eben so leicht aus Traurigkeit als aus Vergnügen weinen, nur mit dem Unterschiede, daß in dem ersten Falle ihre Thränen gesalzen sind wie Meeresfluth, im zweyten süß wie Sorbet.

Diebe brachen in ein Haus ein, worin eine Kuh angebunden stand, und ein Mann neben seinem Weibe lag. Wir wollen, sagten sie, die Kuh wegführen, den Mann todtschlagen, und des Weibes froh werden. Der Mann, der dieses Gespräch wach mit angehört hatte, fragte seine Ehehälfte: Liebes Weib, was ist zu thun? – Ey, was denn anders, als Geduld zu haben. – Saubere Geduld, erwiederte der Mann, soll ich ruhig zusehen, daß sie die Kuh rauben, und mich todtschlagen, um dir Freude zu machen. Die Diebe lachten über den Einfall und verließen das Haus.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 292-293.
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