CXCV.

[314] Die Einwohner der Stadt Homs in Syrien waren von jeher wegen der Einfältigkeit und Originalität ihres Geistes berühmt. Ein Reisender kam nach Homs. Er hörte den Gebetausruf von dem Minare verkünden, doch statt der gewöhnlichen Formel: Ich bekenne, es ist kein Gott außer Gott, und Mohammed ist der Prophet Gottes, hörte er, wie der Ausrufer rief: Ich bekenne, es ist kein Gott außer Gott, und die Einwohner von Homs bekennen, Mohammed sey der Prophet Gottes.

Der Reisende, ein Mann von frommem und schlichtem Sinn nahm sich vor, den Imam der Moschee um den Grund dieser sonderbaren Neuerung zu befragen. Er suchte ihn auf, und fand ihn in der Moschee von einer Menge von Leuten umringt, denen er Wein verkaufte. Das zweyte Aergerniß war stärker, als das erste, und er gieng nun zum Richter, um Erkundigung einzuziehen. Er fand ihn auf ein Sofa hingestreckt mit einem zarten Knäblein an der Seite. Bey diesem Anblick schrie er laut auf: Daß Gott die Stadt Homs und alle ihre Einwohner in den Abgrund stürzen möge ihrer Gottlosigkeit wegen! Der Richter fragte um die Ursache dieses Fluches. Soll ich der Stadt nicht fluchen, wo der Gebetausrufer ein Prophetenläugner, der Imam ein Trunkenbold, und der Richter ein Knabenliebhaber[315] ist! – und er erzählte dann weiters, was ihm seit seinem Eintritt in die Stadt begegnet.

Unwissender! fuhr ihn der Richter an, sey ein andermal behutsamer, und hüte dich vor freventlichen Urtheilen, damit nicht du in den Abgrund der Hölle gestürzt werdest statt der Einwohner von Homs.

Wisse denn, unser Muesin (Gebetausrufer) ist krank, und in der ganzen Stadt Homs ist ein einziger Jude, der eine starke und wohltönende Stimme hat, wie sie das Amt eines Muesin erfodert. Du siehst wohl von selbst ein, daß der Jude nicht sagen kann: Ich bekenne, Mohammed ist Gottes Prophet, er sagt daher, die Einwohner von Homs bekennen es, und das ist die reine Wahrheit. Wir sehen lieber diese kleine Veränderung der Formel nach, als daß wir ein ohrenzerreißendes Gekreische ertragen sollten. – In Betreff des Imams hast du nicht weniger Unrecht. Die ganzen Einkünfte der Moschee bestehen in Weingärten, die von Christen gebaut werden; die Weinvertheilung, die du sahst, war nichts, als die Einnahme des gesetzmäßigen Zehends, den das Gesetz in der Moschee abzunehmen nicht verbietet. Dieser kleine Knabe endlich, den du hier neben mir liegen siehst, ist ein Waise, den ich an Kindesstatt angenommen, und den ich mit vieler Sorgfalt erziehe. Der fromme Mann gieng von hinnen, fluchend über die Stadt Homs und ihre Bewohner, und kehrte nie wieder dahin zurück.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 314-316.
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