XXXVI.

[65] Dschafer Almanßur, der Chalife, bat den [Rand: Alaim.] Richter Ebi Sinli, ihn öfters mit der Erzählung sonderbarer Fälle, die ihm in Ausübung seines Amtes aufstießen, zu unterhalten. Eines Tages nun, als der Richter den Chalifen sehr verdrüßlich sah, erzählte er ihm die folgende Anekdote:

Ein altes Weib mit gekrümmtem Rücken, und das sich kaum auf ihren Stock gestützt erhalten konnte, kam, Gerechtigkeit zu begehren wider eine ihrer Verwandten. Ich ließ sie vorrufen. Es war ein junges rundes Weib, deren Busen und Wuchs dem Enthaltsamsten den Mund wässern gemacht hätte. Sie setzten sich beide, und die Alte wollte die Klage beginnen, als die Junge bat, daß sie am ersten sprechen, und sich entschleyern dürfe. – Die Alte protestirte dawider, und machte viel Lärmens. Ich erlaubte[65] der Jungen, sich zu entschleyern und zu sprechen. Sie lüftete den Schleyer, und beym Propheten! kein schöneres Gesicht habe ich je gesehen; das Licht des Paradieses strahlt nicht heller von den Wangen der Huris, als ihre Schönheit mir in die Augen strahlte. Sie legte ihren Schleyer auf eine sehr verführerische Weise zurechte, und begann dann folgendermaßen:

Gott segne den Richter! die Klägerin ist meine Tante, die nach meines Vaters Tode meine Erziehung übernahm bis ins heirathmäßige Alter. Sie fragte mich, ob ich mich verehlichen wollte, und auf mein Ja schlug sie mir einen Wechsler von Kufa vor, den ich nahm, und glücklich mit ihm zusammenlebte. Meine Tante, neidisch über das Glück unserer Ehe, war nur darauf bedacht, dasselbe zu stören. Sie hatte eine Tochter, die eben mannbar geworden, und die sie meinem Gemahle so oft unter die Augen führte, bis er dieselbe zur Frau begehrte. Die Tante willigte in das Begehren, mit dem Bedingniß, daß mein Gemahl sich von mir scheiden, und mich den Befehlen seiner neuen Frau unterwerfen sollte. – Wohlan, sprach mein Gemahl: Ich scheide mich von ihr zum ersten, zum zweyten, zum drittenmale. Er hielt hierauf Hochzeit mit meiner Base, und von gebietender Frau war ich nun die Magd meiner Nachfolgerin geworden. Nicht lange hernach verließ meine Tante das Haus, um besondere Wirthschaft zu führen, und[66] sie führte mich mit sich hinweg. Ihr Gemahl, der lange abwesend gewesen war, kam um diese Zeit von seinen Reisen zurück. Da er mich oft genug sah, verliebte er sich in mich, und begehrte mich endlich zur Frau. Ich willigte in sein Begehren mit dem Bedingnisse, daß er sich von meiner Tante scheiden, und sie mir unterwerfen werde. Dein Wille geschehe, sprach er, ich scheide mich von ihr zum ersten, zum zweyten, zum drittenmale. – Nun gieng die Wirthschaft anders, ich herrschte im Hause, und meine Tante mußte gehorchen. Bald darauf starb mein Onkel und zweyter Gemahl, und hinterließ mir eine Erbschaft von sechstausend Dirhems. Nachdem ich die Trauer ausgezogen hatte, kam mein erster Gemahl, mich zu besuchen. Ich habe dich immer, sprach er, wie meine Seele geliebt; tausendmal habe ich den unglücklichen Tag verwünscht, wo ich mich von dir getrennet. Ich fliege in deine Arme zurück, wenn du ein andermal mit mir zusammen leben willst. – Warum nicht, antwortete ich, aber mit dem Bedingniß, daß du dich von deiner itzigen Frau scheidest, und daß dieselbe mir untergeben sey.

Ich scheide mich, sprach er, von ihr zum ersten, zum zweyten, zum drittenmale, sie sey künftig deine Magd.

So war ich dann die Gebieterin meiner Base und meiner Tante, der beyden Gemahlinnen meiner Eheherren.[67]

Alles dies ist wahr, von Wort zu Wort, redete die Alte ein, sie hat für mich gesprochen und sich selbst angeklagt. Habe ich denn kein Recht, Genugthuung dafür zu fodern, daß sie mir und meiner Tochter unsere Männer geraubt, und uns zu ihren Mägden gemacht hat. Der Fall schien mir sehr verworren, und ich wußte nicht, wie ich sprechen sollte. Unstreitig war eine Uebertretung des Gesetzes hier mit untergelaufen. Der Oheim hätte seine Nichte nicht heirathen sollen. Aber er war todt, und keine Klage konnte daher statt haben wider ihn. Ich entschied, daß die Alte frey seyn, ihre Tochter in die Rechte einer rechtmäßigen Gemahlin treten, und dieselben mit der jungen Frau theilen solle.

Dies, o Herr, so endete der Richter Ebi Sinli seine Erzählung, ist einer der seltsamsten und merkwürdigsten Fälle, die mir je in Ausübung meines Amtes vorgekommen.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 65-68.
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