LXXVI.

[143] [Rand: Alaim.] Harun Raschid gieng einst mit seinem Wesir Dschafer, dem Sohne Barmeks, spazieren. Sie begegneten einer Schaar von Mädchen, die Wasser trugen. Die Mädchen wichen ihnen aus. Der Chalife aber mit seinem Begleiter gieng auf sie zu, und begehrte einen Trunk Wasser. Da improvisirte eine von ihnen die folgenden Verse:


Höre mein Wort: es kam mein Lieber,

(Freundlich blinkten die Sternelein)

Daß er Kühlung auf mich gösse,

Daß er lösche mein heiß Gebein.

Wie von Sinnen sprach sein Liebchen

Aus dem Bette voll Liebespein:

Einstens werd' ich dies erfahren,

Dir verkünden im Herzverein.


Der Chalife bewunderte diesen Ausbruch leidenschaftlicher Beredsamkeit, und fragte das Mädchen: Sind die Worte dein, oder gehören sie einem andern Dichter? – Sie sind mein. – Wenn's so ist, so singe mir dieselben noch einmal, mit veränderten Reimen; und sie sang:


Höre mein Wort: es kam mein Lieber

An mein Lager in stiller Nacht,

Daß er Ruhe auf mich gösse,

Daß er lösche der Flammen Macht.

Wie von Sinnen, sprach sein Liebchen

Auf dem Bette, von Schmerz umwacht:

Einstens werd' ich dies erfahren,

Wenn du Liebe mir zugedacht.


Harun fragte: ist der letzte Vers dein, oder gestohlen? – Herr! er ist mein. – Wenn es so ist,[144] bring' mir denselben Gedanken in andere Reime; sie sang:


Höre mein Wort: es kam mein Lieber,

Als auf Erden die Nacht gefußt,

Daß er Labung auf mich gösse,

Daß er lösche die Glut der Brust.

Wie von Sinnen, sprach sein Liebchen

Aus dem Bette, des Grams bewußt:

Einstens werd' ich dies erfahren,

Und genießen der Liebe Lust.


Harun sagte: der letzte Vers ist gestohlen. Er ist mein, Herr, erwiederte das Mädchen. – Wenn es so ist, laß mich dasselbe in andern Reimen hören, und sie sang:


Höre mein Wort: es war mein Lieber

In der Nacht ans Bett gelehnt,

Daß er Lindrung auf mich gösse,

Gluthenkühlung, so heiß ersehnt.

Wie von Sinnen, sprach sein Liebchen

Aus dem Bette, das Aug' bethränt:

Einstens werd' ich dies erfahren,

Des Genusses mit dir gewöhnt.


Woher bist du? fragte der Chalife. Aus dem Stamme, dessen Zelten weit, und dessen Säulen hoch stehn. Harun verstand, daß sie einem der edelsten Stämme angehöre. Dann fragte das Mädchen: welche Heerde er weide? Harun antwortete: die Heerde der Wolken. Da küßte das Mädchen die Erde, und grüßte ihn als Fürst der Rechtgläubigen. Er kehrte nach dem Pallaste, hatte aber keine Ruhe, bis er sie zur Gemahlin genommen hatte.

Quelle:
Hammer-Purgstall, Joseph Freiherr von: Rosenöl. Stuttgart/Tübingen: Cotta, 1813, S. 143-145.
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